Sommer, Sonne, Meer, gepaart mit einem hyperventilierendem Bewegungsbedürfnis eines Kreativen treibt im +50 Teststosteronblues seltsame Blüten – so ist es denn auch mir am sommerlichen Atlantikstrand in Donostia ergangen. Denn ich konnte es nicht mehr ertragen, diese hochästhetisch dahinsurfende Gemeinde aus gestählten, wohlgeformten Körpern gedeckelt von perfekt sitzenden Nassfrisuren zu betrachten, ohne dabei sein zu wollen oder zumindest den Versuch zu starten, in diesem mond-gesteuerten Gezeitenkunstwerk ein gleitendes Pixel zu werden.

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Als erstes hatte ich deshalb, ganz designkonform, die Surfschule mit dem besten grafischen Corporate ausgesucht und mich kurz nach der Ankunft samt Surflehrer als Methusalem einer Anfängergruppe ins Meer gestürzt. Als dann die ersten theoretischen Diskurse mit Begriffen wie «Channel», «orbital moving» und «Sets» im Trockensumpf des feinkörnigen Sandes absolviert werden mussten, war ich zuerst enttäuscht, aber gleichzeitig überrascht, dass ich es mit einer wellenbegeisterten, marketinggetriebenen Fraktion, flankiert von einer esoterisch mit Atlantikwasser geimpften Wissenschaftlichkeit, zu tun bekam. 

Die wohlige Unausweichlichkeit des Wellengangs

Beim Eintauchen in die Brandung machte sich das Gefühl einer gestaltungsnahen Welt breit, die mich, anders als die Skylla und Charybdis einer dauerpitchenden Kreativwelt, mit einer wohligen Unausweichlichkeit des Wellengangs empfing.

Gut, formale Einschränkungen nahm ich in Kauf, das geliehene ferrarirote Board mit Orangenhautstruktur entsprach nicht ganz meinen Design-Poser-Erwartungen und war visuell und typografisch gesehen ganz schön choppy, verglichen mit dem Long-Board meines Freundes Frank, der ein paar Meter weiter in lasierndem Hellblau den perfekten Duke Kahanamoku Auftritt am sonnigen Strand hinlegte.

Doch der konnte im Gegensatz zu mir auf der Welle reiten und fuhr einen 45 Jahre alten Orion Camper – cooler gehts bis heute nicht. Ich würde trotz fataler Unfähigkeit gerne ein «Peruvian balsa build»-Board über den Sand tragen und den Locals ein «Hang Loose» zeigend illustrieren, wo die Finne hängt, aber das ist dann, wie eine «Wally Cento» zu haben und nicht segeln zu können...

Zwischen Individualismus und naturbezogenem Opportunismus

Mein Auftritt im Umfeld der professionellen Wetsuit-Protagonisten vermittelte mir eine eigentümliche Perfektion, die jenseits meiner tradierten Vorstellungen lag, es ging und geht am Surferstrand nicht um eine ökonomische Statuslinie sondern um eine Stromlinie, die ihren Weg zwischen Individualismus und naturbezogenem Opportunismus sucht. Einer wie ich, der mangelnde Performance gerne am Design festmacht oder sich durch unterirdische Typografie paralysiert fühlt, wird hier auf das profan-faktische verwiesen: ein 53-jähriger Designer mit einem Oberarmumfang, der dem Surflehrer nur ein mitleidiges Lächeln abringt, hat nun mal einer Boomer-Welle nichts zu entgegnen und Sätze meines Lehrers wie «Peter, everything is a mental Problem» waren nur verbale Betablocker für das aufkeimende Frustrationspotential.

Nach fünf Tagen jedenfalls verlegte ich mich darauf, am Strand sitzend über Sonnencreme mit Schutzfaktor 35 und das Surfen zu räsonieren. Bei diesem kontemplativen Strandakt drängten sich mir immer mehr Parallelen zwischen Surfen, Sprache und Gestaltung auf.

Surfer, Soziologie und Designer

Neben der Tatsache, dass wir im «Barrel» des Internets surfen und mittlerweile täglich durch einen virtuellen Datentsunami bedroht werden, lässt sich die Relevanz des Surfprinzips an keinem Designer besser festmachen als an dem oft als formal agierend gescholtenen David Carson. 

Was dabei oft vergessen wird, der Mann ist eigentlich ein Soziologe, der im zarten Alter von 15 Jahren schon als Surfprofi durch die Wellen glitt. Seine Absage an das tiefgründig konzeptionelle Gestalten, die zum Beispiel in Gary Huswits Film «Helvetica» besonders klar wird, ist aus meiner Sicht nichts anderes als eine brilliant vorgetragene These zur damals noch nicht existierenden Vielgestaltigkeit einer digital ökonomisierten Kommunikationswelt. 

Ritt auf typografischer Monsterwelle

Dass er mit seinem Buch «The End of Print» eine soziologisch begründete Reise durch die Auflösung von Raster und Dogma zugunsten einer anarchistischen Vielfalt propagierte, gerät aus heutiger Sicht zu einer ästhetisch verpackten Weissagung. «The End Of Print» markiert seinen ganz persönlichen Ritt auf einer typografischen Monsterwelle, die als kleine Dünung im experimentellen Atelier von Hans-Rudolf Lutz begann und mit Magazinen «Surf», «Beach Culture» oder «Raygun» einen «Beach Break» der Auflösung von Schriftästhetik und rasterorientiertem Denken feierte.

Seine gestalterischen Taten mögen heute durch die längst erfolgte affirmative Verwerblichung als normal erscheinen, soziologisch gesehen markierten sie aber die Wiedergeburt einer digital begründeten ästhetischen Chaostheorie, die den menschlichen Genius vehement in Frage stellte. Das haben ihm einige Kreative aus dem dogmatischen geprägten Rotis-Gedächtnis-Kemenaten bis heute nicht verziehen. 

Ein ewig dünendes Murmeltier

Im Kunstkontext kommt die Welle dagegen etwas anders angerollt, doch nicht weniger vehement und ganz ihrer Natur entsprechend als ewig dünendes Murmeltier. Ob schon bei Hokusai, Gerhard Richter, Robert Longo oder Raymond Pettibon stets ist die Welle ein Sinnbild für die künstlerische Existenz.

Die Venus Over Manhattan Gallery kommentiert Pettibons Surfer-Serie: «On the surface of a giant blue wall of water, the tiny figure of the speeding surfer invites reflection on the life of an artist, on ego and fame, naiveté and bravery, loneliness and mortality.» Was soll ich noch hinzufügen? Doug Aitken ist bekennender Surfer und...  ach so, bei Gagosian kann man Surfboards mit Richard-Philipps und Andy-Warhol-Motiven shoppen…

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