Warum Jeff Bezos ohne die Schweiz ins All fliegt

Es war 1994, als Jeff Bezos zum ersten Mal abhebte. Mit dem Online-Händler Amazon. Zum zweiten Mal hebt der Amazon-Gründer – nun wörtlich – mit einer Rakete von Blue Origin ab, Bezos’ Raumfahrtfirma, die er nur sechs Jahre nach Amazon gründete. Also nur sechs Jahre später verlegte Bezos seine irdischen Ziele bereits in Richtung Weltall. Sein bescheidener Plan, damals wie heute: nach dem Internet den Weltraum zu erobern. Mit dem Zwischenschritt, zum grössten Orbit-Travel-Händler der Welt zu werden. Dies noch vor seinen Konkurrenten Richard Branson mit Virgin Galactic und Elon Musk mit Space X – allesamt Raumfahrtprojekte für wohlhabende Touristen mit ausgeprägtem Fernweh. Mit an Bord der Bezos-Rakete «New Shepard» sind nicht nur Bezos selbst und drei weitere Crew-Mitglieder, sondern ein Haufen privat finanzierter und privat entwickelter Technik. Von Hilfe aus dem Ausland, Komponenten wie Triebwerk und Nutzlastverkleidungen von etablierten Zulieferern wie auch der Schweizer Ruag, hat der Multimillliardär abgesehen. Im Gegensatz etwa zur Falcon 9 von Musk, die sehr wohl mit Ruag-Know-How fliegt. Deal kam nicht zustande Dabei war die Ruag mit Blue Origin bereits im Gespräch. «Mit dem Team von Amazon-Chef Jeff Bezos befinden wir uns zurzeit in Gesprächen für sein Projekt Blue Origin», sagte der damalige Ruag-Space-Chef Peter Guggenbach zur «Handelszeitung» im Jahr 2017. Doch die Gespräche fruchteten nicht, ein Deal kam nicht zustande. Bezos machte es im Alleingang und verzichtete nicht nur auf die weltraumtaugliche Hülle nach Schweizer Ingenieurskunst. Sondern liess auch das Triebwerk selber bauen, der Heilige Gral einer Rakete. «Wir haben damals unaufgefordert angefragt, ob Blue Origin von uns Nutzlastverkleidungen kaufen möchte. Immerhin haben wir jahrelange Erfahrung damit», sagt der Vizechef der Schweizer Ruag Space-Sparte, Holger Wentscher. Blue Origin antwortete, man schaue sich das gerne an, weil es sich nicht, wie bei einem Triebwerk, um eine so heikle und komplexe Sache handeln würde. «Blue Origin hatte festgestellt, dass wir ein sehr interessantes Angebot gemacht haben. Sowohl in der Technologie, die wir vorgeschlagen haben, als auch beim Preis, der im weltweiten Vergleich als durchaus kompetitiv galt», sagt Wentscher. Teure Raketenhüllen Weltraumflüge gehen ordentlich ins Geld. Rund zehn Prozent der Kosten für eine Rakete entfallen auf die Nutzlastverkleidung, die Spezialität der Ruag. Im Fall der Falcon 9 von Elon Musk sind das rund 8 Millionen Franken, für eine Ariane 5 der Europäischen Raumfahrtagentur ESA werden die Kosten auf rund 15 Millionen Franken allein für die Nutzlastverkleidung geschätzt. Bei Bezos Megaprojekt für Flüge über den Orbit hinaus, die Rakete New Glenn, deren Start auf Ende 2022 verschoben wurde, sollen es gar 25 Millionen Franken nur für die Verkleidung sein. Blue Origin begründete die Absage letztlich nicht mit dem Preis, sondern es würde sich um eine strategische Entscheidung handeln, man wolle an der Rakete alles selbst entwickeln. «Tatsächlich ist auch die New Glenn, jene noch viel grössere Rakete als die New Shepard und für die Raumfahrt vorgesehen, ebenfalls ein 100%-iges Eigenprodukt. «Da wird nichts von aussen zugeliefert», sagt Wentscher. Die Strategien der schwerreichen Hobby-Raumfahrer sind durchaus unterschiedlich, ob sie nun Musk, Branson oder Bezos heissen. Der eine will alles selbst machen, der andere greift auch auf Zulieferer mit Erfahrung zurück. «Das hängt stark davon ab, ob die Firma profitabel und gewinnorientiert sein muss, oder ob es einen Financier im Hintergrund gibt, der alle Kosten übernimmt», so Wentscher. Im Fall von Bezos kein Problem: Sein Vermögen wird auf mehr als 200 Milliarden Dollar geschätzt. Der Vorteil einer Strategie der Eigenproduktion: Bezos kann sagen, das ist komplett sein Ding und er alleine entscheidet, was damit passiert. Bezos kennt kein Pardon Jubel hat die Absage von Blue Origin an Ruag freilich nicht ausgelöst. Etwas betupft tönt es da zum aktuellen New Shepard-Projekt: «Das ist eine kleine Rakete, die ‘kratzt’ nur am Weltraum.» Die Rakete ist zwar bemannt, aber auf den suborbitalen Weltraumtourismus ausgelegt, also nicht für die Reise zu Mond und Mars. Persönlich nimmt man das bei der Ruag aber nicht. Wentscher beschreibt Bezos als einen guten Typ. «Ich hatte ihn auf einer Veranstaltung in den USA getroffen. Er war total nahbar, stellte sein Unternehmen vor und beantwortete auch Fragen aus dem Publikum.» Hart zu und her geht es dafür in den Verhandlungen. Da kennt Bezos kein Pardon. «Sobald ein Zulieferer im Rahmen von Verhandlungen verlangt, das nächste Mal mit Jeff Bezos direkt zu sprechen, werden die Verhandlungen von Blue Origin sofort abgebrochen.» Man habe kein Interesse, Promi-Bedürfnisse von Zulieferern zu befriedigen. «Es gab noch nie jemanden auf dieser Ebene, der mit Bezos je gesprochen hätte», sagt Wentscher. Bezos kümmert sich um Strategie und Politik. Aber die Verhandlungen mit Geschäftspartnern hat er delegiert. Das sei nicht hochnäsig, sondern pragmatisch gemeint. «Solchen Lieferanten geht es nämlich eher darum, vom Ruhm der Person Bezos zu profitieren.» Viele andere Ruag-Projekte Auf Blue Origin ist Ruag zum Glück nicht angewiesen. Es gibt noch andere Projekte ausser die vielzitierten, wie Space X, Blue Origin und Virgin. Vor allem kleinere, was etwa Satelliten-Projekte betrifft und weniger die bemannte Raumfahrt. «Einer unsere Kunden ist Mitsubishi», sagt Wentscher. Dieser Konzern baut derzeit die Rakete H3, welche mit einer Nutzlastverkleidung von Ruag International aus Emmen fliegt. Und für noch mehr Raketen, auch für die bemannte Raumfahrt, liefert Ruag International zu. Mit der Atlas als Trägerrakete wird etwa die Boeing-Raumkapsel CST-100 einst in den Orbit fliegen. Die CST-100 Starliner ist ein bemanntes und wiederverwendbares Raumschiff, hergestellt von Boeing und noch in der Entwicklung. Die Raketen Atlas V, Falcon 9 und Vulcan fliegen ebenfalls mit Ruag-Bauteilen. Ganz ist das Geschäft mit dem Weltraum also nicht an dem Schweizer Konzern vorbeigeflogen.