Der Bund muss Credit Suisse trotz Too-big-to-fail-Regeln retten: Grossbankenregulierung schreit nach Reform

Es darf nicht sein, dass eine Bank so wichtig oder zu vernetzt ist, dass sie der Staat im Krisenfall nicht scheitern lassen kann: Das war die Lehre aus der Finanzkrise 2007/08, als Staaten rund um die Welt Grossbanken retten mussten, die wegen der impliziten Staatsgarantie zu hohe Risiken genommen hatten. In der Schweiz war 2008 die UBS «too big to fail» und musste von Bund und Nationalbank mit 44 Milliarden Franken gerettet werden. Damit ein solcher Fall nie wieder eintritt, wurde die Bankenregulierung im Nachgang der Finanzkrise an die Too-big-to-fail-Problematik angepasst. Auf internationaler Ebene einigte man sich auf das Rahmenwerk Basel 3, um die Finanzwelt stabiler zu machen. Das Regelwerk versagt im Ernstfall Seither gelten für systemrelevante Institute strengere Kapital- und Liquiditätsanforderungen und Verschuldungsgrenzen. Und um zu verhindern, dass im Krisenfall Steuermittel eingesetzt werden, wurde die sogenannte Bail-in-Regel eingeführt: Anleihengläubiger werden schneller zur Kasse geboten. Ein Produkt der neuen Regeln sind die AT1-Anleihen, die in Aktien gewandelt oder auf null geschrieben werden, wenn eine gewisse Kapitalquote unterschritten wird. Diese AT1-Anleihen sind nun auch im Fall der CS betroffen. Zudem mussten Pläne ausgearbeitet werden, wie eine scheiternde Grossbank abgewickelt wird, ohne dass das Finanzsystem aus den Fugen gerät. Doch jetzt zeigt sich: Die schärfere Regulierung hat im Ernstfall nicht funktioniert. Weder hat sie präventiv gewirkt und die CS vor dem Niedergang bewahrt, noch verhinderte sie, dass der Staat eingriff. Anstatt die CS ordnungsgemäss abzuwickeln, wird sie in die UBS integriert, wodurch eine viel grössere Bank entsteht, die noch viel weniger scheitern darf und de facto eine Staatsgarantie besitzt. «Darüber habe ich auch viel nachgedacht», sagte Finanzministerin Keller-Sutter an der historischen Medienkonferenz am Sonntagabend. «Da hat man eine Too-big-to-fail-Gesetzgebung (TBTF) und dann hat man einen Fall, bei dem man sie nicht anwenden kann.» Abwicklung ist der letztmögliche Weg Denn die TBTF-Regulierung ist auf die Solvenz einer Bank ausgerichtet. Die CS aber hatte stets genug regulatorisches Eigenkapital und verfügte über eine genügend hohe Liquiditätsquote. Ihr Problem waren nicht faule Kredite, sondern der Vertrauensverlust und die enormen Geldabflüsse. Solange eine Bank solvent ist, greifen die Recovery- und Resolution-Massnahmen nicht. Denn die Abwicklung ist die Ultima Ratio. Ist die neue Bankenregulierung damit gescheitert? Ist das Regelwerk unvollständig? Diese Fragen beschäftigten auch Aymo Brunetti. Der Volkswirtschaftsprofessor hat massgeblich am TBTF-Regelwerk mitgearbeitet, ein Bericht dazu wurde nach ihm benannt. Noch letzte Woche sah Brunetti in den Entwicklungen rund um die CS noch keinen Too-big-to-fail-Fall und entsprechend auch keinen Anpassungsbedarf der Regeln. Doch mit der staatlich unterstützten Übernahme durch die UBS sieht die Sache anders aus. Solange aber die Umstände, durch die es zum Deal kam, nicht restlos geklärt sind, möchte sich Brunetti vorerst nicht weiter dazu äussern. Klar sei, dass nun das Dossier der Too-big-to-fail-Regulierung neu aufgerollt werde. In einem Bank-Run ungeeignet Hart ins Gericht mit dem Regulator geht der Zürcher Bankenprofessor Thorsten Hens: «Die TBTF-Regulierung war falsch konzipiert», sagt er im Interview mit der NZZ. Das Gesetz sah zwar vor, dass im Fall eines Kollapses der systemrelevante Schweizer Teil gerettet und das internationale Geschäft abgewickelt wird. Aber es sei unterschätzt worden, dass die Kunden und Anlegerinnen während eines Bank-Runs nicht auf rechtliche Finessen achten würden. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass die jüngste Krise und der Fall der CS eine Reaktion der Regulierungsbehörden auslösen. Beim Financial Stability Board, dem internationalen Koordinationsorgan für die globale Finanzstabilität, will man dazu noch nicht Stellung nehmen, man verfolge jedoch die Situation genau. «Wahrscheinlich werden sie die Aufsicht verschärfen und noch höhere Kapital- und Liquiditätsquoten fordern», sagt Alan Mudie, CIO des Zuger Vermögensverwalters Woodman. Dies wiederum werde dazu führen, dass die Banken risikoscheuer werden. «Es besteht Gefahr, dass die Banken deshalb die Kreditvergabe reduzieren, was wiederum die Wirtschaftstätigkeit schwächen dürfte.» Mit ähnlichen Argumenten wehrten sich die bürgerlichen Parteien nach der Finanzkrise in der Schweiz gegen deutlich höhere Eigenkapitalanforderungen. Noch höhere Kapitalanforderungen Finance-Professor Marc Chesney von der Universität Zürich ist überzeugt, dass eine bessere Kapitaldecke das Debakel verhindert hätte. «Die CS hatte nicht genug Eigenkapital», sagte er gegenüber SRF, und die Politik habe versagt. Ob noch strengere Kapital- und Liquiditätsanforderungen das Problem allerdings wirklich lösen, ist unter Expertinnen und Experten umstritten. Denn eine Vertrauenskrise und einen Bank-Run lassen sich damit auch nicht mit Sicherheit verhindern. Der Fall der CS ist das beste Beispiel dafür: Sie gehörte mit einer Kernkapitalquote von 14 Prozent noch vor kurzem zum europäischen Mittelfeld.

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Hätte grössere Kapitaldecke das CS-Debakel verhindert?