Mürren, das auf einer Sonnenterrasse hoch über dem Lauterbrunnental liegt, zählt 1968 kaum 450 Einwohner. Zwar verfügt das autofreie Bergdorf über eine lange touristische Geschichte – bereits 1858 entstand hier das erste Hotel, das Silberhorn. In der Vorkriegszeit urlauben hier europäische Adlige, solvente Industriemagnaten und andere High-Net-Worth Individuals. Doch in den 1960er-Jahren wendet sich das Blatt: Der Massentourismus erfasst die Alpen, und der Ort muss sich neu positionieren. Die im Bau befindliche Schilthornbahn soll dabei helfen – doch der ambitionierte Plan wird ausgebremst.

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Seilbahnprojekt am Limit

Die Schilthornbahn, bei Baubeginn als längste Luftseilbahn der Welt gefeiert, ist ein visionäres Infrastrukturprojekt. Geplant mit einem Budget von 9,8 Millionen Franken, explodieren die Kosten bis 1968 auf über 31 Millionen. Die Bauarbeiten werden gestoppt, das geplante Drehrestaurant auf dem Gipfel bleibt im Rohbau. Für die Initianten, Verwaltungsratspräsident Ernst Feuz und seinen Direktor Paul Eggenberg, steht das Vorhaben ökonomisch auf der Kippe. In dieser prekären Lage tritt Eon Productions auf den Plan.

Das Drehrestaurant auf dem Gipfel des Schilthorns auf 2970 Meter Höhe. Im Vordergrund der Hubschrauberlande- platz, der für den Film auf den Berg betoniert wurde.

Das Drehrestaurant auf dem Gipfel des Schilthorns auf 2970 Meter Höhe. Im Vordergrund der Hubschrauberlandeplatz, der für den Film auf den Berg betoniert wurde.

Quelle: PR

Die Londoner Produktionsfirma ist dringend auf der Suche nach einem alpinen Drehort für Blofelds Virenlabor im James-Bond-Film «On Her Majesty’s Secret Service». Autor Ian Fleming hatte es sich als frei stehende Gipfelstation in den Schweizer Alpen vorgestellt – aber ein solcher Ort fehlt ihm bis dato. Als der erfahrene Aufnahmeleiter Hubert Fröhlich im März 1968 auf einer Postkarte im Hotel Adler in Grindelwald ein Bild der neuen Schilthornstation entdeckt, wendet sich das Blatt.

Nur einen Tag später steht Fröhlich selbst auf dem Schilthorn und weiss: «Das ist es.» Noch am selben Tag beginnt er Gespräche mit Eggenberg und Feuz – wenige Wochen später wird ein Vertrag unterzeichnet.

Ein Deal unter Pionieren

Der Vertrag zwischen Eon Productions und der Schilthornbahn wird am 22. Mai 1968 abgeschlossen – laut Ex-CEO Peter Feuz wurde er «in weniger als einer Stunde paraphiert». Eon verpflichtet sich, den Ausbau der Gipfelstation zu finanzieren, inklusive des weltweit ersten Drehrestaurants auf 2970 Meter Höhe, das Platz für 120 Gäste bietet. Zudem errichtet Eon eine Helikopterlandebasis – ein baurechtliches Husarenstück, denn die Bewilligung dafür wird erst nach Abschluss der Dreharbeiten offiziell erteilt.

Die Filmproduktion erhält im Gegenzug exklusiven Zugang zum Rohbau – und zum gesamten Schilthorn – über die Dauer des gesamten Winters 1968/69. Für die Schilthornbahn bedeutet der Deal die Rettung: Eon investiert rund 1 Million Franken in die Fertigstellung der Station – ein massiver Betrag für die damalige Zeit.

Tourismus trifft Filmindustrie

Auch das Dorf Mürren profitiert erheblich. Im August 1968 trifft sich Hubert Fröhlich mit den Direktoren der sechs führenden Hotels – Bellevue, Blumental, Edelweiss, Jungfrau, Alpenruhe und Eiger –, um einheitliche Zimmerpreise auszuhandeln. Das Ergebnis: 64 Franken für ein Doppelzimmer mit Bad, 24 Franken für ein Einzelzimmer ohne Bad. Zwei Wochen später führen die Hoteliers eigenständig Zusatzgebühren für das Frühstücksbuffet ein – 3.50 Franken für Cornflakes, 4 Franken für Rührei und 10 Franken für einen Liter frisch gepressten Orangensaft. Das sind für damalige Verhältnisse sportliche Preise, die von den Filmleuten anstandslos bezahlt werden. Ein Novum für Mürren ist das neue Buffetmodell: Noch nie mussten alle Gäste zur selben Zeit frühstücken – und schon gar nicht innerhalb von zehn Minuten. Die Filmcrew verlangt Effizienz, keine Gemütlichkeit. Bis zu 120 Personen werden so täglich im Akkord verköstigt. Das Frühstücksbuffet bleibt danach in vielen Hotels als Standard bestehen.

Ein Geldregen für die Region

Was die Bond-Produktion ins Berner Oberland bringt, ist nicht nur internationale Aufmerksamkeit – sondern vor allem liquide Mittel. Jost Brunner, damaliger Tourismusdirektor von Mürren und zugleich Filialleiter der Schweizerischen Kreditanstalt (SKA) vor Ort, kennt die Zahlen ganz genau. In einem Bericht in der TV-Sendung «Die Rundschau» nennt er offen die wöchentliche Summe, die Eon für laufende Ausgaben aus der Kasse im Hotel Alpenruh abhebt: 600 000 Schweizer Franken.

Buchtipp

Dieses Geld fliesst in Hotelübernachtungen, Transporte, lokale Dienstleistungen und Gastronomie. Mürren wird im Herbst 1968 zum Zentrum der globalen Filmindustrie – und profitiert so von einer dritten Saison.

Nachhaltige Wirkung

Nach Abschluss der Dreharbeiten bleibt nicht nur ein berühmter Filmdrehort zurück, sondern auch eine vollständig ausgebaute Infrastruktur. Das Drehrestaurant auf dem Schilthorn kann dank Eon-Productions seinen Betrieb aufnehmen und der von Ian Fleming erfundene Name «Piz Gloria» geht um die Welt. Kurz darauf kann die Schilthornbahn AG zum ersten Mal eine Dividende auszahlen.

Der wirtschaftliche Turbo James Bond wirkt über Jahrzehnte nach: Der Bond-Tourismus sichert Arbeitsplätze, verlängert die Saison und macht Mürren international bekannt. Die Region ist bis heute untrennbar mit «On Her Majesty’s Secret Service» verbunden – und verdankt dem britischen Geheimagenten weit mehr als nur einen Werbeeffekt.

Dieser Artikel ist im Millionär, dem Magazin der Handelszeitung, erschienen (Juni 2025).