MSC will ITA: Warum Familie Aponte um eine Airline wirbt

Eine Reederei will eine Airline kaufen. Das ist kein Witz, sondern die offizielle Bestätigung der Mediterranean Shipping Company (MSC) mit Sitz in Genf. Das Kreuzfahrt- und Frachtunternehmen will sich die angeschlagene ITA (Italia Trasporto Aereo), vormals Alitalia, einverleiben – zusammen mit einer Partnerin, die das Business kennt: die Lufthansa. Hinter diesem Vorhaben der gewaltigsten Expansion der Firmengeschichte von MSC steht die Familie Aponte. Inhaberin der zweitgrössten Reederei überhaupt hinter der dänischen Maersk und beim Geschäft mit Kreuzfahrten im Wettbewerb mit der mächtigen Carnival Corporation und Royal Caribbean Cruises. Und von jeher besonders dick im Containerbusiness. Patron über die schwimmenden Paläste und Frachtschiffe von MSC ist Gianluigi Aponte: verschwiegen, stets im Hintergrund, äusserst öffentlichkeitsscheu. Der Patriarch ist der Eigentümer, seine Frau Raffaela macht das Interieur der Reiseschiffe, die Tochter wacht über das Geld der Gruppe, Sohn Diego leitet die Containerflotte, Schwiegersohn Pierfrancesco Vago führt die Kreuzfahrtgeschäfte. Ein Familienbusiness, wie es im Buche steht. Der Aufstieg zu einer der grössten Reedereien der Welt klingt wie ein Märchen: Gianluigi Aponte, einst ein armer Matrose aus Neapel, der im gleichen Dorf wie Sophia Loren aufwächst, heiratet die Schweizer Bankierstochter Raffaela Denat und erobert die Meere. Mit Investorengeld wuchtete Patron Aponte seit der Gründung 1970 das Unternehmen zu einem Ozeanriesen hoch. Finanziert mit der Hilfe von institutionellen Anlegern, staatlichen Exportförderungen in Frankreich und Italien. Sowie Anleihen, die an der Schweizer Börse gehandelt werden. Das Schifffahrtsbusiness verschlingt viel Geld: Die Preise für die schwimmenden Giganten liegen nicht selten rund um 1 Milliarde Franken. Boomendes Containerbusiness Mit Containern machte Aponte senior über Jahrzehnte gutes Geschäft. Nur im Pandemiejahr 2020 wurden mit knapp 148 Millionen TEU (Twenty-foot Equivalent Unit und ist eine standardisierte Einheit; sie entspricht einem 20-Fuss-Container) etwas weniger Container umgeschlagen als im Vorjahr. Im Jahr 2022 soll die Containertransportmenge wieder deutlich steigen, auf fast 161 Millionen TEU. Allerdings ist nicht nur der Container-Umschlag für die Frächter entscheidend ist, sondern auch der Frachtpreis: Die Containerfrachtraten wurden aufgrund der Corona-Krise und der damit verbundenen Lieferschwierigkeiten und Schliessungen von Häfen in die Höhe getrieben. Der Online-Handel liess die Nachfrage nach Schiffstransporten, vor allem aus Asien nach Europa, und die Frachtraten explodieren. Der Preis für einen Standardcontainer stieg um das Vierfache auf 8000 Dollar. Die Nachfrage überstieg die Kapazität der Reedereien, sodass diese höhere Preise verlangen konnten. Das Frachtgeschäft der MSC war und ist eine Erfolgsstory. Da nahm es sich im Jahr 2003 seltsam aus, dass ein so erfolgreicher Frächter plötzlich ins Kreuzfahrtbusiness einstieg. Beide Geschäfte finden auf dem Wasser statt, sind aber sehr unterschiedlich: Beim einen geht es um Logistik, beim anderen um Tourismus. Es war ein Bruch in der Historie des Familienunternehmens. Aber ebenfalls ein Erfolg: Allein in den zehn Jahren von 2009 bis 2019, bis zum Ausbruch der Corona-Krise, stieg die Anzahl der Passagiere mit einem Schiff der MSC-Flotte um das Zweieinhalbfache auf rund 2,8 Millionen Passagiere. In den vergangenen zwei Jahren jedoch hat das Reisegeschäft sämtlicher Airlines und Kreuzfahrtbetreiber massiv gelitten, auch das der MSC. Die Zahlen für 2021 liegen noch nicht vor, aber 2020 war bereits ein Horrorjahr: Im Jahr 2020 zählte MSC 685’000 Passagiere – ein Rückgang um 75 Prozent gegenüber 2019. Die Schiffsauslastung erreichte immerhin 95 Prozent, aber 2019 waren es 112 Prozent. Die Gesamteinnahmen aus Kreuzfahrtbuchungen sanken um 78 Prozent auf 705 Millionen Euro, davor waren es 3,2 Milliarden Euro. Und während MSC Cruises 2019 noch ein Betriebsgewinn von 543 Millionen Euro auswies, war es 2020 ein Betriebsverlust von 797 Millionen Euro. Nach der Kreuz- jetzt auch die Luftfahrt Umso erstaunlicher ist es, dass sich die Aponte-Familie nun eine Airline leisten will, die schon einmal als bankrott galt. Nach dem Einstieg ins Geschäft mit den Kreuzfahrten vor fast zwanzig Jahren ist der Einstieg in die Luftfahrt der nächste Überraschungscoup der Genfer Reederei. Welcher bei genauerer Betrachtung aber durchaus Sinn machen würde. Nicht nur dürfte den Italiener Aponte interessieren, was in seinem Land passiert – und reichlich Geld in der Kasse hat sein Konzern ebenfalls; MSC verfügt über Barmittel von fast 300 Millionen Euro –, sondern auch die Synergieeffekte mit einer Airline liegen für eine Reederei à la MSC auf der Hand: Die Flugzeuge eignen sich als Zubringer der Passagiere für die Kreuzfahrtschiffe, was die Auslastung des Reiseangebots von MSC erhöhen kann. Wovon auch die Lufthansa profitieren würde. Wobei es stark darauf ankommen wird, wie die Aufteilung des Geschäfts mit der Lufthansa aussehen wird. «Operationell wird sich MSC wohl nicht ins Fluggeschäft einmischen», sagt ein Kenner der internationalen Schifffahrt und Tourismusbranche. Mit dem Vorstoss in das neue Geschäftsfeld muss sich Familie Aponte aber ohnehin noch gedulden. Die italienische Regierung soll einen Anteil an der anvisierten Kooperation behalten. Und was es für den Deal auch noch braucht, ist Zeit für die optimale Vorbereitung des Manövers: «Die Exklusivitätsfrist von neunzig Geschäftstagen, die vorbehaltlich der behördlichen Genehmigungen und einer Due-Diligence-Prüfung gilt», sagt MSC-Cruises-Sprecher Dominik Gebhard.

MSC will ITA: Warum Familie Aponte um eine Airline wirbt

Warum Familie Aponte eine Airline will