Beim ersten Mal ist Abstand gefragt. Zehn Meter Entfernung sind ideal. Wenn Sie dann hinschauen auf die neue Triumph, gibt's ein Déjà-vu: Das kennt man doch, das hat man schon mal gesehen. Eine Triumph, eine Bonneville, klassischer englischer Motorradbau der 60er-Jahre. Danach schaut es jedenfalls aus, bei allem, was sich aus zehn Metern Entfernung erkennen lässt.

Abgesehen von der 750er Moto Guzzi V7, der Kawasaki W 800 und Hondas CB 1100 gibt es kein weiteres Serienmotorrad auf dem Markt, das aus der Trommelbremsen-Epoche der 60er-Jahre zu stammen scheint – und doch fabrikneu ist.

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Das Retro-Aussehen täuscht über Kunststoff-Hülle hinweg

Die neue Triumph Bonneville 900 Street Twin ist durch und durch neu konstruiert, ein Retro-Bike. Sie ist der zum Verwechseln ähnliche Wiedergänger eines der technisch grossartigsten, charismatischsten Motorräder aller Zeiten, der legendären Triumph Bonneville 650 von 1959.

Das Seltsame ist: Das neue, wassergekühlte, mit ABS, Einspritzung, Traktionskontrolle und digital übersetztem Gasgriff bestückte Modell sieht klassischer designt aus als das Original. Der Wasserkühler liegt ausserhalb des Blickfelds, und von Kabeln, Schläuchen, der Einspitzanlage ist überhaupt nichts zu sehen.

Mit dem Knöchel ans Material geklopft ist dann aber schnell klar, dass die Neue alles andere als ein öliger Haufen ehrlich zusammengeschraubten Eisens ist. Das Scheinwerfergehäuse aus Kunststoff, der Sprengring dazu auch, ebenfalls die Kotflügel vorn und hinten, sogar die Getriebegehäuseabdeckung mit dem Kettenritzel dahinter.

Genussvoller Sound

Aber kommt es darauf an? Wo immer die neue Bonnie auf den Seitenständer abkippt – es werden immer und sofort welche davor stehen, die sich nicht satt an ihr sehen können.

Der Höhepunkt der Show kommt aber erst noch, mit Zündschlüssel und Starterknopf. Der Sound ist ein Genuss, die 900-Kubikzentimeter-Maschine gibt das erhoffte, kräftige Bollern zum Besten. Das Triumph-Team hat dabei mit einem modischen Kniff nachgeholfen: Auch die neue Bonnie zündet ihren Reihen-Zweizylinder weder gleichzeitig noch exakt abwechselnd, sondern genau dazwischen. Das ergibt ein schönes, raues Brazzeln.

Mehr als auf den ersten Metern geht nicht

Gang rein, die Kupplung geht extrem leichtgängig. Die Bonnie marschiert los, mit mächtig Druck auf den ersten Metern. Zweiter Gang, dritter, vierter, alle schnell hochgeschaltet. Und dann?

Das war's auch schon. Wer gehofft hatte, die neue Bonneville hätte dieselbe Power, den gleichen halbstarken Rowdy-Spirit wie das Original von vor 57 Jahren, mit Typen wie Steve McQueen oder Bob Dylan im Sattel – der zieht auf der gesteppten Sitzbank der Neuen ein langes Gesicht.

Sport-Bike mit wenig Spirit

Es sieht schon im Stand seltsam aus, dass die kleine Bonnie im runden Einzeltachogehäuse alles Mögliche beziffert. Alles, ausser der Drehzahl. Nach ein, zwei Kilometern Autobahn ist klar, warum es den Drehzahlmesser wirklich nicht braucht.

Der Maschine vergeht spätestens bei 5000 Umdrehungen pro Minute die Lust nach mehr. Schon bei 6900 läuft sie in den Begrenzer, bei 172 Stundenkilometern Spitze. So steht es auch in den Papieren.

Die Street Twin ist ein hinreissend schönes Sport-Bike mit einem Fahrwerk, das sich zwar nicht einstellen lässt, aber mehr als nur ordentlich funktioniert. Dazu kommt eine zupackende Einscheibenbremse, ein modernes ABS, Gussräder und eine ungewöhnlich niedrige Sitzposition.

Das alles ist prima, neuester Stand. Bis auf die eine Sache.

Fremder Motor im richtigen Körper

Triumph stellt die Street Twin zwar als klassisches Sportmotorrad hin. Aber dazu will der Motor nicht passen. Er ist fremd, er fühlt sich falsch an in der Bonneville. 900 Kubikzentimeter, 80 Newtonmeter Drehmoment und nur 55 PS – es sind die typischen Motor-Charakteristika eines Choppers, wie ihn von Honda bis Yamaha alle bauen.

Zwar schiebt der Motor von unten an. Aber für einen sportlich durchgezogenen Sprint reicht die Drehmomentwelle bei Weitem nicht. Wer bei Tempo 120 an einem Polo oder Fiesta vorbeiziehen will, sollte sich das vorher gut überlegen.

Für Café- und Bürofahrer genau richtig

Die Street Twin wiegt vollgetankt 215 Kilo, sie kostet 8900 Euro (plus 450 Euro Nebenkosten). Wer sich mit Retro-Lederjacke und Nostalgiehelm zum Café oder zum Büro bewegt, sitzt genau richtig auf ihr.

Alle anderen erwarten zu Recht den Sportsgeist dazu, und das sind mindestens 20 PS mehr. Allerdings hat Triumph für dieses Frühjahr zwei weitere Bonneville-Modelle angekündigt, die T120 und die Thruxton. Beide mit grossem 1200er Motor und mehr PS.

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