Tessin: In keinem anderen Schweizer Kanton liegen mitunter Gegenwart und Vergangenheit so nah beisammen wie eben im Tessin. Diesen Eindruck gewinnt man unweigerlich, wenn man die Autobahnausfahrt Lugano-Süd wählt und sich – in südlicher Richtung weiterfahrend – 2 km weiter im malerischen Dörfchen Barbengo in einer Welt wiederfindet, die sich in den letzten 50 Jahren kaum verändert zu haben scheint. Doch auch hier ist die Zeit nicht stehen geblieben. Dies wird dem Besucher dann klar, wenn er vor dem neuen, am Dorfrand gelegenen Wohn- und Kellereigebäude von Anna Barbara von der Crone Kopp und Paolo Visini steht.

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Der ebenso schlichte wie elegante kubische Bau aus Sichtbeton und Holz besteht aus zwei durch einen verglasten Zwischengang verbundenen Teilen. Im hinteren sind die Keller- und Lagerräumlichkeiten untergebracht, im vorderen, sonnenexponierten Teil befinden sich die Empfangs- und Wohnräume. «Wir haben unsere Bleibe kurz vor der 2006er-Ernte beziehen können und geniessen es, jetzt nicht nur über genügend Platz zu verfügen, sondern auch den Arbeits- und Wohnbereich beisammen zu haben», schwärmt Anna Barbara von der Crone.

Ab 1995 die Senkrechtstarter

Das war zuvor nicht der Fall gewesen. Als Anna Barbara von der Crone und ihr Mann Ueli Kopp (beide hatten an der ETH Zürich Agronomie studiert) 1994 ins Tessin zogen, um sich gemeinsam im Mendrisiotto dem Weinbau zu widmen, wählten sie Castel San Pietro als ihr Wohndomizil aus. Die gemieteten Kellerräumlichkeiten befanden sich jedoch in Meride, und die bewirtschafteten Reben verteilten sich auf Parzellen in Castel San Pietro und in Sementina im Sopraceneri. Später konnten sie in Barbengo einen vergandeten Rebberg dazupachten, den sie neu terrassierten und bepflanzten. 1995 erzeugte das Paar den ersten Jahrgang. Nur wenige Jahre später zählten ihre beiden Rotweine – der elegante reinsortige Merlot Gorla (heute Gota) und die vollmundig-komplexe Cuvée Balino (heute Balin) – bereits zu den Tessiner Vorzeigeweinen.

Tragischer Unglücksfall

Dann geschah vor sechs Jahren das Unfassbare: Der passionierte Bergsteiger Ueli Kopp wurde von einer Lawine in den Tod gerissen. Anna Barbara von der Crone stand mit ihren vier Kindern vor dem Nichts. «Mit einem Atemzug wurde alles ausgelöscht», erinnert sie sich. «Doch was ich dann erlebte, vergesse ich nie. Kollegen, Familie und Freunde standen mir bei und boten spontan ihre Hilfe an.» Einer von ihnen war der Winzerkollege Paolo Visini, der in Pedrinate bei Chiasso ein kleines Weingut führte. Der im Zürcher Oberland aufgewachsene Visini hatte nach Abschluss seiner Winzerausbildung einen Rebberg in Pedrinate und später einen weiteren in Obino (Castel San Pietro) gepachtet. «Im Abstand von zwei Wochen pendelte ich zwischen Zürich und dem Tessin. 2001 liess ich mich dann endgültig hier nieder. Da mich mein eigener Betrieb nicht voll auslastete, war es mir möglich, Anna Barbara zu helfen», erzählt Paolo Visini. Und da jeder des anderen Weine schätzte und man zudem die gleichen Vorstellungen hatte, beschlossen die beiden, ihre Betriebe zusammenzulegen. Aus der anfänglich beruflichen Gemeinschaft entwickelte sich in der Folge auch eine private Partnerschaft. Nahe liegend, dass von der Crone und Visini im Neubau am Dorfrand von Barbengo nicht nur ihre Weinkeller, sondern auch ihre Wohndomizile zusammenlegten.

Merlot setzt Schwerpunkt

Auf den auf vier Anbaugebiete verteilten 8 ha Rebland kultiviert das Winzerpaar neben dem Merlot, auf den der Löwenanteil entfällt, diverse weitere rote und – an kühleren, höheren Lagen – weisse Rebsorten. Zu Letzteren zählen Varietäten, die im Tessin kaum angebaut werden, so etwa der aus dem französischen Rhonetal stammende Viognier, der Sauvignon blanc, der im Piemont heimische Arneis und der aromatisch-knackige Kerner, eine Kreuzung aus Trollinger und Riesling, der vorab in Deutschland, Österreich und Südtirol kultiviert wird. Bei den roten Sorten handelt es sich um diverse klassische Sorten aus dem Bordelais: Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Petit Verdot und Malbec sowie Arinarnoa, eine wenig bekannte Kreuzung zwischen Merlot und Petit Verdot, die vor allem in Assemblagen Verwendung findet. «Fünf weisse und sieben rote Weine füllen wir ab», kommentiert Paolo Visini. «Natürlich könnten wir bei den Rotweinen die Zahl der Etiketten reduzieren, aber uns fasziniert es zu versuchen, die Charakteristiken der verschiedenen Anbaugebiete herauszuarbeiten.» Terroirbedingte Unterschiede sind besonders bei den beiden reinsortigen, identisch vinifizierten Merlotgewächsen Tinello und Gota festzustellen. Während Ersterer auf mineralischen, kalklosen Böden gedeiht und sich in der Jugend säurebetont, nervig-streng präsentiert, stammt Letzterer von kalkhaltigen, sandig-lehmigen Böden und zeichnet sich durch einen vollen, weichen Körper aus.