Stefan Bruder* ist süchtig. Süchtig nach Arbeit und nach Erfolg. Vor halb sieben steht er jeweils im Büro. Kontrolle ist ihm wichtig, delegieren mag er wenig - «am Schluss muss ich es ja doch selber machen». Diese «Hilfsbereitschaft» ist bei den Kollegen beliebt. Gehen diese dann in den Feierabend, hat er endlich Zeit für seine eigenen Pendenzen. In Ruhe, bis Mitternacht. Und zum Glück schläft Stefan Bruder schlecht - da bleibt Zeit, um neue Projekte anzudenken.

Auch am Wochenende schaut er gerne im Büro vorbei - schliesslich wird er dann am wenigsten gestört und kommt endlich mal zu was. Und in den letzten Ferien mit der Familie - ist zwar schon einige Zeit her - hat er eher die Sonnencreme vergessen als den Laptop.

Doch sein Einsatz zahlt sich aus: Mit 34 leitet er als Vizedirektor eine Abteilung mit 120 Personen. Grosse Verantwortung, grosse Anerkennung inklusive. Etwas irritierend war nur der Herzinfarkt vor zwei Jahren. Ist ziemlich viel Arbeit liegen geblieben damals… Aber nun hat er alles wieder voll im Griff - man gibt sich ja keine Blösse.

Rund 25% der Manager und Freiberufler gelten nach gewissen Untersuchungen als «krankhaft arbeitssüchtig». Doch die Zahl ist umstritten: Die Schwierigkeiten beginnen bei der Definition und enden bei der Diagnose. Und die Dunkelziffer ist hoch - denn das Verleugnen gehört zum Wesen jeder Sucht.

Der zwanghafte Umgang mit Arbeit ist zu vergleichen mit einem Drogenabhängigen oder einem Alkoholsüchtigen. Im Gegensatz zu diesen kann bei der Arbeit aber von gesellschaftlicher Ächtung keine Rede sein. Im Gegenteil.

*Wer ist gefährdet?*

Tätigkeiten ohne fest umrissene zeitliche Grenzen wie insbesondere das Management, aber auch die Selbstständigkeit, die Politik, die Kunst oder die Wissenschaft sind ideale Tummelfelder, um eine Arbeitssucht auszuleben.

Was aber ist Arbeitssucht? Arbeitssüchtige begehren ihre Arbeit, sie werden regelrecht erregt durch sie, sie ist ihr Lebenselixier. Sie definieren sich ausschliesslich über ihre Arbeit bzw. ihren Erfolg - und sie leiden unter dem Entzug. Und wie jeder Süchtige braucht auch der Arbeitssüchtige die ständige Dosissteigerung

Deshalb können sie mit freier, mit unstrukturierter Zeit nichts anfangen, sodass auch die Freizeit bestmöglich verplant und strukturiert werden muss.

Workaholics sind jedoch nicht zu verwechseln mit Personen, die zu viel arbeiten, weil sie überlastet oder überfordert sind - diesen wird ihre Zuvielarbeit meist aufgezwungen. Auch wer aus Angst um seinen Job zu viel und zulange arbeitet, ist selten süchtig.

Und gewiss gibt es Unzählige, die extrem Spass an ihrer Arbeit haben und hoch motiviert und effektiv arbeiten. Auch sie brauchen nie süchtig nach Arbeit zu werden - falls sie nicht bereits die Veranlagung dazu haben und das Arbeitsumfeld sie nicht dazu verleitet.

Krankhaft wird eine Arbeitssucht spätestens dann, wenn - wie bei jeder Sucht - das private Umfeld darunter zu leiden beginnt. Sobald soziale oder familiäre Verpflichtungen vernachlässigt werden, die Freunde Reissaus nehmen, der Verein ausser dem Jahresbeitrag nicht mehr von seinem Mitglied sieht.

Die Isolation wächst, damit auch das schlechte Gewissen, was zur Verdrängung zusätzliche Mehrarbeit nach sich zieht: Die Balance zwischen Arbeit und Nichtarbeit stimmt immer weniger.

Aber auch in der Arbeit lässt die Leistung massiv nach, solange, «bis der Betroffene irgendwann gar nicht mehr in der Lage ist, überhaupt eine Leistung zu erbringen», wie Margrit Provini, die Leiterin des UBS-Sozialdienstes, es ausdrückt. «Deshalb ist es bestimmt nicht im Interesse des Arbeitgebers, Arbeitssüchtige zu kreieren.»

*Was tun die Arbeitgeber?*

Was aber tun die Firmen, um eine allfällige Sucht frühzeitig zu erkennen: Die UBS beispielsweise sensibilisiert die Vorgesetzten und ermutigt sie, das offene Gespräch mit den direkt Betroffenen zu suchen. Auch der Sozialdienst steht zur Verfügung. Im Ernstfall wird ein Mitarbeiter krankgeschrieben und in eine geeignete Klinik gebracht - auf Entzug.

Und was, wenn der Vorgesetzte in dieser Hinsicht kein gutes Vorbild ist, da er selber suchtgefährdet ist, sich dies aber nicht eingesteht?

Für den Novartis-Arbeitsmediziner Martin Kuster ist die krankhafte Arbeitssucht ein «eher pseudowissenschaftlicher Ausdruck». Er spricht dafür von «arbeitsbedingten Erschöpfungssymptomen». Doch selbst diese träten im Konzern nur selten auf. Trotzdem stünde allen Mitarbeitenden ärztliche und psychologische Betreuung zur Verfügung.

Um allfällige Probleme innerhalb der «Manager-Population» dennoch frühzeitig zu erkennen, ist Novartis zurzeit daran, intranetbasierte Fragebögen zur Selbstdiagnose zu erstellen, mit deren Hilfe sich Führungskräfte selber beurteilen und kontrollieren können.

Doch wie weit her ist es mit der Selbsterkenntnis? Zur Erkennung und Überwindung ihrer Sucht haben die Anonymen Arbeitssüchtigen (AAS) in Anlehnung an die Anonymen Alkoholiker ihre Selbsthilfegruppen in den USA und Europa aufgebaut - einfach indem sie in ihrer Literatur das Wort Alkohol durch Arbeitssucht ersetzt haben.

Doch im Gegensatz zu Meetings der Alkoholiker finden die Arbeitssüchtigentreffen - zumindest im Wirtschaftszentrum Zürich - nur minimen Zulauf: Ganze drei Personen sind es, die an den regelmässigen Treffen teilnehmen. Und die dem Klischee entsprechenden Nadelgestreiften sucht man darunter vergebens - es sind eher die Handgestrickten, die sich dort outen.

* Name von der Redaktion geändert.

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