Architektenwettbewerbe sind ein mühsames Unterfangen. Viel Aufwand und meistens kein Erfolg. Wie sehr nervt Sie das?
Pierre de Meuron: Das nervt nicht. Obwohl es richtig nervt. Wettbewerbe gehören zu unserem Berufsalltag und fordern uns Mal für Mal heraus, neue Ideen in höchster Qualität und Klarheit aufs Papier zu bringen. Aber es stimmt, Wettbewerbe sind mühsam, und schmerzliche Niederlagen gehören dazu. Und dies zu einem hohen finanziellen Preis, denn in kaum einer anderen Branche leistet man so viel Vorarbeit ohne Garantie auf Erfolg. Bei dem Projekt von Lombard Odier wurden acht Büros eingeladen, und sieben gingen leer aus.
Warum, glauben Sie, haben Sie gewonnen?
Unser Auftritt und unser Projekt haben offenbar überzeugt. Überzeugt hat die klare und elegante architektonische Umsetzung des von der Bank aufgestellten «One Roof»-Imperativs. Es war ein eingeladener Wettbewerb, und wir haben gespürt, dass die Bank wirklich bereit war, mit Architektur ihre Unternehmenskultur weiterzuentwickeln und ihre Identität zu entfalten. Erfreulicherweise entschied sich die Bank für unseren Wettbewerbsbeitrag, der sich im Verlauf der weiteren Planung kaum veränderte. Das zeugt von einer grossen Entschlossenheit bei Lombard Odier, einer Entschlossenheit, die sich im Gebäude selbst widerspiegeln sollte.
Zur Person

Privatbanken stehen in der Regel nicht für Offenheit.
Das Spannende ist, dass Lombard Odier mit ihrem Gebäude eine radikal neue Offenheit nach aussen und innen einlösen will. Das ist die alles entscheidende Dimension. Die zweite betrifft den Standort: Die Bank wollte alle Mitarbeitenden an einem Ort vereinen. Das liess sich in der Stadt am alten Ort nicht realisieren, also fiel die Wahl ausserhalb des historischen Zentrums auf dieses Entwicklungsgebiet. Die Lage ist hervorragend – nah am Zentrum, mit der S-Bahn bestens erschlossen, aber mit völlig anderer, urbaner Atmosphäre und einem einzigartigen Blick Richtung Westen auf den Petit Lac und auf die Berge im Westen. Diese einzigartige Spannung zwischen Urbanität und Landschaft hat uns fasziniert. Die territoriale Dimension ist essenziell: Das Projekt liegt nur wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt und fühlt sich dennoch wie eine andere Welt an.
Gab es Einschränkungen bei der Planung, die Sie gerne vermieden hätten?
Natürlich gab es baurechtliche Vorgaben, allem voran den Perimeter der bebaubaren Fläche. Der vorgegebene Masterplan gab eine merkwürdige, zufällige Form vor, und die Bank wollte verständlicherweise für sich das Maximum an Nutzfläche realisieren. Diese Vorgaben waren nicht einfach, doch gerade daraus entwickelte sich die überraschende architektonische Lösung.

Lombard Odier eröffnete im September ihren neuen Hauptsitz in Genf. Der Entwurf für das avantgardistische Gebäude in Bellevue, Genf, stammt von Herzog & de Meuron. Am neuen Hauptsitz vereint Lombard Odier unter einem Dach mehr als zweitausend Mitarbeitende, die zuvor an sechs Genfer Standorten tätig waren.
Meinen Sie damit den grossen, markanten Lichtschacht respektive Innenhof ?
Klar, das lichtdurchflutete Atrium ist drinnen ein ganz spezieller Blickfänger. Der zündende Funke war jedoch die auffallende Gebäudegeometrie mit ihren vier gekurvten Fassaden, die das von Lombard Odier aufgestellte «One Roof»-Postulat überzeugend einlöste. Zwei Prinzipien prägen den Entwurf: Transparenz und Flexibilität. An der breitesten Stelle im Grundriss bringt das besagte Atrium viel Tageslicht bis tief ins Innere des Gebäudes hinein. Im Inneren fühlt man sich nie in einem dunklen, geschlossenen Korridor, sondern erlebt auf allen Ebenen eine grosszügige horizontale Transparenz. Diese Grosszügigkeit und Offenheit sind ein wesentlicher Teil der räumlichen Qualitäten. Die auskragenden, geschwungenen Deckenplatten, die unzähligen Stützen, die raumhohen Verglasungen geben dem Bankgebäude zusammen mit dem tonangebenden Weiss seinen Schick und seine Eleganz.
Wenn Sie das fertige Gebäude heute sehen: Würden Sie etwas anders machen?
In diesem Fall kaum. Natürlich visualisieren wir alles am Computer, aber das wichtigste Werkzeug bleibt der Kopf – das räumliche Vorstellungsvermögen im eigenen Kopfkino. Wir arbeiten auch mit physischen Modellen und sogenannten Mock-ups, also Fassadenteilen im Massstab 1:1. Das hilft enorm, weil man Materialität und Lichtverhalten real erleben kann. Ein Modell bleibt immer ein Modell – die gebaute Wirklichkeit ist stets etwas anderes.
Wenn Sie auf Ihre Karriere zurückblicken: Welche Momente waren prägend?
Mehrere. Natürlich die sehr frühe Begegnung mit Jacques Herzog. Wir gingen zusammen zur Schule, studierten zusammen und starteten unser Büro im Jahr 1978 – wohlgemerkt während der 1970er-Ölkrise! Rückblickend war das kein schlechter Zeitpunkt. In der Krise kann man wachsen. Ein weiterer Meilenstein war die Tate Modern in London – gleichbedeutend mit unserem Schritt in die internationale Weite. Das Projekt hat uns die Tür zur weiten Welt geöffnet. Heute beschäftigt die Herzog-&-de-Meuron-Gruppe global über fünfhundert Mitarbeitende in vielen Ländern – von Japan über Indien und den Nahen Osten bis Europa und die USA.
Jacques Herzog

Was hält die Partnerschaft mit Jacques Herzog so lange aufrecht?
Das Fundament unserer Zusammenarbeit ist Vertrauen. Obwohl wir unterschiedliche Charaktere haben, teilen wir dieselbe Haltung und dieselben Werte in Bezug auf Architektur und das Unternehmen. Diese Mischung aus Freundschaft, Respekt und der Fähigkeit, konstruktiv zu diskutieren, trägt uns seit Jahrzehnten.
Kann es auch mal richtig krachen zwischen Ihnen?
Dispute gibt es, sie sind aber stets produktiv. Ich persönlich schätze den Widerspruch, da er mich dazu bringt, meine Haltung zu überdenken. In der Architektur gibt es kaum ein Richtig oder Falsch. Es geht um besser, weniger gut oder anders. Und dieses Bessere entsteht durch Diskussion und Argumente – und nicht durch Behauptungen.
Sie haben einmal gesagt, die Schweiz habe ein Ästhetikproblem. Das heisst?
Wir sind in der Schweiz sehr regel- und sicherheitsorientiert. Dies führt in der Regel dazu, dass viele Projekte formal glatt und inhaltlich mut- und belanglos sind. Zu viele Vorschriften gleich zu wenig Ansporn zu Kreativität. Hingabe zu Schönheit ist kein Luxus, sondern Teil der Lebensqualität – gerade bei Banken, in der Agglo, bei Verkehrsinfrastrukturen. Wenn man sich traut, auch gestalterisch eine dezidierte Haltung einzunehmen, gewinnt man kulturell, gesellschaftlich und wirtschaftlich. Apropos Wirtschaftlichkeit: Schön ist nicht teurer als Mittelmässigkeit.
Zum Unternehmen
Herzog & de Meuron beschäftigt weltweit über fünfhundert Mitarbeitende. Das Büro mit Hauptsitz in Basel arbeitet international, von den USA über Europa bis Asien. Zu den jüngsten Arbeiten gehört der neue Hauptsitz der Bank Lombard Odier in Genf, der im Herbst 2025 eröffnet wurde.
Gibt es etwas, das Ihre ikonischen Projekte wie die Tate Modern, die Elbphilharmonie oder das Pekinger Olympiastadion gemeinsam haben?
Das sind sehr sichtbare Projekte, aber vor allem solche, die Menschen anziehen und bewegen. Die Turbine Hall der Tate Modern wurde zu einem der beliebtesten öffentlichen Räume Londons. Dasselbe gilt für die Elbphilharmonie: Die Terrasse ist frei zugänglich, ein demokratischer Ort mitten in der Stadt. Und auch das Stadion in Peking ist ein beliebter öffentlicher Ort. Das ist für uns zentral: Architektur soll die Menschen positiv bewegen.
Sie wurden für das Olympiastadion in Peking kritisiert, weil Sie für ein autoritäres Regime gebaut haben.
Zugegeben, Architektur ist nie unschuldig. Aber mit dem Birds Nest haben wir nachhaltige hohe Qualität im öffentlichen Raum geschaffen. Das Stadion ist nach wie vor sehr beliebt bei den Menschen in China und auch bei Touristen, ähnlich wie der Eiffelturm in Paris. Auf den ersten Blick «nutzlose» Architektur kann auf die Menschen grosse positive Anziehungskraft entfalten.
Gibt es ein Werk, das weniger bekannt ist, Ihnen aber besonders am Herzen liegt?
Ja, spontan kommen mir die Fünf Höfe in den Sinn. Es ist ein starkes städtebauliches Projekt, das augenfällig funktioniert – keine spektakuläre Ikone, aber ein gelungenes Stück lebendige Stadt im Herzen von München.
Wie erleben Sie den Moment, wenn ein Projekt abgeschlossen ist? Gibt es ein Ritual?
Es gibt kein Ritual im eigentlichen Sinn, aber ich gehe gerne immer wieder hin und beobachte, wie das Gebäude nach Jahren im Alltag funktioniert. Wenn Menschen sich darin wohlfühlen, ist dies das schönste Ergebnis, die grösste Belohnung – ähnlich wie bei einem guten Konzert oder einem sehenswerten Film: Es berührt freudig unmittelbar alle unsere sechs Sinne, das gefällt mir.
Kommen eigentlich Freunde ständig zu Ihnen und fragen um architektonischen Rat?
(lacht) Ja, das kommt vor. Ich finde das völlig in Ordnung. Architektur hat bei mir allemal einen hohen Stellenwert, zumeist in Verbindung mit Musik, Film, Sport oder Kunst. Das Spannende an Architektur: Sie umfasst alle Lebensbereiche.
Zum Schluss: Welchen Rat geben Sie jungen Architektinnen und Architekten?
Ratschläge erteilen ist nicht so mein Ding. Nur so viel: einfach schauen, beobachten, zuhören, denken – und daraufhin machen. Und dies mit Leidenschaft. Leidenschaft ist entscheidend – in der Architektur wie in jedem anderen Beruf auch.
Dieser Artikel ist im Millionär, einem Magazin der Handelszeitung, erschienen (Dezember 2025).

