Sandro Meichtry, Sie bezeichnen sich als Bankwerker, also gewissermassen als Handwerker im Bankwesen. Ihr Konzept wird im neuen Stammhaus hier in Thalwil konsequent durchgezogen. Wir sitzen zum Beispiel gerade in der «Gärtnerei», einem Sitzungsraum mit viel Grün.

Es gibt viele Brennpunkte, bei denen die Bankkunden und -kundinnen die Bankenwelt nicht mehr verstehen. «Bankwerker» beziehungsweise «Bankwerk» ist unsere Antwort auf die strapazierte Schnittstelle zwischen der Kundschaft und dem Bankensektor. Als Bankwerkerinnen und Bankwerker wollen wir wie gute Handwerker Verantwortung für unsere Handlungen übernehmen. Der Begriff steht für Beständigkeit, Ehrlichkeit, Verantwortungsbewusstsein, Bodenständigkeit, Nahbarkeit.

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Wer steckt hinter diesem Konzept?

Dieses Konzept gibt es schon einige Jahre, und es ist zusammen mit der Kreativagentur Ruf Lanz in den letzten Jahren weiterentwickelt worden. Mit einer Holzmaserung als Hintergrund und mit eingemeisselten Lettern zieht sich dieser Auftritt konsequent über alle Kanäle durch. Unterstützt wird dieses Konzept mit unseren pointierten Kampagnen, mit welchen wir durch kurze und prägnante «Sprüche» die Menschen zum Denkprozess anregen.

Sie sind eine Genossenschaftsbank – was unterscheidet Sie sonst noch von anderen Banken?

Wir wollen nicht so sein wie die Grossbanken. Wir haben unsere Werte: Leidenschaft, Tatkraft, Verlässlichkeit, Gemeinschaft – die wollen wir zeigen und vor allem leben und nicht bloss als Worthülse im Raum stehen lassen. Das Bankwerker-Konzept hat sehr viel Potenzial, um aktuelle Themen aufzugreifen, welche die Menschen bewegen. Es gibt zum Beispiel einen Spruch, der lautet: «Wir Bankwerker sind zu klein, um vom Staat gerettet zu werden. Entsprechend handeln wir.» Oder: «Wir Bankwerker sind Bundesrätin Karin Keller-Sutter kein Begriff. Gibt es ein schöneres Kompliment?» (schmunzelt) Im September 2023 lief diese Kampagne, als die CS-PUK aktuell war. Mit diesem Auftritt zeigen wir unsere Haltung und regen die Menschen zum bereits erwähnten Denkprozess an.

Das ist ziemlich frech! Meine Erfahrung ist: Wenn ein Banker einmal etwas Freches sagt, nimmt er es sofort wieder zurück, aus Angst, seine Reputation zu schädigen. Das ist bei Ihnen anders. Sie gehen in die Offensive. Das braucht Mut.

Wir machen das jetzt schon seit etwa drei Jahren – mit Erfolg. Dennoch muss man aufpassen, dass man es nicht übertreibt. Wir haben auch schon Sprüche aussortiert, da wir Bedenken hatten. Ja, wir sind frech, aber wir haben ein Sensorium fürs Machbare. Und wichtig ist vor allem: Können wir halten, was wir versprechen – und entspricht die Aussage unseren Werten?

Können Sie uns noch andere Beispiele für Slogans der Bank Thalwil nennen?

Neben der Migros platzierten wir während einer gewissen Zeit das Plakat «Wir Bankwerker empfehlen Banking aus der Region für die Region». Das löste bei vielen ein Schmunzeln aus und eine Assoziation zum regionalen Handel und Handwerk aus. Wir verbinden so die Tradition mit der Moderne. Das möchten wir damit zeigen.

Warum ist das für die Bank Thalwil so wichtig?

Wir werden uns als kleine Bank nie über Technologieführerschaft differenzieren können. In diesem Bereich müssen wir State of the Art sein und anbieten, was Kundinnen und Kunden heute verlangen. Wir differenzieren uns über die Nähe zu unserer Kundschaft, dass wir unkompliziert sind und direkte Entscheidungswege haben.

Bringt das Vorteile?

Ja. Zum Beispiel machen wir als Bank Thalwil vielleicht auch einmal etwas, was eine grosse Bank nicht kann. Bei uns steht nicht der nächste Monatsabschluss im Zentrum, sondern die langfristige Entwicklung der Bank. Das schätzen die Leute schon. Mir persönlich war die Strichliliste-Mentalität bei Grossbanken – und ich habe auch einmal an einem solchen Ort gearbeitet – immer ein Gräuel. Sie führt dazu, kurzfristige Optimierungen gegenüber der langfristigen Prosperität der Firma zu priorisieren.

Als wir vorher einen Rundgang gemacht haben, fiel mir auf: Die Atmosphäre hier ist einladend. Man fühlt sich wohl. Jetzt sitzen wir gerade im Besprechungszimmer namens Gärtnerei. Jedes Besprechungszimmer hat ein Thema. Haben Sie viele Gärtner und Handwerkerinnen als Kundschaft?

Ja, wir haben tatsächlich viele KMU-Kunden aus dem Gewerbe, jedoch auch viele aus Dienstleistungssektor. Aber grundsätzlich geht es bei den Besprechungszimmerthemen um die Schaffung einer positiven Gesprächsatmosphäre, um den gelebten Regionalbezug sowie um die spür- und sichtbare Bankwerker-DNA. Und es funktioniert! Die Gäste fühlen sich von Anbeginn wohl und bei der Bank willkommen.

Jetzt sind Sie seit einem Jahr hier im neuen Gebäude. Haben Sie festgestellt, dass sich in der Belegschaft etwas verändert hat?

Der Austausch zwischen den Teams wurde durch die neuen Open-Space-Arbeitsplätze stärker. Das liegt an spontanen Begegnungen: Eine Kundenberaterin sitzt neben einem Credit Officer. Und sie kommen miteinander ins Gespräch. Das belebt.

Gibt es noch andere Vorteile?

In der Rekrutierung kommt unsere neue Bürostruktur sehr gut an. Und weil wir im Rahmen unseres Strategie-Reviews alle Mitarbeitenden in die Erarbeitung der Strategie einbeziehen, können sich alle direkt und aktiv einbringen und sich beteiligen. Das gehört auch zum Konzept des Activity Based Working bei uns.

Sie haben mir vorher auch Ihren Arbeitsplatz gezeigt. Der ist in einem Raum mit weiteren Arbeitsplätzen, wo Sie als Bankdirektor unter allen anderen Teammitgliedern arbeiten. Wie kommt es bei ihren Leuten an, dass der Chef mitten unter ihnen sitzt?

Ich hatte vorher schon ein nahes Verhältnis zum Team. Wir sind 59 Leute. Das ist ja keine Riesenorganisation. Ich habe jetzt nie gehört: «Oh nein, jetzt sitzt er zu mir.»  Im Gegenteil: Man kommt ins Gespräch. Und das ist gut so.

Und wie haben Sie es verkraftet, dass Sie weniger Privatsphäre haben? War das nie ein Problem für Sie als Bankdirektor?

Nein, ich hatte grosse Freude, mitten unter den Kolleginnen und Kollegen zu sitzen und so unmittelbar zu erleben, wer sich gerade womit beschäftigt. Aber offen gesagt hatte ich anfangs schon ein wenig Respekt davor. In meiner bisherigen Karriere arbeitete ich dreissig Jahre lang in einem Einzelbüro. (lacht) Ich habe mich im Vorfeld gefragt, ob ich sozial noch kompatibel genug bin. Heute weiss ich: Ich bin es.

KI und Digitalisierung sind im Banking ein grosses Thema. Wie sieht das bei Ihnen aus?

Wir haben schon sehr viele Prozesse digitalisiert. Der ganze Kreditprozess läuft digital. Wir haben auch diverse elektronische Tools für unsere Kundinnen und Kunden. Da läuft sehr viel. Wir sind jetzt mit einer eigenen Twint-App am Start. Ein Self-Onboarding wird in wenigen Wochen verfügbar sein. Das sind Technologien, bei denen wir in den letzten Jahren viel aufgeholt haben und weiter mit Siebenmeilenstiefeln vorangehen.

Und künstliche Intelligenz?

KI ist im Strategie-Review natürlich auch ein wichtiges Thema. Wir schauen uns ganz genau an, welche Entwicklungen es grundsätzlich gibt. Zudem habe ich selber soeben mit einer Ausbildung zum Chief Artificial Intelligence Officer begonnen. Hierbei geht es mir nicht darum, grosses technologisches Know-how aufzubauen, sondern zu lernen, welche Möglichkeiten sich unserer Bank bieten und wie wir sie nutzen können.

Wenden Sie schon KI-Tools an?

Bereits im Einsatz haben wir «Team Echo». Das ist ein KI-basiertes Befragungstool. Mitarbeitende beantworten hier jeweils fünf Fragen und tun das ein paar Wochen später erneut. Die KI fragt immer spezifischer. Die Idee ist, möglichst viele Daten zu sammeln, und so stossen wir auf Themen, bei denen wir Handlungsbedarf haben und die bislang unter der Oberfläche schlummerten. Auf diese Weise sehen wir etwa, wo der Schuh drückt, und können die Arbeitsorganisation verbessern.

Was sehen Sie als wichtigste Herausforderung auf Ihre Bank zukommen?

Die Digitalisierung und KI-Themen werden ganz entscheidend sein. Kurzfristig ist der verstärkte Kampf um Passivgelder eine grosse Herausforderung für viele Regionalbanken. Idealerweise ist das Wachstum der Ausleihungen auf der Aktivseite einer Bankbilanz im Einklang mit der Entwicklung der Kundengelder auf der Passivseite.

Was bedeutet das für die Bank Thalwil?

Es geht um Gelder auf Sparkonten, Kassenobligationen, Festgelder. Wir haben ein schönes Wachstum auf der Ausleihungsseite. Auf der Passivseite der Bilanz müssen die Regionalbanken zulegen, und diese Lücke muss man schliessen – auch wir.

Welche Möglichkeiten haben Sie?

Lösen kann man das zum Beispiel mit Pfandbriefen. Aber das ist erstens teurer, und zweitens muss man die Laufzeiten nehmen, die es dann gerade gibt, was wiederum nicht unbedingt vorteilhaft ist. In der Tiefzinsphase gehörten wir zu den wenigen, die keine Negativzinsen verlangten. Wir haben damals nur Neukunden und -kundinnen aufgenommen, die nicht nur Gelder bei uns parkieren, sondern grundsätzlich eine aktive Beziehung mit uns eingehen wollten. Aktuell sind wir wie viele andere Banken in der Situation, dass wir uns wieder stärker um Passivgelder bemühen müssen.

Sie könnten den Zins auf Sparkonten anheben.

Das wäre eine Möglichkeit, ja. Es gibt aber Studien, wonach Schweizer Bankkundinnen und -kunden erst bei einem sehr grossen Zinsunterschied ihre Bank wechseln. Der Preis allein ist somit nicht alles! Darum müssen wir uns auch jetzt ein wenig vortasten und neue Produkte entwerfen. Wir müssen Ideen umsetzen und am Markt testen, beibehalten, was funktioniert, und es auch wieder bleiben lassen, wenn etwas nicht ankommt.

Hohe Sparzinsen muss man auch zahlen können. Das geht ins Geld …

Das ist tatsächlich so. Die Refinanzierung wird sich für alle Banken verteuern. 2023 war ein Ausnahmejahr. So wird es heuer sicher nicht weitergehen.

Themenwechsel: Fintechs und Banking as a Service hat man als Bedrohung für traditionelle Banken angesehen. Ist etwas vom Schrecken geblieben?

Nein. Ich habe vor rund drei Jahren ein MBA abgeschlossen. Jeder Referent erzählte damals von Fintechs. Man hätte meinen können, eine normale Bank sei als solche nicht überlebensfähig. Doch was ist passiert? Viele Fintechs sind wieder vom Markt verschwunden, andere sind aufgetaucht. Sie alle müssen skalieren. Sie brauchen das Kapital. Sie brauchen das Vertrauen. Und die Banken brauchen Innovation. Also können sich sehr gute Synergien und Opportunitäten ergeben. Ich kann mir durchaus vorstellen, im Anlagebereich etwas mit einem Fintech zu starten.

Sie bieten auch Treuhanddienste an. Das ist ungewöhnlich für eine Bank, oder?

Ja, seit Anfang 2022 besitzen wir die Firma Deloris AG. Diese Treuhandfirma gehört uns zu 100 Prozent. Wir bieten unserer Kundschaft so einen Mehrwert, da wir dort Expertisen in Erbrechts- und Nachfolgefragen, Steuerberatung und Finanz- und Vorsorgeberatung können. Diese Dienstleistungen könnten wir als kleine Bank unmöglich in der gleichen Professionalität selber anbieten. Die Deloris ist eine eigene Firma, die selber auf dem Markt erfolgreich sein muss. Um die Synergien zwischen der Bank Thalwil und Deloris voll nutzen zu können, benötigen wir eine intensive Zusammenarbeit zwischen der Deloris und unseren Kundenberatenden.

Letzte Frage: Was braucht die Bankbranche in der Schweiz?

Vertrauen, Stabilität und den Bezug zur Kundschaft. Das sind die Grundvoraussetzung, welche zwar einfach klingen, jedoch in den letzten Jahren von einigen Banken sträflich nicht erfüllt wurden. Ausserdem werden Werte immer wichtiger. Je länger, je mehr, davon bin ich überzeugt. Es wird alles immer schneller und anonymisierter. Der Mensch kommt langsam etwas zu kurz. Deshalb schätzen unsere Kundinnen und Kunden die persönliche Beratung, die Proaktivität und die Empathie unserer Bankwerkerinnen und Bankwerker. Wir setzen die Technik als Mittel zum Zweck ein und nicht als Selbstzweck.

Zur Person
  • Seit wann CEO der Bank? 1.4.2020
  • Höchste/letzte Ausbildung? Executive MBA mit Vertiefung Banksteuerung und -führung
  • Alter: 56
  • Persönliche Interessen: Joggen und Mountain Bike fahren, mit der Familie Zeit in Städten und Restaurants verbringen, Militärgeschichte
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Die Bank Thalwil
  • Gründungsjahr: 1841, Genossenschaft
  • Bilanzsumme: 1,349 Milliarden Franken per 31.12.2023
  • Kundinnen und Kunden: ca. 13'000, davon knapp 1'000 Genossenschafter
  • Verbreitungsgebiet/abgedeckte Region: Region Zimmerberg und Sihltal, mit Standorten in Thalwil, Kilchberg, Adliswil und Langnau am Albis
  • Was ist an Ihrer Bank im Vergleich zu anderen Banken speziell?  Die Bank Thalwil Genossenschaft ist eine Bank mit gemeinnützigem Charakter, d.h. wir streben eine langfristige strategisch definierte Entwicklung an und nicht die kurzfristige Gewinnoptimierung.