Es ist wohl eine der aufwändigsten Strafermittlungen, welche die Zürcher Staatsanwaltschaft III für Wirtschaftsdelikte je durchgeführt hat: jene gegen den ehemaligen Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz und seine diversen Mitstreiter. Der verfahrensführende Staatsanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel drehte dazu jeden Stein im weit verzweigten Reich des Bündner Alphabankers um.

Von komplizierten Private-Equity-Bewertungsschemata bis hin zu fatalen Bar-Bekanntschaften wurden sämtliche schillernden Facetten des Pierin Vincenz und seiner diversen Kompagnons ausgeleuchtet. All jene Ermittlungshandlungen – ob Verhöre, Einvernahmen oder Beweismittelauswertungen – unterlagen dabei stets der Geheimhaltung. Den Tatverdächtigen und ihrer Gefolgschaft aus Anwälten und Spindoktoren wurden – seit Beginn der Ermittlungen im Dezember 2017 – strenge Maulkörbe verpasst. 

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

«Statt Transparenz darüber zu schaffen, was Vincenz & Co vorgeworfen wird, leistet der Maulkorb weiteren Halbwahrheiten Vorschub.»

Was diese Interessenvertreter jedoch nicht daran hinderte, über alle möglichen Kanäle den «Gerichtssaal der Öffentlichkeit» mit Indiskretionen und Wahrheitsfetzen gezielt zu füttern. Wohl wissend, dass ein Verfahren wie die Strafsache Vincenz niemals nur vor dem Richter ausgefochten wird, sondern stets auch eine «res publica» ist.

Schliesslich erhitzt der Fall des gefallenen Volksbankers über die Justizkreise hinaus die Gemüter. Überdies flossen Millionen an Steuergeldern in dessen Aufarbeitung. Und wie im «Fall Swissair» besteht letztlich auch ein öffentliches Interesse an dessen Aufklärung beziehungsweise rechtlicher Ahndung. 

Erst Online-Medien, dann die Post

Angesichts dieser Gemengelage ist es schlicht unverständlich, dass Staatsanwalt Jean-Richard-dit-Bressel weiterhin auf eine strikte Geheimhaltung pocht. Trotz Anklage gilt nämlich der Maulkorb für alle Beteiligten bis auf Weiteres. Eine fatale Fehlentscheid. Jean-Richard-dit-Bressel, der nun nicht mehr ermittelt, sondern anklagt, sollte sich der Wirkung dieser versuchten Geheimjustiz bewusst sein. Statt Transparenz darüber zu schaffen, was Vincenz & Co nun wirklich vorgeworfen wird, leistet dieser Maulkorb weiteren Indiskretionen und Halbwahrheiten Vorschub. 

Einen Vorgeschmack darauf lieferte die gestrige Ankündigung der Anklage: Sie erfolgte nämlich auf dem Latrinenweg. Nachdem die Staatsanwaltschaft gestern Dienstag Abend die Parteien per E-Mail darüber informierte, dass die Anklage nun erfolge, machten kurz darauf ersten Schlagzeilen auf verschiedenen Online-Portalen die Runde. Ohne dass die Parteien überhaupt bereits im Besitz der Anklageschrift wären.

Sie wurde nämlich von der Staatsanwaltschaft per Post verschickt, und das kann in Corona-Zeiten bekanntlich dauern. 

Lunch Topics: Scharfe Business-News
Ihnen gefällt diese Artikel-Auswahl? Abonnieren Sie den Newsletter der «Handelszeitung»-Chefredaktion, werktags zur Mittagszeit.