Am Donnerstag, den 20. März 2014, prahlte Nordkoreas Staatschef Kim Jong-un wieder einmal mit einem Embargobruch. In einer Fabrik mit Präzisionsfräsen posierte er vor der Maschine eines deutschen Herstellers. Eine Anfrage der «Welt am Sonntag« bei der Firma blieb unbeantwortet.

Im September 2013 hatte Kim ein anderes Werk besucht. Die Bilder erregten in Fachkreisen Aufsehen. Dort standen Rotationswalzen, auch Fliessdrückmaschinen genannt. Mit dieser neuen Technik lassen sich Autofelgen herstellen oder Raketenteile. Deutschland liefert an Nordkorea deshalb keine Walzen, die programmierbar sind und ein Druckgewicht von mehr als 60 Kilo-Newton erzeugen. Pjöngjang hat sich die Technik trotzdem beschafft. Nicht aus Deutschland. Seine Walzen ähneln einem chinesischen Modell.

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Ein drittes Beispiel: In den Trümmerteilen der Unha-Langstreckenrakete fanden die UN-Ermittler 14 Bauteile ausländischer Herkunft, von Hochdruckpumpen über PC-Chips bis zu Kugellagern. Sie stammten aus China, Grossbritannien, der Schweiz, Russland und den USA. Die Pumpen, stellten die Ermittler fest, hatte ein Handelshaus auf Taiwan für Kim besorgt. Bei den anderen Komponenten suchen sie noch.

Militärparade mit Mercedes eröffnet

Wenn solche Technik den Weg nach Nordkorea nimmt, gelangt auch anderes dorthin. Zum Beispiel die neuesten S-Klasse-Mercedes, mit denen Kim Jong-un zu den Fabriken fährt. Die Autos stehen seit dem ersten nordkoreanischen Atomtest 2006 als Luxusgut auf der UN-Embargoliste – wie viele andere Dinge, die das Leben der Getreuen Kims versüssen sollten.

Im April 2012 eröffneten zwei Generäle dennoch eine Militärparade in nagelneuen Mercedes-Benz 600 Landaulets mit verlängertem Radstand und abnehmbarem Dach. Geliefert hatte die Fahrzeuge nicht der Stuttgarter Hersteller. Daimler hat zu Pjöngjang seit 15 Jahren keine Geschäftsbeziehungen mehr.

Aus dem Konzern heisst es: «Wir haben auf Wunsch der UN vergangenes Jahr erneut versucht zu recherchieren, wie Fahrzeuge der Marke Mercedes-Benz nach Nordkorea gelangt sind. Trotz intensiver Bemühungen kamen wir zu keinen konkreten Ergebnissen. Insbesondere da uns keine Fahrgestellnummern vorliegen.» Das gilt besonders für die Landaulets, «die wir nicht im eigenen Produktportfolio haben» . Fachkundigen fiel auf, dass die Karosserie auf billige Art verlängert worden war.

Geräte einer US-Firma in Fitnessclubs

In Pjöngjang rollen auch Audis, BMWs und Hummer-Luxusjeeps. Den Fitnessklub der neuen Nobelappartements am Taedong-Fluss zieren Geräte einer US-Firma. Kim Jong-uns Ehefrau Ri Sol-ju trägt westliche Designerkleidung. Auf Kims Schreibtisch steht ein Apple-Computer, mitsamt Webkamera für Videotelefonate zu seinen Kommandeuren. Wie kommt das alles dorthin?

Auf dieselbe Weise wie die achtachsigen Transporter für die Interkontinentalrakete KN-08 – durch Tarnen, Tricksen, Täuschen. Und wegen einer löchrigen Embargoliste. Die Transporter stammen von einer chinesischen Firma, haben Ähnlichkeit mit einer russischen Raketenlafette. Sie werden aber als «Holztransporter für unwegsames Gelände» angeboten, aufgewertet mit einem amerikanischen Motor und einem deutschen Getriebe.

Nordkoreas Forstministerium bestellte prompt acht Transporter. Das Regime schlägt viel Holz in unwegsamem Gelände. Die Fahrzeuge wurden per Schiff geliefert, gechartert von einer Firma in China. Es machte Station in Osaka. Dort prüfte Japan die Ladung und liess sie passieren. Holztransporter standen nicht auf der Embargoliste. Dass die Charterfirma denselben Namen trug wie ein nordkoreanisches Unternehmen im Militärbereich – das fand man erst heraus, nachdem Pjöngjang den wahren Zweck der Fahrzeuge offenbart hatte.

Embargoliste ist lückenhaft

Die Embargoliste ist lückenhaft, vor allem ist sie nicht weltweit einheitlich. Die UN sind keine Weltregierung. Sie sprechen lediglich Empfehlungen aus. Gültig sind die Embargolisten der Mitgliedstaaten, und die sehen unterschiedlich aus. Gerade bei Luxusgütern.

Bei «Kleidung, Leder, Pelze»  setzt Australien schlicht alles auf den Index. Die EU verbietet für Nordkorea «hochwertige Tuche, Zubehör, Schuhe (ungeachtet welchen Materials), hochwertige Leder-, Reit- und Reiseutensilien, Handtaschen und ähnliches«. Kanada verbietet «Designerkleidung und Pelze» . Russland liefert alles ausser Pelzen «im Wert von mehr als 250.000 Rubel» . Das sind gut 5000 Euro und sogar für einen nordkoreanischen Spitzenfunktionär eine gewisse Summe.

Bei Gebrauchselektronik machen Australien und Kanada ebenfalls alle Türen zu. Die EU tut das nur bei «hochwertigen Gegenständen für den Hausgebrauch und hochwertigen audiovisuellen Aufzeichnungs-/Wiedergabegeräten» . Singapur verbietet den Export von Plasma-Fernsehern und tragbaren Musikplayern.

Zwölf Embargobrüche in Japan

Russland und China hingegen liefern frei nach Wunsch. Im Jahresbericht 2012 zählen die Ermittler zwölf Embargobrüche aus Japan auf – mal eine Lieferung von 698 gebrauchten Notebooks, mal 22 gebrauchte Klaviere, mal 673 Kosmetikartikel. Alle Waren gingen von Japan zuerst nach Südkorea und dann nach China. Erst von dort kamen sie nach Nordkorea. Die Ermittler merken in einer Fussnote trocken an: «Die meisten dieser Gegenstände werden von China nicht als Luxusgüter eingestuft.«

Wollte der Westen Luxussanktionen wirksam durchsetzen, müsste er sämtliche Lieferungen von Kameras oder Halstüchern akribisch bis zum Endabnehmer verfolgen, so wie bei der Atomwaffentechnik. Dafür fehlen das Geld, das Personal und der politische Wille. Denn Fälle, in denen die Verkäufer bewusst das Embargo brechen und eine relativ leichte Beute der Fahnder werden, sind eine verschwindende Minderheit.

Ein Österreicher verkaufte 2008 acht S-Klasse-Mercedes nach Pjöngjang; ein kleines italienisches Handelshaus lieferte zwei digitale High-End-Lautsprecheranlagen für Kinosäle direkt nach Nordkorea. Die meisten Geschäfte aber laufen getarnt. Nordkoreas Aussenhandel, schreiben die UN-Ermittler sarkastisch, ist über das Stadium «von zwei Mitarbeitern mitsamt einem Faxgerät» hinausgewachsen.

High-Tech und Skrupellosigkeit

Im Südwesten Pjöngjangs lässt das Regime Studenten in den Raffinessen des kapitalistischen Weltmarktes ausbilden. Nordkoreas Aussenhandel ist ein Grossgebilde aus High-Tech und Skrupellosigkeit. Die Durchsetzung des Embargos wird zum weltweiten Katz-und-Maus-Spiel.

Das Schema ist stets dasselbe, in unendlicher Variation: Unauffällige Käufer bestellen Güter für unauffällige Abnehmer. Die sitzen natürlich nicht in Nordkorea, sondern treten nur als Zwischenhändler zu weiteren Zwischenhändlern auf. Die Handelshäuser wechseln ständig ihre Namen, verwenden gern unterschiedliche Schreibweisen ihrer koreanischen oder chinesischen Bezeichnung; oder sie nennen sich bewusst phonetisch ähnlich wie grosse unverdächtige Firmen.

Gezahlt wird entweder in bar oder in gestückelten Tranchen bei Banken, die ihrerseits für eine solche Transaktion manchmal extra neu gegründet werden. Pjöngjang testet ständig neue Wege. Legale russische Passagierjets bezahlte es über elf verschiedene Hongkonger Kanäle.

Die UN-Embargo-Ermittler mutmassen, Nordkorea prüfe auf diese Weise die Zuverlässigkeit neuer finanzieller Schattenpfade, die dann für illegale Importe genutzt werden. Geld ist genug da. Nordkorea verdient wieder gut an seinen Bodenschätzen, die China aufkauft. Der nordkoreanische Drogenschmuggel ist drastisch zurückgegangen. Offen mafiös will Kim Jong-un nicht mehr auftreten. Er setzt auf die Instrumente des Kapitalismus.

Geheimer Bankensektor

Kaum etwas jenseits des Militärs wird in Pjöngjang so geheimgehalten wie die exakte Struktur seines Bankensektors. Es gibt etliche spezialisierte Häuser, die im Auftrag militärischer oder parteinaher Firmen tätig werden. Fallen sie den UN-Embargoermittlern auf, verschwinden sie von der Bildfläche; dafür erscheint dann ebenso plötzlich eine neue – meistens dasselbe Haus unter anderem Namen.

Die UN müssen dann beweisen, dass diese neuen Banken verbotene Geschäfte machen. Für Boykott-Empfehlungen muss sie Beweise auf den Tisch legen. Die Ermittler hecheln bei der Vielzahl neuer Personen und Institutionen, die aus Pjöngjang auftauchen, hinterher. Nordkorea, schrieben sie in ihrem Jahresbericht 2012, «kann wahrscheinlich schneller Decknamen erfinden, als das Sanktionskomitee sie identifizieren kann».

Die meisten Embargobrüche finden in Japan und China statt. Das ist kein Zufall. In Japan leben Hunderttausende Koreaner, die zur Zeit der japanischen Besatzung dorthin auswanderten oder verschleppt wurden und nach dem Zweiten Weltkrieg Partei für den Norden ergriffen. Die Kim-treuen Koreaner sind im Interessenverband Chongryon organisiert, der zu seiner Blütezeit eine Kim-Parallelgesellschaft mitten in Japan entstehen liess – und nach Japans Aufstieg zur digitalen Konsumgüter-Weltmacht Nordkoreas Spitzenfamilien mit Waren versorgte.

Zwar haben Pjöngjangs Atomtests und sein Eingeständnis, etliche Japanerinnen und Japaner nach Nordkorea verschleppt zu haben, «Chongryon« sehr geschadet. Vorvergangene Woche musste der Verband sein Hauptquartier in Tokio verkaufen. Die Mehrzahl der Embargobrüche aus Japan gehen aber noch immer auf das Konto Kim-treuer japanischer Koreaner.

Das illegale Geschäft hat in China eine Tradition

In China wiederum gibt es eine lange Tradition des ausgefeilten Zwischenhandels. Der Aussenhandel wurde in der chinesischen Kaiserzeit über lizenzierte Händler abgewickelt. Die Millionenstadt Guangzhou verdankte ebenso wie die ehemalige portugiesische Kolonie Macao ihren Aufstieg diesen Mittelsmännern. Aus Macao stammt auch die Bezeichnung für sie: Kompradoren.

Nach Maos Machtübernahme nutzte Peking Händler seines Vertrauens in Macao und in Hongkong, um das Embargo gegen China zu unterlaufen. Kim macht es China nach. Weil Nordkorea mit inzwischen 39 Staaten Visa-Freiheit vereinbart hat, geniessen Embargobrecher eine gewisse Bewegungsfreiheit. Nordkorea hilft ihnen mit allen Mitteln. Gefälschte Frachtbriefe, verdeckte Geschäfte, die Gründung von Briefkastenfirmen in nordkoreanischen Botschaften – die Liste der Tricks ist lang.

Das wurde im März im Mittelmeer sichtbar. US-Kommandos enterten ein Tankschiff unter Nordkoreas Flagge, die «Morning Glory«, das in einem von libyschen Rebellen besetzten Ölhafen illegal Fracht übernommen hatte. Der Tanker war für sechs Monate in Nordkorea registriert. Für dieses halbe Jahr erhielt es einen neuen Betreiber aus Ägypten. Nach dem Zugriff der amerikanischen Marine meldete sich eine Firmengruppe aus dem Emirat Sharjah und behauptete, ihr gehöre der Tanker. Die nordkoreanische Staatsreederei distanzierte sich von allem und widerrief die Registrierung.

Schiffe unter falscher Flagge

Ein seltener Krimi auf hoher See? Nein. Das Muster aus Firmengeflechten und ausgeflaggten Schiffen kennen UN-Ermittler nur zu gut. Dank Nordkorea kommen selbst Steppen- und Wüstenstaaten in den Genuss eigener Schiffe. Die Flagge der Mongolei weht derzeit über drei nordkoreanischen Frachtern. Wunder geschehen in Kims Reich.

Die Schiffe aber werden unwichtig. Pjöngjang hat das richtig grosse Loch im UN-Zaun entdeckt – den Landweg. Es baut die Grenzübergänge zu China und Russland aus. Was dort angeliefert und an die Elite weitergereicht wird, bekommt kein UN-Inspekteur je zu sehen. Was schrieben die Ermittler in ihrem Jahresbericht 2012? «Es gibt nicht einen einzigen Fall, in welchem das Sanktionskomitee eine Inspektionsmeldung von diesen Grenzübergängen erhalten hat.» 

Dieser Artikel ist zuerst in unserer Schwester-Publikation «Die Welt» erschienen.