China und die Länder des Fernen Ostens stehen gegenwärtig als Produktionsstandort wie auch als Absatzmarkt im Zentrum der Aufmerksamkeit vieler Unternehmen. Dem Reiz der niedrigen Produktionskosten und der Attraktivität des grossen Absatzmarktes können sich nur wenige Unternehmen entziehen. Dass diesen Chancen auch erhebliche Herausforderungen und grosse Gefahren entgegenstehen, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Es haben erst wenige Unternehmen in China tatsächlich diejenigen Gewinne erwirtschaftet, um derentwillen sie überhaupt das Abenteuer in Angriff genommen haben. Neben den operativen Herausforderungen, haben die sprachlichen, kulturellen und mentalen Barrieren einen grossen Anteil an den Schwierigkeiten beim Aufbau von Geschäftsaktivitäten in China.

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Mit teilweise erheblichem Aufwand ist es den internationalen Grosskonzernen mittlerweile gelungen, in Asien erfolgreich Fuss zu fassen. Gerade für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU), die nicht über vergleichbare finanzielle Ressourcen und Mitarbeiterqualifikationen verfügen, lohnt es sich, im nahen Europa nach geeigneten Möglichkeiten Ausschau zu halten. Osteuropa ist dabei sicher die naheliegendste Alternative.

Gesamte Supply Chain betrachten

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs expandierten zunächst zwei Arten von Unternehmen nach Osteuropa: Bei der einen Gruppe standen die grossen Marktchancen für Konsumgüter im Vordergrund. Die zweite Gruppe wollte die Potenziale als Produktionsstandort erschliessen: Gut ausgebildete und hoch motivierte Arbeitskräfte auf einem ausgesprochen niedrigen Lohnniveau. So wurden zunächst lohnintensive Fertigungsschritte nach Osteuropa in Länder wie Polen, Ungarn, Tschechien, die Slowakei oder auch Slowenien transferiert. Aus Sicht der westeuropäischen Unternehmen entstanden zunächst verlängerte Werkbänke in Fertigung und Montage. Mittlerweile haben sich in Osteuropa aus den einstigen Lohnfertigungsunternehmen veritable Zulieferunternehmen mit eigenen Komponenten und Endprodukten entwickelt. Parallel dazu hat sich eine leistungsfähige Zulieferindustrie herausgebildet. Zwar ist die operative und strategische Ausrichtung dieser Unternehmen zum Teil rückständig, was jedoch mit einer weiteren Zunahme ausländischer Direktinvestitionen und dem Transfer von westlichem Know-how immer mehr abnimmt.

Aus westeuropäischer Sicht reichen heute Verlagerungen einzelner Fertigungsschritte aus reinen Lohnkostenüberlegungen heraus nicht mehr aus. In der Regel werden die Einsparungspotenziale in der Fertigung durch den erhöhten administrativen Aufwand und die Transportkosten weitgehend eliminiert. Sollen die Potenziale, die Osteuropa bietet, realisiert werden, kommen westeuropäische Unternehmen nicht umhin, die gesamte Wertschöpfungskette zu hinterfragen. Erst mit der Verlagerung der Produktion von Endprodukten oder zumindest einzelner Baugruppen lassen sich die gewünschten Resultate auf der Kostenseite erzielen. Es hat sich als erfolgreiche Strategie erwiesen, die Produktion an lokale Partner in Osteuropa zu vergeben. Damit können westeuropäische Unternehmen beispielsweise von den Zuliefernetzwerken ungarischer oder tschechischer Unternehmen in Rumänien und Bulgarien oder noch weiter östlich in den ehemaligen GUS-Staaten wie der Ukraine oder Weissrussland profitieren. Das gesamte Potenzial, das Osteuropa bietet, lässt sich aber erst realisieren, wenn neben die Produktions- und Beschaffungsstrategie eine Marktstrategie für die Märkte Osteuropas tritt. In den vergangen Jahren konnte beispielsweise Slowenien mit Portugal oder Griechenland in der Kaufkraft gleichziehen. Andere Länder werden in den nächsten Jahren folgen.

Durch die Erweiterung der EU im letzten Jahr ist eine Reihe osteuropäischer Länder Mitglied der EU geworden. Weitere Staaten, insbesondere aus Südosteuropa, werden demnächst folgen. Ihr äusserst wettbewerbsfähiges Verhältnis von Arbeitskosten zu Produktivität, die niedrigen Unternehmenssteuern (in Estland 0% auf einbehaltene Gewinne, in der Slowakei die viel beachtete Flat-rate von 15%, etc.), die teilweise deutlich geringeren Energiekosten und das ernorme und motivierte Reservoir an Arbeitskräften sind triftige Argumente, mit denen die osteuropäischen Länder locken.

Je nach Geschäftsaktivität unterscheiden sich die einzelnen Regionen stark voneinander. Über die ganze Supply Chain hinweg (Beschaffung, Produktion, Verkauf) nehmen lediglich Tschechien, Ungarn und Slowenien einen Spitzenplatz ein. Polen weist mit knapp 40 Mio Einwohnern eine hohe Marktattraktivität auf in den produktionsnahen Aktivitäten besteht aber noch punktueller Nachholbedarf. Demgegenüber hat sich die Slowakei als Produktionsstandort etwa für die Automobil- und Hausgeräteindustrie etabliert. Es hängt im Einzelfall von der konkreten Zielsetzung des jeweiligen Unternehmens ab, welcher Standort in Osteuropa die besten Erfolgschancen bietet.

Die stetig wachsende Geschäftstätigkeit in Osteuropa wird den europäischen Logistikunternehmen weiter steigende Gütermengen bescheren. Gleichzeitig wächst aber auch der Wettbewerbsdruck durch die Konkurrenz aus Mittel- und Osteuropa. Diese wird somit noch zusätzlich zu den bereits gewonnenen Marktanteilen zulegen können. Der Wettbewerbsdruck könnte weiter ansteigen, wenn nächstes Jahr die Kabotage für Estland, Lettland, Litauen, die Slowakei und Tschechien fallen sollte und nicht um zwei weitere Jahre verlängert wird. Für viele Unternehmen sind die Chancen und Möglichkeiten in Osteuropa noch lange nicht ausgeschöpft. Mit einer geeigneten Supply-Chain-Strategie, die sowohl die Marktsituation als auch die Produktionsmöglichkeiten berücksichtigt, lassen sich Wachstumsmärkte erschliessen und Produktionskostenvorteile realisieren. Die Erfahrungen, die bei der Ausdehnung der Aktivitäten nach Osteuropa gemacht wurden, bilden dann eine wertvolle Basis für einen späteren Einstieg in China und Fernost.

Christoph Merle, Partner, David Dubach, Business Consultant, Zellweger Management Consulting AG, Pfäffikon SZ.