Warum Novartis-Präsident Jörg Reinhardt bei Blackrock durchfiel

Von wegen passiv: Bei ESG spielt Blackrock sehr wohl eine aktive Rolle. ESG: Die drei Buchstaben stehen für Environment, Social und Governance, den Dreiklang moderner Unternehmensführung. Der amerikanische Vermögensverwalter mit einer mehrheitlich passiven Anlagestrategie macht immer mehr Druck auf Unternehmen und ihre Verwaltungsräte, wenn es darum geht, gute Governance, Umwelt- und Sozialstandards durchzusetzen. Prominentes Beispiel aus der Schweiz ist Jörg Reinhardt. Der Novartis-Verwaltungsratspräsident musste im Frühling bei seiner Wiederwahl auf die Stimmen des Anlagegiganten aus den USA verzichten. Begründung: Er sei verantwortlich dafür, dass der Verwaltungsrat «schwach strukturiert» («poorly structured») sei. Konkret ging es um die Frage der Amtszeitbeschränkung für Verwaltungsräte. Der Novartis-Verwaltungsrat hatte in der Generalversammlung beantragt, die Amtszeit für neue Verwaltungsräte auf zwölf Jahre zu begrenzen, nicht aber für bestehende. Blackrock habe zum Ausdruck gebracht, dass sie «die Einführung einer Amtszeitbeschränkung nicht nur für neue Verwaltungsratsmitglieder, sondern auch für bestehende bevorzugt hätten», schreibt Novartis auf Anfrage. Länger als zwölf Jahre im Verwaltungsrat Eine Begrenzung auf zwölf Jahre hätte sich insbesondere gegen die Wiederwahl von Andreas von Planta, Anwalt bei Lenz & Staehelin, gerichtet. Von Planta ist Sohn von Louis von Planta, 1996 einer der Architekten der Fusion von Sandoz und Ciba zu Novartis. Andreas von Planta gilt – Ironie der Geschichte – als ausgewiesener Experte für Corporate Governance, hat das Schweiz-Kapitel des «International Comparative Legal Guide to Corporate Governance» verfasst. Auch Ann Fudge, eine der vier Verwaltungsrätinnen von Novartis, hat die Schwelle von zwölf Jahren bereits überschritten. Die ehemalige Chefin von Young & Rubicam Brands und Topmanagerin bei Kraft Foods sitzt seit 2008 in Basel im Verwaltungsrat. Auch Jörg Reinhardt ist nicht allein. Lonza-Verwaltungsratspräsident Albert Baehny bekam die geballte PS von Blackrock-Chef Larry Fink und seiner mittlerweile 70-köpfigen ESG-Truppe ebenfalls zu spüren. Die Kritik hier: Die Kumulation von Ämtern. Im vergangenen Jahr habe man die Wiederwahl des Chairman noch unterstützen können, weil man in «dieser Übergangsphase» – Baehny war nach dem überraschenden Rücktritt von Richard Ridinger Verwaltungsratspräsident und CEO im Doppelmandat – keine Instabilität habe auslösen wollen. Doch der Präsident sei auch nach seinem Rücktritt als CEO «overcommitted» geblieben. Baehny diene noch immer in übermässig vielen kotierten Gesellschaften, schreibt Blackrock. Man sei besorgt, dass dies «seine Fähigkeit beeinträchtigen» könnte, die Dinge bei Lonza im Blick zu behalten. Baehny ist auch noch Präsident des Sanitärherstellers Geberit und Verwaltungsrat der Immobiliengesellschaft Investis. Der Blackrock-Bericht über das Abstimmungsverhalten des Vermögensverwalters Brief von Larry Fink an die Konzernchefs Kritik an fehlender Unabhängigkeit, Diversität, Overcommitment Die Beispiele zeigen: Blackrock macht Ernst mit ESG, vor allem bei der Governance. Über mehr als 64’000 Verwaltungsräte hatte Blackrock in der vergangenen Generalversammlungssaison zu befinden, gut 10 Prozent fielen laut einem am Montag publizierten Bericht durch. Meist ging es um fehlende Unabhängigkeit, aber auch fehlende Diversität, Vergütungspläne und Overcommitments wie bei Lonza-Präsident Baehny waren wichtige Gründe für eine Ablehnung. «Wenn wir der Meinung sind, dass ein Verwaltungsrat nicht im Interesse unserer Kunden handelt, dann stimmen wir gegen seine Wiederwahl. Das ist ein starkes Instrument, auch wenn es nicht dazu führt, dass der betreffende Verwaltungsrat sein Amt verliert. Das sieht kein Verwaltungsrat gerne», sagt Mirjam Staub-Bisang, Chefin von Blackrock Schweiz. Auch bei den Vergütungen lässt Blackrock seine Muskeln immer häufiger spielen. 33 Prozent der Vergütungsprogramme der europäischen Gesellschaften fanden keine Gnade, gegenüber 26 Prozent im Vorjahr. Der Anstieg sei vor allem auf Justierungen zurückzuführen, die die Unternehmen wegen Covid-19 vorgenommen hätten; um Manager zu belohnen, obwohl sie ihre finanziellen Ziele verfehlt, Leute entlassen oder Unterstützung durch die Regierung in Anspruch genommen hätten. Blackrock habe sich gegen die Vergütungspläne gestellt, «wenn die Unternehmen nicht in der Lage waren zu erklären, inwiefern diese Anpassungen die langfristige und nachhaltige Schaffung von Werten unterstützt», heisst es. Beim Klima ist der Riese offenbar ebenso gewillt, sein Gewicht in die Waagschale zu werfen. In seinem Brief an die Konzernchefs hat Blackrock-CEO und -Gründer Larry Fink, Gebieter über Vermögen in der Höhe von 9,3 Trillionen Dollar, den Klimawandel zur Priorität erklärt. Passive Anlagestrategie verhindert Ausstieg aus Öl und Gas Das Problem für Blackrock: Ein Ausstieg aus Unternehmen der Öl- oder Gasindustrie oder aus Rohstoffkonzernen ist, zumindest bei den 6 Trillionen Dollar, die passiv angelegt sind, nicht möglich. Denn dieser Entscheid liegt bei den Kunden, die Blackrock ihr Geld anvertrauen. Bleibt das Stimmrecht, um die Unternehmen beim Klima auf den richtigen Weg zu bringen. 2020 wurden 244 Unternehmen identifiziert, die für 60 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich waren und die die Klimarisiken nicht ausreichend adressiert hatten, wie Blackrock schreibt. «Ein Jahr später freuen wir uns, zu sehen, dass viele dieser Unternehmen bedeutende Fortschritte bei der Integration der Klimarisiken in ihre Geschäftsmodelle gemacht haben», heisst es in dem Bericht. 2021 wurde der Kreis auf 1000 CO2-intensive Unternehmen ausgedehnt, die für 90 Prozent der Emissionen verantwortlich sind, die im eigenen Betrieb entstehen sowie durch die Produktion der Energie, die für den Betrieb nötig ist. Mirjam Staub-Bisang sagt: «Klimarisiken sind in den letzten anderthalb Jahren ins Zentrum unseres Dialoges mit Unternehmen gerückt.»