Romeo Deplazes, Energie 360° nutzt heute bereits lokal vorhandene thermische Energie für nachhaltige Wärmeversorgung. Warum sind Rechenzentren eine weitere interessante Abwärmequelle?
Rechenzentren laufen 24/7 und erzeugen konstant Abwärme von rund 30 Grad. Diese kann mit Wärmepumpen auf 75 Grad erhöht und anschliessend ins Fernwärmenetz eingespeist werden. Mit der voranschreitenden Digitalisierung nimmt das Abwärmepotenzial von Rechenzentren langfristig zu. 

Können Sie das konkretisieren?
Durch vermehrte Cloud-Angebote, die Nachfrage nach KI-Diensten und rasant wachsende Datenmengen braucht es neue und grössere Rechenzentren. So steigen die Rechenleistung und der Stromverbrauch kontinuierlich – und damit die Abwärme,
die wir zum Heizen nutzen können.

Was tut Energie 360°, um dieses Potenzial zu erschliessen?
Wir sehen Rechenzentren als eine strategische Wärmequelle der Zukunft. Deshalb bringen wir unser technisches und planerisches Know-how gezielt und möglichst frühzeitig in neue Projekte ein. Projekte wie diese gelingen nur, wenn alle Parteien frühzeitig eingebunden sind und gemeinsam Verantwortung übernehmen. Wir beraten Gemeinden und Rechenzentrenbetreibende bei neuen Standorten, entwickeln skalierbare Wärmeverbünde und setzen auf moderne Technologien. Ziel ist es, solche Lösungen nicht nur punktuell, sondern langfristig im grossen Stil und flächendeckend umzusetzen.

Energie 360

«Unsere Kundschaft profitiert von einer nachhaltigen Lösung mit einer hohen Energieeffizienz», sagt Dr. Romeo Deplazes, stv. CEO von Energie 360°.

Quelle: Luca Rueedi

Ihr Unternehmen realisiert in Dielsdorf einen Energieverbund, der ab 2026 die Abwärme der drei Rechenzentren des ICT-Unternehmens Green nutzt. Ein zweiter Energieverbund dieser Art ist in Volketswil im Bau. Was haben Sie von diesen Projekten bisher gelernt?
Zentral ist die enge Zusammenarbeit aller Beteiligten – von der Gemeinde, den Rechenzentrenbetreiberinnen und -betreibern über Planerinnen und Planer bis zu den Verbundskundinnen und -kunden. Es ist eine Vision, die wir verfolgen, aber als Unternehmen allein nicht erreichen können. In Dielsdorf und Volketswil zeigen wir, dass solche Kooperationen gut funktionieren. Eine weitere Erkenntnis: Solche Projekte verlaufen nicht gradlinig. Dazu braucht es eine offene Herangehensweise und hohe Agilität in der Planung und Umsetzung. 

Gleichzeitig bleibt die Technik nicht stehen. Wie verändert das die Art, wie wir Wärme aus Rechenzentren gewinnen?
Das stimmt, Rechenzentren entwickeln sich laufend und rasant weiter. Neue Kühltechnologien wie Flüssigkeitskühlung machen es in Zukunft noch einfacher, die entstehende Abwärme gezielt und effizient zu nutzen. Ausserdem werden moderne Rechenzentren so gebaut, dass sie auch für zukünftige Technologien gerüstet sind. 

Rechenzentren werden laufend optimiert. Bleibt da noch genügend Abwärme übrig?
Effizienz bedeutet nicht, dass keine Wärme anfällt. Der Abwärme-Abfall ist nämlich direkt mit dem Strombedarf eines Rechenzentrums gekoppelt. Und der wird in Zukunft eher zunehmen. Moderne Anlagen weisen einen PUE-Wert (Power Usage Effectiveness) von teils unter 1,2 auf. Das heisst, dass die gesamte Anlage 1,2-mal so viel Strom benötigt, wie die Rechner allein brauchen. Am Ende wird aber praktisch der gesamte verbrauchte Strom in Wärme umgewandelt.

Können Sie das erläutern?
Das bedeutet, dass nur rund 20 Prozent des eingesetzten Stroms für den Betrieb der Kühlung, der Beleuchtung und der Infrastruktur des Rechenzentrums benötigt werden. Der übrige Strom geht in die Rechner und wird somit in Wärme umgewandelt. Auch wenn moderne Anlagen energieeffizient funktionieren, entsteht sehr viel Abwärme. 

Und was heisst das nun konkret für die Abwärmenutzung?
Entscheidend ist, die thermische Energie möglichst überall – das heisst: möglichst nahe beim Rechenzentrum – nutzen zu können. Zudem entstehen neue regulatorische Rahmenbedingungen: Eine Pflicht zur Wärmenutzung bei neuen Rechenzentren ist in Diskussion. Das wäre ein sinnvoller Schritt – und würde Projekte wie unsere zusätzlich stärken.

Nachhaltige Energie und Elektromobilität

Energie 360° macht nachhaltige Energie in der ganzen Schweiz nutzbar. Das Unternehmen mit Sitz in Zürich und Lausanne plant, baut und betreibt Energielösungen, investiert in Solaranlagen und ist führend bei Biogas, Holzpellets und E-Ladestationen.

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Wie unterscheidet sich diese Form der Abwärmenutzung von anderen wie Holzschnitzel, Seewasser oder Kehrichtverbrennung?
Rechenzentren liefern konstant verfügbare Abwärme – und das auf einem vergleichsweise hohen Temperaturniveau. Im Gegensatz dazu haben wir bei der Nutzung von Seewasser eine deutlich tiefere Grundtemperatur, was den Effizienzgrad senkt. Holzschnitzel wiederum sind mit erheblichem logistischem Aufwand verbunden und Holz ist eine beschränkte Ressource, die nur genutzt werden sollte, wenn keine Alternativen vorhanden sind. Und Kehrichtverbrennungsanlagen befinden sich oft ausserhalb von Ballungszentren, fernab von potenziellen Wärmeabnehmerinnen und -abnehmer. Rechenzentren hingegen können in der Nähe von Ballungszentren und Städten erstellt werden und erzeugen ganzjährig planbare thermische Energie – genau dort, wo sie gebraucht wird. 

Wie stellen Sie sich die Rolle von Rechenzentren in der Energieversorgung der nächsten Jahre vor?
Rechenzentren werden zu einem selbstverständlichen Teil der Wärmeversorgung. Wir sind bereits an der Realisierung zweier Grossprojekte, bei denen die entstehende Abwärme in Fernwärmenetze eingespeist wird, die sich über Gemeindegrenzen erstrecken. Und weitere sollen folgen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in starken Partnerschaften und der Weitsicht, solche Entwicklungen voranzubringen, und natürlich im Know-how. Damit kann unser Unternehmen einen Beitrag dazu leisten, die Digitalisierung und nachhaltige Wärmeversorgung zusammenzubringen. Und unsere Kundschaft profitiert von einer nachhaltigen Lösung mit einer hohen Energieeffizienz. Was heute noch Pionierarbeit ist, wird hoffentlich zum Standard.