Der drohende Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (SVB) in den USA hat Schockwellen über die Finanzwelt ausgelöst. Das Institut ist die sechzehntgrösste Bank der USA mit zuletzt über 200 Milliarden Dollar Assets. Nach einer gescheiterten Kapitalerhöhung steht sie seit Freitag unter Zwangsverwaltung. Laut der Agentur «Bloomberg» suchen die Behörden nun Käufer für Einzelteile der Bank.

Das wirft zwei Fragen auf: Wie konnte es soweit kommen? Und haben die Probleme dieser einzelnen Bank die Sprengkraft, eine neue Finanzkrise auszulösen wie die Pleite von Lehman Brothers im Jahr 2008? 

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Der Fall der SVB weist einige Besonderheiten auf. Die US-Bank ist ein wichtiger Finanzierer der US-Techbranche und Startups. Und wuchs mit dieser Szene im Gleichschritt, befeuert von der Politik des billigen Geldes der US-Notenbank.

Fatale Flut an Kundengeldern

In der Boomphase fluteten die Firmenkunden der Tech-Szene die Bank mit Einlagen. Entsprechend schwoll die Bilanz an. 2017 wies sie rund 44 Milliarden Dollar Kundeneinlagen aus, Ende des Jahres 2021 waren es sogar 189 Milliarden Dollar. 

Das Problem: Die Bank fand für diese Mittelflut kaum eine Verwendung. Grundsätzlich finanzieren sich in den USA Firmen mehr über den Kapitalmarkt als über Banken, wie es in Europa üblich ist. 

Die Folge: Von den 189 Milliarden Dollar Einlagen investierte die Silicon Valley Bank 128 Milliarden Dollar in liquide Anleihen wie verbriefte Hypotheken oder US-Staatsanleihen. 

Die Zinswende löste Krise aus

Dann kamen die Zinswende und das Ende des billigen Geldes. Dies traf zuallererst Tech-Firmen, die Schwierigkeiten erhalten haben, frische Mittel über den Kapitalmarkt aufzutreiben. Also zogen sie massenhaft Gelder von der Silicon Valley Bank ab. 

Die Einlagen schmolzen von 189 Milliarden Ende 2021 auf 173 Milliarden Dollar Ende 2022. In den ersten Monaten dieses Jahres ging der Abfluss offenbar weiter. Um Kunden ihr Geld auszahlen zu können, musste die Bank deshalb einen Teil ihrer Anleihen, die auf den Kapitalmarkt platziert waren, dringend verkaufen.

Doch die Anleihen haben jetzt weniger wert. Sie verloren aufgrund der Zinswende. Der Zusammenhang: Steigen die Zinsen, verlieren alte Anleihen mit tieferem Coupon an Wert.  Dieser Verlust zehrte am Eigenkapital einer Bank. Sie zwangen die Bank zu einer notfallmässigen Kapitalerhöhung vergangene Woche.

Krise schüttelt die Börsen durch

Das wiederum löste Panik unter Firmenkunden aus. Denn die US-Einlagensicherung sichert nur Beträge bis zu einer Höhe von 250'000 Dollar. Rund 93 Prozent der Kundeneinlagen dieser Bank überstiegen diesen Wert.

Laut Medienberichten soll der Tech-Investor Peter Thiel Firmen, in die er investiert ist, dazu aufgerufen haben, ihre Cash-Bestände von der SVB sofort abzuziehen. Wenn das stimmt, war Thiel ein Brandbeschleuniger der Krise. 

Am Freitag überschlugen sich dann die Ereignisse: Die Sorgen vor einem Übergreifen der Krise riss weltweit Bankentitel an den Börsen nach unten: Die UBS verlor 4,5 Prozent, die Credit Suisse 4,8 Prozent. Die Beteiligungsgesellschaft Partners Group verzeichnete einen Kursrückgang um gar 6,2 Prozent.

Was zur zweiten Frage führt: Sind die Probleme der Silicon Valley Bank ein Sonderfall oder das Vorzeichen einer neuen Krise?

Nach einem Krisentreffen mit den US-Aufsichtsbehörden am Freitag versuchte Finanzministerin und Ex-Notenbankchefin Janet Yellen zu beruhigen: Das US-Finanzsystem sei «widerstandsfähig», erklärte sie.

«Es sind Dutzende, wenn nicht hunderte Startups, die nächste Woche mit ihren Guthaben ihre Löhne auszahlen wollten».

Lawrence Summers, früherer US-Finanzminister

Auch ihr Amtsvorgänger Lawrence Summers fürchtet mehr Probleme für den US-Tech-Sektor als für den Bankensektor, da bei einer Pleite der Silicon Valley Bank viele Startups ihre Guthaben zu verlieren drohen. «Es sind Dutzende, wenn nicht hunderte Startups, die mit ihren Guthaben ihre Löhne nächste Woche auszahlen wollten», erklärte Summers auf «Bloomberg TV».

Summers erwartet keine Finanzkrise

Mit Blick auf den US-Bankensektor stimmte Summers Yellen zu; er glaube nicht, dass die Probleme der Silicon Valley Bank zu einer systemischen Krise sich auszweiten drohen.

Doch laut Analysten könnten in den USA kleinere Banken ähnliche Probleme drohen, sofern sie den Abfluss von Kundeneinlagen mit Verkäufen ihrer Wertpapierbestände bezahlen müssen.

Anders die Grossen. Eine Bank wie JP Morgan haben viel breiter aufgestellte Bilanzen, das heisst, sie haben einen geringeren Teil ihrer Anlagen in Wertpapieren. Sie sind mehr in Kredite investiert. Zudem stehen ihnen noch andere Refinanzierungsmöglichkeiten als nur Kundeneinlagen zur Verfügung. Der Aktienkurs von JP Morgan schloss daher am Freitag sogar mit einem kleinen Plus, weil das Institut möglicherweise von der Flucht in die Stabilität einer Grossbank durch Kunden profitieren könnte.

Die Probleme der SVB werfen ein Schlaglicht auf die unrealisierten Verluste auf US-Anleihen in den Bilanzen von Banken generell. 

620 Milliarden Dollar unrealisierte Verluste

Dennoch werfen die Probleme der SVB ein Schlaglicht auf die unrealisierten Verluste auf US-Anleihen in den Bilanzen von Banken generell. 

US-Bilanzregeln erlauben Banken zwar, bei Anleihen Wertschwankungen nicht in der Gewinn- oder Verlustrechnung oder im Eigenkapital auszuweisen, wenn eine Bank die Wertpapiere bis zu ihrer Endfälligkeit halten will («held to maturity»). Doch dies könnte eine tickende Zeitbombe sein. Das Problem ist, wenn die Liquidität knapp zu werden droht. Dann können Banken Anleihen aus dieser Bilanzkategorie nicht so einfach zu Geld machen.

Nach Angaben der US-Einlagensicherung FDIC sitzen die US-Finanzinstitute auf unrealisierten Verlusten auf Wertpapiere von 620 Milliarden Dollar. Durch schnell steigende Zinsen haben diese Anleihen stark an Wert verloren.

Das Beispiel Postfinance

Das Phänomen der unrealisierten Verluste gibt es auch in der Schweiz. Beispiel Postfinance: Die Posttochter ist nur eine halbe Bank, sie darf keine Kredite vergeben. 

Laut Geschäftsbericht hält sie 60 Milliarden Franken in Finanzanlagen. Zu aktuellen Marktpreisen sind die Papiere aber nur noch 56 Milliarden Franken wert. Sprich, in der Bilanz schlummern 4 Milliarden unrealisierte Verluste, solange die Zinsen tief bleiben.

Auch Schweizer Bilanzregeln erlauben, diese Verluste nicht im Jahresergebnis zu verrechnen, solange die Papiere bis zu ihrer Endfälligkeit gehalten werden – was die Postfinance tut.

Der «unrealisierte Verlust» bei der Postfinance werde nicht eintreten, weil die Bank die Papiere bis zur Endfälligkeit halte.

Ein Sprecher der Schweizer Postfinance vom Freitag

Darum zeigt sich Postfinance auf Nachfrage auch nicht beunruhigt: Der «unrealisierte Verlust» würde nicht eintreten, weil die Bank die Papiere bis zur Endfälligkeit halte. Und dann zahlt der Schuldner den vollen Betrag zurück. 

Analysten werden jetzt sehr genau hinschauen, welche Bank bei der Refinanzierung stark von Kundeneinlagen abhängig ist und wer ein grosses Portfolio an Wertpapieren auf die eigene Rechnung hält. Denn der Wettbewerb der Banken um die Einlagen wird nun härter werden, was auf die Zinsmarge drückt.

Kundeneinlagen gelten eigentlich als stabile und sichere Refinanzierungsform. Banken berechnen mit Modellen, wie lange Kunden im Schnitt das Geld auf den Konten belassen. Allerdings geraten diese Modelle schnell unter Stress in Zeiten von schnell steigenden Zinsen, im Moment wenn Kunden beginnen, Gelder abzuziehen, um sie profitabler anzulegen.

In der Schweiz ist dieser Effekt bisher nicht sichtbar. Zum einen knausert die gesamte Branche damit, Einlagen höher zu verzinsen. Zum anderen sind Schweizer Kunden träge. Wegen ein paar Zehntelpunkte mehr Zins wechseln die wenigsten ihre Bank.