Sie hätten ins «Plaza» an der Fifth Avenue gehen können, gleich beim Central Park. Oder ins «Waldorf Astoria» ein paar Strassen weiter, an der Park Avenue. Stattdessen wählten Spark-Therapeutics-Chef Jeff (Jeffrey) Marrazzo und Roche-Konzernchef Severin Schwan den Flughafen Teterboro vor den Toren New Yorks für ihr erstes Treffen: weg vom Schuss, unauffällig, diskret und mit dem Geschäftsflieger gut erreichbar. 

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Das war am 11. Dezember 2018. Gut zwei Monate später war der smarte Jungunternehmer und Gentherapie-Pionier aus Philadelphia am Ziel: Sein 268 Mitarbeitende zählendes Unternehmen geht für abenteuerliche 4,8 Milliarden Dollar an Roche, eine Cash-Position von 500 Millionen Dollar inbegriffen. 

Das sind 16 Millionen Dollar pro Mitarbeiter. Oder 114,5 Dollar für eine Aktie, die an der Nasdaq zuletzt für 51,6 Dollar gehandelt worden war. Was wiederum einer Premium-Prämie von 122 Prozent entspricht. Das sind Zahlen, die selbst in der unzimperlichen Biotech-Branche für Schwindelgefühle sorgen.

Am Anfang lief die Übernahme harzig

Dabei hatte es zu Beginn der Verhandlungen gar nicht nach einem Rekorddeal ausgesehen. Das zeigt ein Dokument der US-Börsenaufsicht SEC. Im Gegenteil: Die beiden Dealmaker hatten Mühe, in die Gänge zu kommen.

Am 14. Dezember, drei Tage nach dem Treffen von Teterboro, legte Roche eine erste, unverbindliche Offerte für das auf gentherapeutische Behandlungen von Hämophilie spezialisierte Unternehmen auf den Tisch, die fortan als «December 14 Proposal» im Dokument figurieren wird. Sie ging über 70 Dollar pro Aktie – weit unter dem, was sich Jeff Marrazzo und seine Leute als Kaufpreis für ihr Unternehmen vorgestellt hatten.

Am 15. Januar, gut einen Monat später, liess Marrazzo Schwan deshalb am Telefon wissen, dass Spark Therapeutics unter diesen Bedingungen wohl kaum einen Verkauf ins Auge fassen werde; es sei denn, es liege ein Angebot «well into the 80s dollar» vor. Eine klare Ansage. Doch Basel blieb hart: Vier Tage später bestätigte der Roche-Konzernchef in einem Gespräch zwar erneut sein Interesse an einer Übernahme, machte aber keine Anstalten, sein Angebot nachzubessern.

Dokumente der US-Börsenaufsicht SEC

Spark Therapeutics, Inc

Recommendation of the Board

Severin Schwan, CEO Roche und Verwaltungsratsmitglied der Credit Suisse.

Dealmaker: Roche-Konzernchef Severin Schwan.

Quelle: Roland Schmid / 13 Photo

Jeff Marrazzo treibt den Preis hoch

Die Situation war verfahren, die Verhandlungen drohten zu scheitern, bevor sie richtig begonnen hatten. Aber nicht lange. Wenige Tage später ging das Spark--Management in die Offensive und entschied, mögliche weitere Interessenten ins Spiel zu bringen, um Basel aus der Reserve zu locken. Spark war schon seit Sommer mit mehreren Biotech-Unternehmen zur Finanzierung seines Hämophilie-Programms im Gespräch gewesen. Nun galt es, diese wieder ins Spiel zu bringen und damit für Belebung an der Preisfront zu sorgen.

Das Spiel konnte beginnen. Zuerst war das Unternehmen C bereit, auf 75 Dollar pro Aktie zu gehen, wie ein zweites SEC-Dokument zeigt. Dann offerierte B – die Namen der Mitbieter sind nicht bekannt – eine Upfront-Zahlung von 450 Millionen Dollar, um das Hämophilie-Programm durch die klinische Phase und auf den Markt zu bringen. Das war zwar kein Kaufangebot, aber eine Offerte, mit der Jeff Marrazzo und seine Forschungschefin und Mitgründerin Katherine A. High zumindest für einige Zeit auf eigene Faust hätten weitermachen können.

In der Folge konnte Jeff Marrazzo in Philadelphia zuschauen, wie die beiden Bieter den Preis in die Höhe jassten. Unternehmen C besserte in einem ersten Schritt auf 84 Dollar nach – ein Angebot, auf das Roche mit einer ersten «finalen» Offerte von 91 Dollar reagierte. Worauf sich wiederum Konkurrent C bereit erklärte, «well into the 90s dollar» zu gehen. 

Jeff Marrazzo

Dealmaker: Spark-Chef Jeff Marrazzo.

Quelle: ZVG

Aber auch das war noch lange nicht das Ende. Der Roche-Konzernchef musste nochmals tief in die Tasche langen, um zum Zug zu kommen. Am 22. Februar um sechs Uhr früh Ostküstenzeit lieferte er seine «letzte, finale» Offerte ab. Sie lag
9,5 Dollar pro Aktie oder insgesamt knapp 400 Millionen Dollar höher als die der Konkurrenz – ein Hinweis darauf, dass man bei Roche auf Nummer sicher gehen wollte. Schliesslich war das Geld da. Der Kaufpreis von 4,8 Milliarden Dollar entspricht einem Drittel des 2018 von Roche erwirtschafteten Cashflows und ist deshalb problemlos zu stemmen. 

Die Basler bekommen dafür eine Hämophilie-Pipeline, mit der sie zwei Fliegen auf einen Streich schlagen können: Zum einen wird Roche nun aller Voraussicht nach eine Alternative zu Hemlibra anbieten können, mit dem das Unternehmen seit kurzem auf dem bis 2024 auf 25,6 Milliarden Dollar veranschlagten Hämophilie-Markt abräumt. Zum anderen hat sich Roche mit der Übernahme von Spark einen möglichen Konkurrenten für ebendieses Hemlibra einverleibt.

Jeff and Kathy

Spark-Gründer und Chef Jeff Marrazzo mit Forschungschefin Katherine A. High.

Quelle: ZVG

Multimillionäre

Spark-Gründer und -CEO Jeff Marrazzo löst mit dem Verkauf 34,6 Millionen Dollar, bei Mitbegründerin und Forschungschefin Katherine A. High sind es 24,6 Millionen. Zusammen gehen 69,0 Millionen Dollar von Basel an das Spark-Management in Philadelphia.

Weg von der Onkologie

Dazu kommen Fits mit der eigenen Pipeline bei Therapiegebieten wie Ophtalmologie, neurologische Erkrankungen und Stoffwechselkrankheiten. Die Übernahme soll deshalb auch helfen, die durch die Patentabläufe bei den grossen drei Krebsmedikamenten Mabthera/Rituxan, Avastin und Herceptin drohenden heftigen Umsatzeinbussen wettzumachen und die Bewegung weg von der Onkologie hin zu anderen Indikationen zu meistern.

Und damit das alles so kommt, wird die Truppe um Jeff Marrazzo, wie einst Genentech, nicht etwa in den Konzern integriert, sondern als Gentherapie-Zelle innerhalb von Roche weitergeführt. 

Spark Therapeutics

Wichtigstes Asset in der Pipeline ist das Hämophilie-Programm. Gemäss den SEC-Unterlagen darf sich -Roche bei der Hämophilie (und Morbus Pompe, einer Stoffwechselkrankheit) auf einen Spitzenumsatz von 2 Milliarden Dollar im Jahr 2030 freuen.

Dazu kommen Therapiekandidaten gegen Chorea Huntington (Veitstanz) und -gegen eine Form des Batten-Syndroms – zwei schwere, -erblich bedingte neurodegenerative Krankheiten. Bei beiden handelt es sich um seltene Krankheiten.

Bereits auf dem Markt ist Luxturna. Die Therapie lindert die durch den -Defekt eines bestimmten Gens verursachte Blindheit. Sie wird ausserhalb der USA von Konkurrent Novartis kommerzialisiert. Luxturna wurde 2018 in der EU zugelassen.