Zwei Jahre nach dem spektakulären Zusammenbruch der Wirecard wird der frühere Chef Markus Braun am Donnerstag erstmals in der Öffentlichkeit auftreten – diesmal nun vor Gericht. In München wird sich das Landgericht mit einem der grössten deutschen Wirtschaftsskandale beschäftigen, der Milliarden an Börsenwert und eine grosse deutsche Fintech-Hoffnung vernichtet hat.

Die Strafkammer verhandelt gegen Braun und zwei Mitangeklagte in einem Gerichtssaal in der Haftanstalt Stadelheim, einem der grössten Gefängniskomplexe des Landes. Mehr als drei Dutzend Journalisten aus aller Welt haben sich akkreditiert. Das Gericht hat zunächst 100 Verhandlungstage bis Ende 2023 angesetzt, der Prozess wird sich aber wohl bis weit ins Jahr 2024 hinziehen. Die drei Berufsrichter und zwei Schöffen müssen einen Sachverhalt durchdringen, zu dem es mehr als 700 Aktenordner Material gibt.

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Spektakulärer Zusammenbruch

Das Strafverfahren wird die Entwicklung von Wirecard bis ins Jahr 2020 nachzeichnen, in dem das Unternehmen einen zunehmend aussichtslosen Kampf gegen das eigene Scheitern geführt hatte. Dann kam das krachende Ende aller Versuche, sich als Pionier des digitalen Zahlungsverkehrs zu stilisieren, der von Leerverkäufern, Journalistinnen und Journalisten angeblich grundlos attackiert wurde. Schliesslich brach das Unternehmen zusammen: Wirecard gab zu, dass mehr als 2 Milliarden Euro angeblicher Barmittel wahrscheinlich nie existiert hatten, und meldete einige Tage später, am 25. Juni 2020, Insolvenz an.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Braun, ein Österreicher, der mit randloser Brille und schwarzen Rollkragenpullis gern eine intellektuelle Aura pflegte, bereits Bekanntschaft mit dem Haftrichter gemacht. Seit fast zweieinhalb Jahren sitzt er mittlerweile in Untersuchungshaft. Zuletzt sah ihn die Öffentlichkeit im November 2020, als er in Berlin kurz vom Untersuchungsausschuss des Bundestags zu dem Skandal befragt wurde. 

Leerverkäufer und Journalistinnen warnten vor Wirecard

Der Zusammenbruch von Wirecard war für Behörden und Politik eine Blamage. Seit Jahren hatte es warnende Hinweise gegeben, die öffentlich diskutiert wurden. Leerverkäufer wie Fraser Perring und Berichte in der «Financial Times» stellten die Bilanzierung von Geschäften in Asien und im Nahen Osten infrage. Wirecard bestritt stets jedes Fehlverhalten. Die Münchner Staatsanwaltschaft schlug sich zunächst auf die Seite des Unternehmens und ermittelte gegen Journalistinnen und Leerverkäufer. Bafin-Chef Felix Hufeld musste in der Folge des Skandals sogar seinen Hut nehmen.

Die Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen gegen Braun im März abgeschlossen. Neben Braun sind auch der ehemalige Chefbuchhalter Stephan von Erffa sowie Oliver Bellenhaus angeklagt; Letzterer hatte eine Wirecard-Firma in Dubai geleitet und ist zudem Kronzeuge der Anklage.

Das Management soll Geschäfte in Asien erfunden haben

Laut Staatsanwaltschaft hat das Trio «angeblich äusserst ertragreiche Geschäfte, vor allem in Asien» erfunden, um vorzutäuschen, dass Wirecard ein erfolgreiches Unternehmen sei. In Wirklichkeit hätten die Guthaben in Dubai, auf den Philippinen und in Singapur jedoch nicht existiert. Die Nachweise seien gefälscht gewesen, so die Staatsanwaltschaft.

Banken gaben Wirecard Darlehen in der Höhe von 1,7 Milliarden Euro und begaben für das Unternehmen Anleihen im Umfang von 1,4 Milliarden Euro «in der irrigen Annahme, mit einem erfolgreichen, prosperierenden, ordnungsgemäss geführten und auf jeden Fall kreditwürdigen DAX-Unternehmen zu verhandeln», so die Staatsanwaltschaft in einer Pressemitteilung zur Anklage.

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Vorwurf: 200 Millionen Euro von Wirecard abgezweigt

Dem Trio wird schwerer Betrug, Marktmanipulation und Bilanzfälschung zur Last gelegt. Braun wurde auch wegen Untreue angeklagt, weil er mit dem früheren Vorstandsmitglied Jan Marsalek eine Transaktion veranlasst haben soll, durch die 200 Millionen Euro von Wirecard über eine undurchsichtige Firmenkonstruktion an die beiden Männer geschleust worden sein sollen.

Marsalek verschwand, kurz nachdem der Skandal aufgeflogen war, und ist seitdem auf der Flucht. Er steht auf der Interpol-Liste der meistgesuchten Personen, und die Ermittlungen in München gegen ihn und andere Beschuldigte dauern an.

Langwieriger Prozess erwartet

Braun bestreitet die Vorwürfe und behauptet weiterhin, dass das ausländische Partnergeschäft, das im Mittelpunkt der Anklage steht, existiert habe. Sein Anwalt Alfred Dierlamm erklärte, Beweise deuteten darauf hin, dass Marsalek und andere ein System eingerichtet hätten, um – ohne Brauns Wissen – Geld des Unternehmens in ihre eigenen Taschen zu schleusen. Das Oberlandesgericht München hat sich von diesen Argumenten bisher nicht beeindrucken lassen und Braun weiter in Haft gelassen.

Dierlamm hat auf eine E-Mail mit der Bitte um Stellungnahme nicht geantwortet. Sabine Stetter, eine Verteidigerin von Erffas, sagte, sie werde sich in ihrem Eröffungsplädoyer zu dem Fall äussern.

Bellenhaus, der ehemalige Dubai-Chef von Wirecard, ist für die Staatsanwaltschaft der wichtigste Zeuge. Sein Verteidiger Nicolas Frühsorger sagte, er erwarte angesichts der gegensätzlichen Verteidigungsstrategien und Aussagen der Angeklagten einen langwierigen Prozess. «Aber ich bin zuversichtlich, dass sich die faktenbasierte Wahrheit am Ende durchsetzen wird.»

 

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(bloomberg/gku)