Wie Sie mit Cal Lightmans Tricks bei Zoom brillieren

Lügner erkennt Cal Lightman sofort. Dazu wendet er keineswegs hellseherische Fähigkeiten an – er beobachtet stattdessen die Mimik, Gestik und Körpersprache seines Gegenübers, analysiert selbst kleinste Bewegungen genau. Lightman hat jahrelang psychologische und anthropologische Studien durchgearbeitet und so gelernt, jedes Lächeln, Zwinkern und Naserümpfen zu deuten. Dieses Können kommt ihm in seinem Job zugute, denn Lightman ist Gründer und Leiter der Lightman Corporation. Das Unternehmen entlarvt Lügner, etwa im Auftrag staatlicher Strafverfolgungsbehörden, um zum Beispiel Mordfälle aufzuklären und die Wahrheit ans Licht zu bringen. Cal Lightman gibt es nicht wirklich, er ist eine Fantasiefigur, Protagonist der US-amerikanischen Fernsehserie «Lie to Me». Allerdings gibt es ein reales Vorbild: Paul Ekman. Ekman ist ein Psychologe aus Washington, der vor allem für seine Forschungen zu nonverbaler Kommunikation bekannt ist. Sein wohl bekanntestes Werk ist das Facial Action Coding System (Facs), anhand dessen sich Gesichtsausdrücke klassifizieren und deuten lassen. Darin ist beispielsweise verzeichnet: Zu Freude gehören die Mikroexpressionen – oder «Action Units», wie Ekman sie nennt – «angehobene Wangen», «Anheben der Mundwinkel» und «Zusammenkneifen der Augen», während sich Trauer im Gesicht durch «Heben der inneren Augenbraue», «Zusammenziehen der Augenbrauen» und «Herabziehen der Mundwinkel» äussert. Psychologe Ekman hat Mikroexpressionen und ihre Bedeutung nicht nur im Facs klassifiziert, er betreibt auch genau wie «Lie to Me»-Protagonist Lightman ein Unternehmen, das etwa dem US-Geheimdienst CIA oder der Bundespolizei FBI Kurse zur Erkennung von Mikroexpressionen gibt. Die Agenten und Agentinnen lernen dort, wie sie in Vernehmungen Lügner entlarven. Die Fähigkeit, zu erkennen, ob jemand lügt, kann allerdings nicht nur für Geheimagentinnen von Vorteil sein. Auch in der Arbeitswelt spielen Mikroexpressionen eine wichtige Rolle, weiss etwa Mike Fruet, Coach für nonverbale Kommunikation aus in Zürich. «Mikroexpressionen sind ein wichtiger Teil der zwischenmenschlichen Verständigung, sowohl im Privatleben als auch im Beruf.» Um lesen zu können, ob jemand zum Beispiel einer Sache zu- oder abgeneigt ist, müsse man nicht zwingend eine Ausbildung im Entschlüsseln nonverbaler Kommunikation gemacht haben. Denn: «Als die Sprache weniger weit entwickelt war, hatten Mikroexpressionen einen sehr hohen Stellenwert», erklärt Fruet. «Deshalb sind wir dazu veranlagt, sehr empfänglich gegenüber dieser Art der Kommunikation zu sein.» Mit anderen Worten: Viele dieser Signale erkennen wir rein intuitiv. Hilfe bei Bewerbungsgesprächen Mikroexpressionen sind auch deshalb so relevant, weil sie sich in zwei wichtigen Punkten von normaler Mimik unterscheiden. Damir Dantes, Coach für Körpersprache und professioneller Pantomime, erklärt: «Der erste Punkt ist die Geschwindigkeit: Die Makromimik dauert nur 0,5 bis 4 Sekunden», sagt Dantes. «Mikroexpressionen sind ganz kurze, unwillentlich ausgelöste Gesichtsausdrücke, die für den Bruchteil einer Sekunde sichtbar sind, etwa 40 bis 500 Millisekunden.» Der zweite Unterschied: Mikro- und Makroexpressionen haben unterschiedliche Auslöser.«Normale, makromimische Gefühlsausdrücke sind für alle gut sichtbar und werden willentlich beeinflusst, zum Beispiel wenn sich jemand freut, jemand anderen zu sehen, und deswegen lächelt», so Dantes. Mikroexpressionen dagegen zeichnen sich spontan und in emotional aufgeladenen Situationen im Gesicht ab. Sie lassen sich kaum kontrollieren. Es kann sich also lohnen, die wichtigsten Mikroexpressionen zu kennen und deuten zu können, etwa in Bewerbungsgesprächen. Schliesslich kann man so Menschen etwas aus dem Gesicht lesen, das sie selbst nicht gern von sich preisgeben würden. «Ein Mensch ist niemals gläsern und man kann auch durch Mikroexpressionen Lügen nicht mit 100-prozentiger Sicherheit erkennen», sagt Kommunikationscoach Fruet. «Aber wenn die Mimik etwas ganz anderes aussagt als das gesprochene Wort und man das erkennt, lässt sich ein Bewerber oder eine Bewerberin durchaus besser einschätzen.» Ein Beispiel: Ein Personaler erklärt der Jobanwärterin im Bewerbungsgespräch, wie ihre zukünftige Aufgabe aussehen soll, und die Bewerberin hat nicht mit so etwas gerechnet. Nun kann sie unterschiedlich reagieren – überrascht beispielsweise oder auch ängstlich. Solche Emotionen sind im Gesicht in Form von Mikroexpressionen erkennbar: Überraschung durch gehobene Augenbrauen, einen herabfallenden Kiefer und weit geöffnete Augen. Bei Angst sind oft noch Augenlider und Lippen angespannt. Wenn der Personaler so etwas weiss, kann er besser einschätzen, ob die Bewerberin wirklich nur überrascht ist oder sich überfordert fühlt – und dann fundierter entscheiden, ob er sie einstellt oder nicht. Doch auch bei Gesprächen mit Kolleginnen oder Kunden können Mikroexpressionen eine wichtige Rolle spielen. «Wenn wir wirkungsvoll verhandeln oder einen Konflikt schlichten möchten, sind wir darauf angewiesen, die Emotionen unserer Gesprächspartner richtig einzuschätzen», erklärt Coach und Pantomime Dantes. «Bei Meetings kann uns die Mimik daher helfen, Einwände beim Gegenüber zu erkennen.» Es gibt eine Handvoll Signale, anhand derer man Einwände identifizieren kann, darunter zum Beispiel das Zusammenziehen und Senken der Augenbrauen, das Schürzen der Lippen und das Rümpfen der Nase. «Und wer diese Signale zu deuten weiss, kann Gespräche frühzeitig in die richtige Richtung lenken.» Beim Call Sprecheransicht aktivieren Dantes wie auch Fruet bringen Menschen in ihren Coachings bei, Mikroexpressionen und Körpersprache richtig zu deuten. «Grundsätzlich geht es darum, unsere Wahrnehmung gegenüber Mitarbeitenden, Partnerinnen und Partnern zu sensibilisieren», sagt Dantes. «Das schafft die beste Grundlage für eine wertschätzende Kommunikation und festigt die Beziehungen.» Ihm zufolge sind Mikroexpressionen grundsätzlich in allen Berufen wichtig, in denen Kommunikation von Angesicht zu Angesicht stattfindet. «Das kann bei der Kundenberatung oder in der Verkaufsbranche sein, in Verhandlungen, in der Psychotherapie oder im Dienstleistungsbereich», so Dantes. Beide Mimik-Coaches sind sich sicher: Auch in Zeiten von Corona, in denen viele Meetings per Videokonferenz ablaufen, können geschulte Führungskräfte mit Mikroexpressionen arbeiten. Voraussetzung: Die Bildqualität der Videoübertragung ist hoch genug und das Gegenüber ist gut ausgeleuchtet. Sonst sind die mimischen Minisignale nicht zu erkennen. Auch die Grösse des Bildschirms und die Anzahl der Konferenzteilnehmenden kann eine Rolle spielen. «Je mehr Personen an einer Videokonferenz teilnehmen, desto kleiner erscheinen die einzelnen Videofenster auf der Bildfläche – und so wird es schwieriger, die Mimik der einzelnen Personen wahrzunehmen», erklärt Dantes. Sein Rat: umstellen auf Sprecheransicht. Dann erscheint immerhin derjenige bildfüllend, der gerade redet. Nur die Reaktionen beim Zuhören – die gehen bei Zoom und Co. dann eben manchmal verloren.