Sie war einst das grösste und modernste Konzerthaus Deutschlands. Nicht ganz mittenmang, aber auch nicht ganz weit draussen. Am Rand des sich erweiternden Hamburger Zentrums, gerade noch repräsentativ. Unauffällig gehalten im neobarocken Stil des damaligen Historismus. Backstein mit Stuckschnörkel unter keckem Kupferdachhut, rundlich und bequem wie Urgrossmutters Kommode. Wie diese auch ist sie inzwischen ein wenig ausgeleiert, die Laeiszhalle am Johannes-Brahms-Platz, lange einfach nur Musikhalle genannt.

Ab dem 11. Januar werden neue Zeiten anbrechen für den schönen, alten Schuhkartonsaal mit der charakteristischen Glasdecke und den zwei Rängen, wo man in ergonomisch grausamen Sitzen die Knie zusammenquetscht und zum Teil mit extrem verdrehtem Kopf auf die beiden bulligen Logen links und rechts neben der Orgel blickt. Denn draussen im Hafen, da steht bereits die Elbphilharmonie. Im November brüstete sie sich mit einzeln erleuchteten, zu riesigen Buchstaben geformten Fenstern: «FERTIG». Sieben Jahre zu spät, aber immerhin.

Und seit dem neuen Jahr läuft, wiederum als Lichtzeichen, der gigantische Countdown bis zum kommenden Mittwoch, wenn unter eher unhanseatischem Gedöns um halb sieben am Abend Bundespräsident Joachim Gauck die sicher wohlgesetzt feierlichen Eröffnungsworte sprechen wird. Und dann alle atemlos warten, wie unter dem Chefdirigenten Thomas Hengelbrock die bisher von niemandem öffentlich vernommene, superteuer beim japanischen Klangguru Yasuhisa Toyota bestellte Akustik sein wird.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Alles wird anders

Die Töne des ersten Stückes Musik, von dem auch offiziell noch keiner weiss, welches es ist, werden dann vom Gipsfasernetz reflektiert, das sich wie eine Matrix über die fast quadratische Raumhülle legt.

Und was wird dann aus der Laeiszhalle? Schon die angekündigten ersten beiden Abende in Konkurrenz zum neuen Haus zeigen, dass alles anders werden wird. Wenn drüben, auf dem alten Kaispeicher, gefeiert und geprostet wird, gibt es am Brahmsplatz das «Bunker Slam Finale» mit Europas besten Spontandichtern im Wettbewerb. Tags darauf feiert dort Gospelsängerin Queen Esther Marrow ihren Bühnenabschied, während im Kleinen Saal Saudade und Fado erklingt.

Weltmusik als Zukunft

Hier sollen künftig mehr Weltmusik und Jazz eine Heimat finden, Buchungen gibt es angeblich genug. Der NDR bleibt mit der Serie «Das Alte Werk» in der Laeiszhalle, ebenso ein privater Veranstalter mit seiner renommierten Pianistenreihe. Der Anker muss aber Hamburgs drittes, finanziell nicht eben rosig gebettetes Orchester, die Symphoniker, sein, die weiter nur hier spielen.

Doch noch ist das gute, auch gut klingende Stück auch ebenso gut besucht. Sehr gut sogar. Denn in den traditionellen Reihen der beiden grossen örtlichen Orchester sitzen viele neue Abonnenten, die eigentlich nur auf Plätze in der neuen Elbphilharmonie heiss sind. Sie füllen bis zum 11. Januar schon mal die 2000 Sitze im grossen Saal. Und quetschen sich durch das repräsentative, aber eben doch enge Treppenhaus, vorbei an der Marmorplatte mit den Porträts der edlen Stifter, hin zu den Garderoben, an denen sich die üblichen Schlangen gebildet haben.

Ein bunter Klassikhaufen hat sich da versammelt und wartet auf die fast liebevoll abgegriffenen, im Dauereinsatz polierten Metallmarken: sehr gediegene Hamburger Bürgerlichkeit, die sich die Plätze weitervererbt, Klassikliebhaber, aber auch erstaunlich viel Jungvolk. Da mischen sich harmonisch weisse Wasserwellen und lange Hipsterbärte.

Pünktlich und im Kostenrahmen

Die Einweihung dieser Halle fand am 4. Juni 1908 statt. Gebaut mit einem Grundstock von zwei Millionen Mark, den der Hamburger Reeder Carl Laeisz und seine Witwe Sophie genau dafür testamentarisch der Stadt vermacht hatten. Errichtet ab 1903 unter der Leitung der heute vergessenen Architekten Martin Haller und Emil Meerwein auf einem von der Stadt gestellten Grundstück am Wallring. Pünktlich und im Kostenrahmen. Hanseatisch korrekt.

Von der feinen Zurückhaltung vergangener Zeit ist an den letzten Abenden nicht mehr viel zu spüren. Schon in der viel zu kleinen Kassenhalle, wo die Verkaufskräfte hinter Glasschlitzen residieren, ist alles verstellt mit neumodischem Marketingmaterial, das mit laut schreienden Buchstaben von der Größe des unerhörten kommenden Ereignisses kündet.

Ein Projektor preist hell das NDR Elbphilharmonie Orchester an. Früher hiess es nur NDR Symphonieorchester Hamburg. Den neuen Namen hat sich die Rundfunkanstalt zusammen mit dem Erstgebrauchshausrecht für viele Millionen von der Stadt gekauft.

Es rumpelt und klirrt im Saal

Für Rachmaninows finale Sinfonische Tänze hat das Orchester sogar vorn ans Podium angebaut, was zwei Reihen kostet und die Musiker noch unangenehmer über dem vorderen Publikumsteil thronen lässt. Und am Ende quetscht es sich da oben trotzdem gewaltig. Gedrängelt klingt es dann auch in dem instrumentalen Showpiece. Es rumpelt und gellt im Forte. Die Decke scheint mitzuklirren, das Orchester mischt sich nicht mehr. Besonders das viel zu weit hinten sitzende Blech trötet gellend aus der Komfortzone.

Dabei ist der tschechische Maestro Juraj Valčuha durchaus ein Leisetreter, mit feinen Pianisssimi-Akzenten im impressionistisch gestrichelten «Verzauberten See» von Anatoli Ljadow, der in seiner Transparenz dem klaren Klang der Halle gut ansteht. Auch Cellist Truls Mørk kann in Sergej Prokofjews Sinfonischem Konzert für Cello und Orchester e-moll alle Nuancen von zart bis hart abrufen, ohne dass es im Saal knallt.

Beschränkter Platz

Positiv gestimmt eilt alles in die Pause – wo man freilich im oberen Foyer, rund um Max Klingers metaphysisch skurrile Brahms-Statue im Jugendstil, unbedingt vorbestellt haben muss. Dann lassen sich appetitliche Schnittchen und gar ganze Käseteller entspannt konsumieren, während die Spontanentscheider kaum in den Gastrobereich vordringen oder in endlosen Schlangen festklemmen. Doch warum sollen die zahlenden Gäste es besser haben als die Musiker backstage, wo wirklich allergrösster Investitionsbedarf herrscht?

Das wird in der Elbphilharmonie auf jeden Fall besser. Da ist man zwar auch hinter der Bühne im Platz eingeschränkt, aber es herrscht helle, praktische Moderne. So wie in den offenen, immer neue Perspektiven öffnenden Treppenhäusern und an den dezentralen Büffets. Die wurden eben, das ist ja fast schon wie eine Duftmarke für Prestigekulturbauten, von Sasha Waltz zur «Figure humaine» nobilitiert mit etwas getanztem Kunsthonig getauft. So wie früher von Reedersgattinnen oder Helene Fischer beim Schiffsstapellauf. Solches modische Beiwerk wäre aber in der gediegenen Laeiszhalle irgendwie fehl am Platz.

Die letzten Abende

Auch das Hamburgische Staatsorchester, das vornehmlich in der Oper seinen Tondienst versieht, hat noch einen letzten Auftritt in der alten Halle. Der Spanier Gustavo Gimeno führt die Philharmoniker genüsslich locker durch Prokofjews klassisch zirpende 1. Sinfonie und später mit temperamentvollem, nie fettem Gusto durch Rimski-Korsakows schwülstig-violinsatte «Scheherazade». Und dazwischen geigt Augustin Hadelich ein sympathisch lyrisches, fast schon neutral-objektives Mendelssohn-Konzert, das nicht dauern schräg verzerrt «Ich» brüllt.

Und so vergehen die letzten Abende in einer ordentlichen, würdigen, aber heute nicht mehr wirklich optimal bespielbaren Halle mit zwei gehobenen Mittelklasseorchestern. Sie waren Hamburg, die Musicalstadt. Jetzt kommt etwas Neues, dessen wahre Grösse sich erst noch beweisen muss. Die Klassikplätze sind verdoppelt, und der neue Konzertprachtbau im Hafen soll die Stadt zur Musikmetropole machen.

 Die Kontributoren sind externe Autoren und wurden von bilanz.ch sorgfältig ausgewählt. Ihre Meinung muss nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.