Vielleicht ist sie ein bisschen schwer. Aber das sind die Konkurrenten auch. Oder vielleicht klingt «Aprilia» zu italienisch, nach Unzuverlässigkeit. Oder, auch möglich, dass kaum jemand in Deutschland eine Caponord zu Gesicht bekommen hat in den vergangenen zwei Jahren. Jedenfalls versteht das heute kein Mensch, warum diese globale Abenteuer- und Reisemaschine wie geschnitten Brot geht in den USA, aber bei uns kaum auf die Strasse kommt.

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81 Exemplare hat Aprilia im vergangenen Jahr von der Caponord 1200 in Deutschland verkauft. Vielleicht ist es aber auch nur so, dass die Leute von Aprilia selber Schuld am Elend sind. Warum? Weil sie zwar 2013 ein Motorrad namens Caponord 1200 ABS auf die Räder stellten. Aber erst jetzt, in diesen Tagen, eine Maschine aus den Werkshallen rollen, die sich Caponord 1200 ABS Rallye nennt. Ein Motorrad, zu dem es nur einen Kommentar geben kann: Die ist es, die wäre es von Anfang an gewesen, damit hätten sie gleich herausrücken sollen.

Wenn man es mal generaliter und markenübergreifend sagen soll, dann ist die neue Aprilia das Gleiche wie die BMW R 1200 GS, die Ducati Multistrada 1200, die KTM Adventure 1050 bis 1290 oder die Suzuki V-Strom 1000. So ziemlich das Gleiche, bloss in grün. Also eine erzbequeme, fernreisetaugliche, flinke Strassen-Enduro mit rund 1200 ccm, sattem Drehmoment (115 Nm bei 6800 U/min), ordentlich Leistung (125 PS bei 8000 U/min) und nicht gerade zierlichem Gewicht: 275 Kilo (vollgetankt, mit Koffern und Zubehör).

Dafür verkraftet sie aber auch üppiges Reisegepäck und hintendrauf eine, sagen wir, gesetzte Person. Könnte etwas dran sein an der chauvinistischen Behauptung, dass es technische Nationalcharaktere gibt, also das typisch italienische, das typisch deutsche, das typisch amerikanische Motorrad? Natürlich gibt es das, man merkt es an der neuen Caponord.

Controller bekommen Magengeschwüre

Sie ist der Beweis, sie ist das Denkmal, sie ist die reine Show typisch italienischer Eitelkeit. Es gibt im Umfeld kein Konkurrenzmodell, das die Designer und Ingenieure bis auf die Unterseite des Hinterrad-Spritzschutzes mit ihrem Bedürfnis verfolgt hätten, das schönste, gediegenste Motorrad zu bauen, auch wenn die Typen von der Kostenkalkulation davon Magengeschwüre kriegen.

Die Caponord hat Schrauben aus Edelstahl bei Gelegenheiten, die nur ein professioneller Mechaniker wahrnehmen wird. Oder die Hydraulikröhrchen für die ABS-Anlage – elegant aneinander geschmiegt wie Varieté-Girls oder bei den Reihenvierzylinder-Hondas die Auspuffkrümmer. Anderes Beispiel, vorn der Motorschutz. Das ist keine Verkleidung, das ist kein Kunststoff, das ist Blech, und zwar ordentliches. Oder das Heck.

Da braucht es schon ein gebeugtes Knie, um die edel designten Kiemenschlitze an der Unterseite bewundern zu können. Aber der fast schon lächerliche Höhepunkt ist doch dieses kleine Acrylglas-Fensterchen, das diese Typen von Aprilia tatsächlich nur deswegen in ein Rahmendreieck montierten, damit man dahinter den Zylinder sieht. Speziell gemeint ist die Nockenwellen-Kappe aus blitzsauber leuchtendem Weiss-Aluminium.

Das fällt ins Auge und deshalb unterstützen wir hier den heimlichen, unterdrückten Wunsch der Aprilia-Designer nach einer LED hinter der Scheibe wie bei der Tachobeleuchtung.

Loch im Tank

Gutes Motorrad, schrieben die Tester bei der Präsentation der Ur-Caponord 1200 vor zwei Jahren. Aber dann kam bei allen ein Komma und das Aber. Davon gab es zwei, beide gemünzt auf den Motor. Erstens sei der wie ein Loch im Tank. Zweitens käme der beim Hochdrehen an einem Drehmomentloch vorbei.

Und zwar an einer Stelle, die wehtue. Dieser Schlag traf die Leute von Aprilia nach einer vorangegangenen Schmach, den kapitalen Kurbelwellen-Schäden am Supersportler-Spitzenmodell RSV4R. Aprilia hat 54 Weltmeistertitel eingefahren, Aprilia hält technisch und im Ergebnis auf Rennstrecken eine Spitzenposition.

Und jetzt der Caponord-Motor und seine Schwächen – in Italien erkannte man eine Frage der Ehre. Aber danach sehen jetzt die technischen Lösungen aus an der neuen Caponord Rallye: Zwei Zündkerzen, zwei Einspritzdüsen, vier Ventile pro Zylinderkopf, das alles gut aufeinander abgestimmt und am Gasgriff nicht über Seilzüge, dafür aber elektrisch gesteuert. Der Drehmomentverlauf ist jetzt mustergültig, der Verbrauch, bei unserer Testfahrt über 150 Kilometer, forsche Gangart, war 6,7 Liter, was in Ordnung geht.

Das präzise funktionierende "Ride-by-Wire" hat Aprilia als erster Hersteller vom Sport in Serien-Motorräder übertragen. Aber in der Hauptsache kriegte Aprilia den Motor der Rallye mit einer computergelenkten Abgasklappe in den Griff, und einem Helmholzresonator vor dem Endschalldämpfer.

Maschine läuft geschmeidig

Das alles ergibt ein kraftvolles, wuchtiges Bollern, Ein fetter Sound, wie eine gediegene Macht. Der mächtige Hubraum ist deutlich zu hören. Die Maschine zieht kräftig, tücken- und lochfrei durch, ein spielerischer Kraftmeier. So kurz vor 6000 U/min geht eine kernigere Drehzahlstrecke los, die Caponord kriegt so etwas wie eine feinrauhe Gänsehaut, und aus dem Zweizylinder kommt ein Schub, ein begeisterter Vorwärtsdrang, als spüre der Sprinter die Ziellinie oder als wittere das Pferd den Stall.

Die Maschine läuft mechanisch rund, geschmeidig, über den erstklassig funktionierenden elektronischen Gasgriff geht er zudem so gut, so selbstverständlich zur Hand, dass es über den Vorsprung der besten Konkurrenten heissen muss: Weiter vorn liegt jedenfalls keiner.

Im Vergleich zu den sportlichen Adventure-Modellen von KTM fällt an der Caponord Rallye die extreme Kurvenwilligkeit auf und beim Fahrwerk das klare Bekenntnis für die weiche, bequeme Route durchs Leben. Beim Rahmen, bei der neuen Fahrwerksgeometrie macht den Rennsport-Profis von Aprilia zwar niemand etwas vor, da stimmt alles, Stabilität, Wendigkeit, kein Gewackel bei höherem Tempo.

Aber wenn es mit Schmackes über schnelle, kurvige und gern auch schlecht asphaltierte Landsträsschen mit Steigungen und Serpentinen gehen soll, dann tut man gut daran, rechts ranzufahren. Dann braucht der Bordcomputer sein Gedenk- und Programmierstündchen, dann befasst man sich erst mal mit dem, was alle Ingenieure so lieben, wo alle Marketingagenturen in halbfetten Prospektdruck übergehen und was jeder gute Motorradfahrer derart hasst und fürchtet, dass er sich befreien will von diesem ganzen verdammten Elektronikelend – mit einem Knips vom Seitenschneider in den Kabelbaum.

Hand ans Lenker geklemmt

Es gibt einen Tempomaten serienmässig, es gibt eine dreistufig einstellbare Traktionskontrolle, es gibt, und da reicht es aber wirklich, sogar eine bordeigene Bluetooth- und dazu noch eine WiFi-Funkverbindung, die tief aus der Motorrad-Elektronik heraus sendet. Was das soll? Es gibt eine App von Aprilia für alle Android- oder Apple-Smartphones, die den Fahrer mit jedem einzelnen Elektron im Motorrad verbindet.

Also klemmt man sich das Handy an den Lenker und das Motorrad funkt aufs Smartphone den momentanen Neigungswinkel, die Luft-, die Wasser- die Öltemperatur, die Zeit, alle denkbaren Entfernungen, die Navigationsdaten, wie schnell man wo auf den Meter genau war, wie viel das Hinterrad gerade durchdreht – einfach alles, auch das was keine Sau interessiert. Allerdings gibts am Dashboard im Cockpit auch die Lösung für alle, die ein härteres, sportlicheres Fahrwerk wollen.

Das Federbein hinten stellt sich zwar per Sensoren und Computer automatisch auf die Beladung ein – weltweit einzigartig, behauptet Aprilia. Aber es reagiert auch auf den Wunsch, mit harten Bandagen durch die Kurven zu radieren.

Eine ausgefuchste Sache gibt's an der Aprilia, die softwaremässig und mechanisch zu den besseren Herausforderungen gehört, denen man sich als Ingenieur stellen kann. Sie funktioniert spektakulär, und es ist eine der ganz seltenen Gelegenheiten, die der Fortschritt nutzt, um zuzuschlagen. Und zwar mit dem Hammer.

Das in der Caponord Rallye verbaute semiaktive Fahrwerk wird dieselbe Zukunft haben wie das ABS, weil es genauso unauffällig und genauso effektiv einen Mordsjob erledigt. Innerhalb von Hundertstelsekunden passt das System die Dämpfung auf die Zumutungen der Strasse an. Beeindruckend die Radikalversuche an Temposchwellen vor Ortseingängen.

Spektakuläres, semiaktives Fahrwerk

Die sind immer noch deutlich spürbar. Aber es hebt nicht mehr den Hintern aus dem Sattel. Begeisternd die glatte, satte Strassenlage bei miesen Strassen mit aufgeworfenem Belag. BMW, Ducati, KTM haben das Thema auch schon umgesetzt. Aber an der Caponord wird klar, dass in der Motorradwelt nach dem ABS und der elektronischen Einspritzung noch neue Standards möglich sind. Dieses reaktive Fahrwerk, das in Echtzeit die ideale Abstimmung für das Schlagloch einstellt, in das der Reifen gerade fällt, macht alles fachgesimpelte Fahrwerks-Guru-Geschwätz von Klicks und persönlicher Druck/Zugstufeneinstellung überflüssig.

Das semiaktive Fahrwerk der Caponord ist ein Fortschritt, ein technischer Gewinn. Der ist so überzeugend, dass er sich generaliter durchsetzen wird. An der Caponord Rallye probieren die Italiener aus, was für japanische und koreanische Autos typisch war: Alles drin im Preis (16.390 Euro), also auch das computergesteuerte Fahrwerk, die Sturzbügel ringsum, die grossen Seitenkoffer aus Alu, die sich eng ans Motorrad halten, Drahtspeichenräder.

Das vordere ist mit 19 Zoll sozusagen eine Nummer grösser als bei der bisherigen Standard-Caponord. Das Beste daran wird wohl kaum die theoretisch bessere Geländegängigkeit sein.

Das Beste daran ist, dass das grössere Rad dem Motorrad zur schönen, stimmigen Gesamterscheinung verhilft. Im Vorfeld zur Präsentation der neuen Caponord Rallye war die Erwartungshaltung nicht besonders hoch. Es hat dann eine um sich greifende Überraschung gegeben. Die Caponord, das ist jetzt Allgemeingut, ist ein krass unterschätztes Motorrad.

Die Reise zur Präsentation der Caponord wurde unterstützt von Aprilia. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/unabhaengigkeit

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