Unsere Toleranz für Schweiss ist gering. Während des Sports lässt er sich nicht vermeiden und wird nach Trainingsende sofort mit Seife entfernt. Am Arbeitsplatz oder im Wohnzimmer hat Schweiss nichts zu suchen. Deos, Kleidung, Klimaanlagen haben nur ein Ziel: Der Schweiss muss weg und soll am besten gar nicht entstehen. Damit sind wir auch schon mitten im Problem der Schweissindustrie. Also jenem gerade erst entstehenden Feld von Forschern und Entwicklern, die aus dem Nass so viele Infos ziehen wollen, wie wir es bereits aus Blut tun, und die diese Technik in Armbänder, Kleidung und Pflaster integrieren wollen.

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Wie viel Schweiss ist genug Schweiss, damit aus dem Mix aus Aminosäuren, Zucker, Ascorbinsäuren, Lactaten, Elektrolyten und anderen Bestandteilen etwas Sinnvolles herausgelesen werden kann? Wie sensibel sind die Geräte, die sich Nutzer ans Handgelenk schnallen sollen? Und wollen Menschen überhaupt etwas über ihren Schweiss wissen?

Gatorade sponsert Armband

Esmeralda Megally ist mit ihrer in Lausanne domizilierten Firma Xsensio die wichtigste Vertreterin der Schweissforschung in der Schweiz und eine der wichtigsten weltweit. Die seit März 2014 bestehende Firma entwickelt einen Chip, der anhand unzähliger Sensoren Informationen aus minimalen Mengen von Schweiss liest. «Wir sehen uns als eine Lab-on-skin-Plattform», so Megally, also ein Minilabor auf der menschlichen Haut. Die Jungfirma, die lange Zeit mit Grundlagenforschung und Proof of Concepts verbracht hat, steht vor entscheidenden zwei Jahren. Sie muss einen Fuss in den Gadgets-Markt bekommen und Anbieter von ihrer Chip-Technologie überzeugen.

Die ersten Signale sind positiv: Kürzlich wurde eine grosse Partnerschaft mit einem amerikanischen Biotech-Unternehmen geschlossen. Die Chips von Xsensio helfen dem Unternehmen, Schweiss zu analysieren. Gleichzeitig laufen die Arbeiten an einer Anwendung für sportliche Aktivitäten. Dafür erhielt Megallys Firma einen 2,4 Millionen Franken hohen Zuschuss von der Europäischen Union.

«Einer der grössten Vorteile unserer Technologie ist, dass unsere Sensoren viel kleiner sind als die der Konkurrenz. Zudem benötigen wir viel, viel weniger Schweiss für unsere Analysen.» Andere Entwickler fokussieren sich ausschliesslich auf Sportanwendungen, wo bei Anstrengung natürlich viel Schweiss vorhanden ist.

Da ist zum Beispiel ein Armband, das im Auftrag der Getränkefirma Gatorade erstellt wurde. Es soll anzeigen können, wie dehydriert ein Sportler ist und welche Stoffe ihm fehlen. Höchstwahrscheinlich wird dann eine Flasche Gatorade alle Mängel, die das Gerät anzeigt, beheben können. 2019, spätestens 2020 soll es mit der Markteinführung des Gatorade-Schweiss-Patch so weit sein. Für einen lächerlich niedrig erscheinenden Preis von umgerechnet 3 Franken. Ob es sich hierbei nur um einen Marketing-Gag oder um einen entscheidenden Markteintritt handeln wird, ist noch abzuwarten.

Der Schweiss ist heiss

Andere Schweissanalysetechniken sind noch Experimente. So etwa Textilien, in die dehnbare Batterien eingebaut werden, die durch Schweiss und Bakterien Strom erzeugen können. Auch die Schweissanalyse mithilfe von Pflastern ist denkbar und wird etwa bei Verdacht auf Drogen- und Alkoholmissbrauch bereits eingesetzt. Um die Schweiss-Analyse-Gadgets aber massentauglich zu machen, müssen sie das Maximum aus möglichst wenig Schweiss das herausholen. Denn Menschen schwitzen unterschiedlich stark – und auch wenn jemand nur ruhig zu Hause sitzt, müssen funktionierende Schweiss-Gadgets etwas aus den Absonderungen der Schweissdrüsen auf der Haut herauslesen können.

Und nicht zu vergessen: Potenziellen Kunden muss erklärt werden, warum sie sich überhaupt ein Schweiss-Gadget umhängen oder anschnallen sollen. Aus Schweiss können nämlich medizinische Daten genauso gezogen werden wie Daten, die für die Optimierung einer sportlichen Aktivität ausreichen. Das Spektrum reicht von drohender Dehydrierung bis zu Warnsignalen für Diabetespatienten, wenn Unterzuckerung droht. Die Balance zwischen Medizin- und Wellnessanwendung ist eine Herausforderung für alle in diesem entstehenden Business.
Sicher ist: Könnte man mehr Informationen aus dem Schweiss ziehen, hätte das grosse Vorteile gegenüber der Analyse von Blut. An Schweiss kommen Forscher nicht invasiv, die Flüssigkeitsabnahme ist nicht schmerzhaft und kann den ganzen Tag über erfolgen.

Erste Anwendung 2019

Schweiss-Pionierin Megallys grösste Herausforderung ist momentan die Produktion ihres Analyse-Chips in grösseren Mengen und die Lieferung an externe Partner. Im nächsten Jahr geht es für die Gründerin und ihr Team um viel: «Wir erwarten, dass wir 2019 unsere erste Anwendung für den Nutzer präsentieren können.» Jetzt müssen also Kunden überzeugt werden, dass es sich überhaupt lohnt, ein Schweiss-Gadget, sei es nun als Armband, Pflaster oder Tattoo, zu tragen. Helfen soll der Firma dabei Logitech-CEO Bracken Darrell, der vor wenigen Wochen ins Advisory Board aufgenommen wurde. Der Gadget-Experte soll die Themen User-Feedback und Kundenzentrierung in der Firma verankern.

Megally sieht ihr Unternehmen, das eng mit Forschern von der EPFL zusammenarbeitet, aber nicht nur als zukünftiger Lieferant für Sport-Tools. Besonders die Kooperation mit der amerikanischen Biotech-Firma weist die Richtung. «Wir können uns in die medizinische Richtung entwickeln und viele Probleme in diesem Bereich angehen.»

Venture-Capitalist-Experte Cédric Köhler sieht die Entwicklung von Xsensio optimistisch: «Wenn alles klappt, ist das ausgesprochen gut skalierbar, eine Lizenz zum Gelddrucken. Danach ist auch relativ schnell ein Exit möglich. Insgesamt reden wir aber von Jahren.»

Stefan Mair
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