Komplexe Prozesse gelten mehr und mehr als grosse Herausforderung für den Kundenservice, da hier häufig die gängigen Prinzipien der Standardisierung im Beratungsgespräch oder im Contact Center nicht funktionieren, da sie 

  • selten und in vielen unterschiedlichen Ausprägungen vorkommen,
  • daher nicht allein durch Mitarbeitende der Kundenfront im ersten oder zweiten Organisationslevel gelöst werden können und daher
  • einen oder häufig mehrere Spezialisten erfordern, die nicht in der Filiale oder im Contact Center, sondern in Abteilungen wie dem Portfolio-Management, der Kreditfinanzierung, dem Asset-Management oder Research arbeiten.
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Prof. Dr. Nils Hafner ist internationaler Experte für die Etablierung profitabler Kundenbeziehungen, Professor an der Hochschule Luzern und Herausgeber des «CEX Trendradars». Er beschäftigt sich seit 25 Jahren mit den Auswirkungen von Kundenkontaktmanagement auf die Customer Experience. Das Service Excellence Cockpit findet man unter www.service-excellence-cockpit.ch.

Bei der Gestaltung durch das Prozessmanagement als auch beim Betrieb ergeben sich daher gesamthaft drei Probleme.  

Zunächst stehen beispielsweise generalistisch ausgebildete Mitarbeitende in der Beratung schon bei der Erkennung von Kundenanliegen, die im Unternehmen komplexe Prozesse auslösen, vor Problemen. Hier gilt es unter dem Gesichtspunkt der «Employee Experience» den Mitarbeitenden schnell in die Lage zu versetzen, zu erkennen, worum es in diesem Fall geht. Dabei stossen klassische Lösungsdatenbanken oft an ihre Grenzen. Hier unterstützen Technologien, die auf den Elementen der Generative Artificial Intelligence (Gen. AI) basieren.

KI kommt

Sprachmodelle (Large Language Models) wie bspw. GPT und darauf aufbauende Chatbots (wie Chat GPT oder die jüngst von Enterprise Bot gezeigten Features) lassen es heute zu, das gesamte Wissen des Unternehmens im Kundenservice in das Modell zu laden und so in der Sprache des Kunden zu durchsuchen.

In Bezug auf das Ergebnis ist für den Mitarbeitenden in Beratung oder Kundenservice dabei nicht nur wichtig, zu verstehen, wie ein komplexer Prozess angestossen werden kann. Sondern vor allem auch, welcher Ansprechpartner im Unternehmen dabei weiterhelfen kann. Es ist also notwendig, das LLM sowohl mit Sachinformationen wie auch vor allem mit dem Organigramm der Organisation und den entsprechenden Zuständigkeiten zu füttern.

Prozessabläufe optimieren

Eine zweite Herausforderung liegt im Prozessablauf. Hier gilt es die richtigen Experten einzubinden. Diese arbeiten im Regelfall ausserhalb im Portfolio-Management, der Kreditfinanzierung, dem Asset-Management oder Research. Das bedeutet aber, dass der Berater oder Contact-Center-Mitarbeitende am Telefon kaum eine Chance hat, den Experten in «real time» zu involvieren. Er versucht bspw. eine Weiterleitung, die nur selten erfolgreich ist.

Ist der Spezialist nicht erreichbar, kommt das Gespräch mit dem anfragenden Kunden an einen toten Punkt. Und da es meist mehr als einen Spezialisten für die Fragen des Kunden gibt, kann ein solches Gespräch zu einem mühseligen Trial and Error werden. Alternativ kann der Mitarbeitende eine Rückruf-Nachricht oder eine E-Mail platzieren. Beides macht den Prozess jedoch unnötig langsam. Auch hier gibt es erfreulicherweise moderne Lösungen. Da viele Organisationen heute kollaborative Plattformen wie Microsoft Teams nutzen, lassen sich grundsätzliche Prinzipien eines Contact Centers heute auf die Gesamtorganisation anwenden.

Statusmeldungen helfen weiter

Das wichtigste Prinzip ist dabei das der Statusmeldung. Grundsätzlich geht es dabei um die Verfügbarkeit der Mitarbeitenden. Ist das Contact Center (wie beispielweise in Deutschland bei der Helvetia Versicherung) an die kollaborative Plattform angebunden, können die Mitarbeitenden des Contact Centers auf einen Blick feststellen, welcher der Experten im Gespräch besetzt, abwesend oder für eine Weiterleitung des Kunden frei wäre.

Prozesse werden auf diese Weise für Mitarbeitende und Kunden wesentlich beschleunigt und das Unternehmen kann sympathisch und kompetent einen komplexen Prozess starten und so für Vertrauen gerade bei unkonventionellen Anliegen des Kunden sorgen.

Besser die Mitarbeitenden machen lassen

Eine dritte Herausforderung ist der Ablauf des Prozesses als solcher, wenn mehr als ein Experte involviert ist. Gerade im Zusammenspiel vielbeschäftigter Experten entstehen Ineffizienzen. In diesem Zusammenhang liegt die Lösung bei den Mitarbeitenden.

Wir sehen in der Schweiz derzeit bei mehreren Unternehmen Ansätze, bei denen die Beteiligten miteinander Lösungen erarbeiten und vor allem vereinbaren, wie genau solche Prozesse zu handhaben sind, damit die Kundenfragen schnell und kompetent gelöst werden können.

Gerade bei komplexen Prozessen, die nicht häufig, dafür aber in unterschiedlichster Ausprägung vorkommen, ist es wesentlich geschickter, die handelnden Personen miteinander in die Lage zu versetzen, Vereinbarungen zum Wohle des Kunden zu treffen, als vom Prozessmanagement her Vorgaben zu machen, die sich gegebenenfalls nicht im Alltag realisieren lassen.

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Abbildung: komplexe Prozesse

Quelle: ZVG

Zusammenfassend lässt sich beobachten, dass komplexe Prozesse im Frontoffice von Banken nur durch ein Zusammenspiel der Faktoren People, Process und Technology handhaben lassen können. Die zunehmende Marktpenetration durch LLM-basierte Lösungen und der Quasi-Standard von kollaborativen Tools wie MS Teams bei gleichzeitigen agilen interpersonellen Absprachen mehrerer Experten führt zu pragmatischen Lösungen, die eine kompetente und sympathische Lösung der Kundenanfragen ermöglichen. Banken haben so die Chance, mittelfristig enorm zu profitieren.