André Wegmanns Vorgänger Rolf Zaugg hatte den Clientis-Verbund mit aufgebaut. Dennoch verliess Avera den Clientis-Verbund vor rund vier Jahren. Seither wächst die Regionalbank Avera weiter und wechselt nun erneut ihren IT-Provider.

André Wegmann, war Ihr Clientis-Austritt eine Art Befreiungsschlag?

Mit dem Austritt aus der Clientis-Gruppe haben wir unseren strategischen Freiheitsgrad erhöht, indem wir eigenständig am Markt auftreten. Wir können nun direkter auf die sich ändernden Kunden- und Marktanforderungen reagieren, ohne unsere Bedürfnisse als Bank vorgängig mit einer Bankengruppe abstimmen zu müssen. 

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Sie sind Clientis entwachsen?

Gewissermassen. Während der Mitgliedschaft im Verbund sind wir stark gewachsen: Zum Zeitpunkt des Austritts waren wir dreimal grösser als die nächstgrösste Clientis-Bank. Ausserdem bieten wir, anders als einige andere Banken innerhalb des Verbunds, neben dem Retailgeschäft auch Dienstleistungen und Produkte im Private Banking und im Firmenkundengeschäft an. Dies führt zwangsläufig zu gegenüber den anderen Gruppenbanken abweichenden Bedürfnissen. Es ist ein bisschen wie eine Beziehung, die sich auseinandergelebt hat. 

War die Loslösung schwierig?

In der 16-jährigen Zusammenarbeit haben wir tolle Services erhalten – sei das im Bereich der Refinanzierung, der IT und in der Compliance. Das waren Services, welche wir nun an einem anderen Ort beziehen oder selbst aufbauen mussten. Veränderungen bringen auch immer wieder Chancen. Und für uns war es der richtige Zeitpunkt für einen neuen Schritt. Wir fühlen uns freier und konnten uns eine frische Marke aufbauen. Auch in der Produktgestaltung und in der IT können wir uns nun viel freier bewegen.

Doch Sie wechseln nun Ihren IT-Provider …

Ja. Wir müssen immer wieder unternehmerische Entscheidungen fällen – das liegt in der Natur der Sache, wenn man ein Unternehmen führt. Deshalb haben wir die bestehende IT-Lösung überprüft und sind zum Schluss gekommen, dass wir mit einem IT-Providerwechsel ein für unsere Bank besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis erzielen. 

Ist für die Bank Avera eine Fusion ein Thema?

Unsere Bank kann man nicht so einfach übernehmen, weil wir keine Aktionäre und Aktionärinnen haben, sondern sie gehört unseren Genossenschafterinnen und Genossenschaftern. Wir selbst haben in der Vergangenheit jedoch schon Banken übernommen. Beispielsweise die Sparkasse Küsnacht im Jahr 2009. 

Haben Sie momentan Übernahmepläne?

Nein. Fusionen oder Übernahmen können je nach Situation durchaus Sinn ergeben. Beispielsweise die Übernahme einer Bank innerhalb unseres Marktgebiets, um Synergieeffekte zu nutzen, wie dies etwa bei der Sparkasse Küsnacht der Fall war. Anderseits gibt eine Übernahme aber auch die Möglichkeit, das bestehende Marktgebiet zu erweitern. Wenn es angrenzend oder im Wirtschaftsraum Zürich etwas Spannendes gibt, dann sind wir immer offen für Gespräche. 

Eine sogenannte Arrondierung?

Genau, eine Arrondierung. Das könnte für uns spannend sein, etwa in Richtung Winterthur, Rapperswil-Jona, Zürich-Altstetten oder Zürich-Oerlikon. Da sind wir offen.

Gibt es gewisse Bankdirektoren, die Angst haben?

Nein, Angst muss man nicht haben. Wir wollen niemanden unfreundlich übernehmen. Meistens kommen Banken auf uns zu, da ein Alleingang für sie keinen Sinn mehr ergibt.

ZKB, TKB, SGKB haben ihre Gebühren marketingträchtig aufgehoben. Wie sieht das bei Ihnen aus?

Bei uns zahlen etwa 80 Prozent der Kundinnen und Kunden keine Gebühren auf einem Privatkonto. Wir bereiten aktuell die Einführung von noch attraktiveren Preismodellen vor.

Die Frage habe ich mit einem Hintergedanken gestellt: Man kann durchaus 50-fränkige Kontogebühren aufheben, wenn man im Gegenzug wegen mickriger Zinszahlungen 300 Franken spart. Ist das nicht Augenwischerei gegenüber Kundinnen und Kunden, wenn man nur die Gebühren ins Schaufenster stellt?

Am Ende muss der Kunde die gesamte Rechnung berücksichtigen. Er muss überprüfen, was er bei seiner Bank hat, was er dafür bezahlt und was er von der Bank in Form von Zinsen erhält. Er sollte sich fragen, ob er der Bank vertraut und ob er mit der Beratung zufrieden ist. Anschliessend muss er sich entscheiden, wo er am besten aufgehoben ist.

Für Kundinnen und Kunden ist das etwas intransparent, oder?

Es stimmt schon, was Sie sagen. Transparent ist, wer ein verursachergerechtes Pricing hat. Wir beobachten die Situation im Markt laufend und überprüfen entsprechend immer wieder unser Angebot. Eine Bank kann die Kommissionen auf null fahren und schauen, dass sie bei den Zinsen einfach mehr verdient. Ich glaube aber, dass es für eine Bank wertvoll ist, wenn sie die zwei Steuerungselemente Zins und Kommission behält. Denn sonst könnte das in der Zukunft zu unerwünschten Situationen führen. Es braucht die beiden Pfeiler, Kommissionen und Zinsen, für solide Stabilität.

Ist KI bei Ihnen ein Thema?

Ja, es ist ein Thema, das bei uns aktuell besonders intern vorteilhaft genutzt wird. Wir sind konsequent diesen Weg gegangen, um die Technologie bei uns ideal zu integrieren. Das geschieht in erster Linie mit unserem umgesetzten Cloud-first-Ansatz und der Konsolidierung auf Microsoft-Technologien. Dadurch haben wir alte Datensilos aufgebrochen und können neue Technologien besser erschliessen.

Welche KI-Anwendungen sind bei der Bank Avera aktuell in Betrieb?

Schon seit längerer Zeit setzen wir den geschützten Bing-Chat ein. Das Tool basiert auf derselben Technologie wie Chat GPT, nur dass dabei sichergestellt ist, dass keinerlei Daten von unseren Chats gespeichert werden und somit geschützt sind. Zudem hilft uns KI im ganzen Cyber-Security-Bereich.

Also zur Fraud-Detection?

Genau. Oder wie man im Fachjargon sagt: Siem, kurz für Security Information & Event Management. Dort hilft KI in der Datenanalyse, damit wir Angriffe erkennen und gut verteidigen können. Wir sind aber noch lange nicht am Ende der Möglichkeiten angelangt. In Zukunft wird es noch viele andere spannende KI-Anwendungen geben.

Wo würden Sie Ihre Bank auf einer Skala von 1 bis 10 punkto KI einordnen?

Da muss man schon die Grössenverhältnisse sehen. Wir haben 45’000 Kundinnen und Kunden und 180 Mitarbeitende – wir sind ein KMU. Als KMU werden wir keinen First-Mover-Ansatz haben, sondern sehen uns eher als Fast Follower. Grund dafür ist einerseits, dass wir Kosten nicht so stark skalieren können, wie das beispielsweise grosse Finanzhäuser tun. Anderseits ist es sinnvoll, zunächst abzuwarten, was sich wirklich etabliert. Da wir bereits seit längerem intern KI einsetzen, sehe ich uns als schnelle Follower in Sachen künstliche Intelligenz. Auf einer Skala von 0 bis 10 ordne ich uns bei einer soliden 3 ein. 

In welchem Bereich arbeiten Sie mit externen Partnern zusammen?

Wie es für Regionalbanken unserer Grösse üblich ist, lassen wir Teile der IT extern betreiben. Aktuell arbeiten wir mit der Inventx AG zusammen. Bis Ende 2024 werden wir zur Managed Banking Platform der Swisscom wechseln. 

Warum?

Die grossen Kostenblöcke einer Bank sind der Personal- und der Sachaufwand. Der Sachaufwand ist bei einer Bank häufig auch von den Aufwendungen für die Bereitstellung ihrer IT-Infrastruktur getrieben. Wir haben die bestehende IT-Lösung in den letzten Monaten überprüft und sind zum Schluss gekommen, dass wir mit einem IT-Providerwechsel ein für unsere Bank besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis erzielen.

Sonstige Partner?

Entris Banking übernimmt für uns das ganze Transaktionsbanking, das heisst die Abwicklung des Zahlungsverkehrs und des Wertschriftengeschäfts. Mit dem Austritt aus dem Clientis-Verbund haben wir aber viele bis dahin an die Clientis AG ausgelagerte Aufgaben und Funktionen wieder zurückgenommen. Deshalb haben wir in den letzten Jahren die Bereiche IT- und Produktmanagement, Risk und Compliance personell erweitert. Wir hatten Glück, dass wir gute Leute rekrutieren konnten. Momentan sind wir ein ganz cooles Team. Und man merkt, wie sich die Bank in verschiedenen Bereichen zu bewegen beginnt.

Gerade im Payment-Bereich verändert sich viel. Beschäftigt Sie das Thema Fintechs und Banking as a Service?

Von Fintechs können wir viel lernen. Denn sie gehen mit einem völlig anderen Ansatz an die Sache heran. Neobanken haben gezeigt, dass Kundinnen und Kunden einfach verständliche Produkte wollen, welche sofort und jederzeit verfügbar sind. Unsere Schlussfolgerung: Bei uns kann man auch online onboarden. Man kann fast alle unsere Produkte online abschliessen. In diesem Sinne lernen wir von den Online-Banken, wie wir unsere Kundschaft in diesen Bereichen noch besser bedienen können. Aber das Bankgeschäft besteht ja nicht nur aus Zahlungen. Es besteht eben auch aus Anlagen. Es besteht aus Hypotheken. Es besteht eigentlich immer auch aus Lebensereignissen, die der Kunde erfährt. Das können Erbschaften, aber auch eine Trennung sein. Diese Ereignisse bleiben weiterhin beratungsintensiv. Dort vertrauen die Menschen den etablierten Banken und Bankmodellen inklusiver ihrer physischen Präsenz. 

Spielen Sie den Trumpf des persönlichen Kontakts aus?

Ja, wir spüren das Bedürfnis der Kundinnen und Kunden, mit jemandem am Tisch zu sitzen und sich beraten zu lassen. Damit jeder Kunde, jede Kundin für sich eine fundierte und gute Entscheidung treffen kann. Deshalb bin ich der Meinung, dass Banken trotz Fintechs auch weiterhin ihre Daseinsberechtigung haben werden. Allerdings müssen wir die Entwicklungen gut beobachten und davon lernen.

Planen Sie neue Geschäftsfelder, Marktsegmente zu beackern, bei denen Sie bis jetzt noch nicht tätig sind?

Unsere Bank gibt es seit bald 200 Jahren. Unser Ziel ist, dass es die Bank Avera auch in fünfzig oder hundert Jahren noch immer gibt. Angesichts unserer Grösse und unserer Verantwortung gegenüber den Genossenschafterinnen und Genossenschaftern, Kundinnen und Kunden müssen wir vorsichtig mit unserem Risikoappetit umgehen. 

Dennoch haben Sie sicher Projekte am Laufen, oder?

Selbstverständlich. Wir sind Mitbegründer von Credex, einem B2B-Marktplatz für Hypotheken. Wir haben jetzt gerade eine Kooperation mit Hypotheke.ch gestartet, wo wir auch den Online-Kanal führen. Die Hypotheken werden dabei über Credex abgewickelt.

Was wollen Sie bei der Bank Avera heuer noch alles umsetzen?

Aktuell planen wir die Datenmigration zur Swisscom. Das ist ein aufwendiger Prozess, der viele Ressourcen erfordert und sorgfältig geplant werden muss. Beim Austritt aus dem Verbund haben wir bereits Erfahrungen mit einer Migration sammeln können. Im Moment bleibt eher wenig Zeit für andere Projekte, aber im kommenden Jahr werden wir uns auf die Digitalisierung unseres Vertriebs konzentrieren. Es gibt viele spannende Möglichkeiten, um unsere Kunden und Kundinnen noch besser zu begleiten. 

Bis wann haben Sie alle Daten bei Swisscom?

Der Switch wird zum Jahresende stattfinden. Das müssen Sie sich vorstellen wie bei einem Transportunternehmen (lacht): Der alte Provider liefert Ihnen die Daten an die Rampe, und Sie müssen sie übernehmen. Ab Sommer startet das Testing. Wir haben Spezialistinnen und Spezialisten an Bord, welche uns bei dieser Migration begleiten und zuvor bei Swisscom gearbeitet haben.

Was sind die wichtigsten Herausforderungen im Schweizer Banking?

Bei Liegenschaften sagt man immer «Lage, Lage, Lage». Ich finde, bei der Bank müsste es «Vertrauen, Vertrauen, Vertrauen» heissen. Denn Vertrauen ist die Grundlage des Bankgeschäfts.

Dass die CS-Manager sich die eigenen Taschen gefüllt haben und zu grosse Risiken eingegangen sind, hat doch nichts mit ihrer Regionalbank zu tun.

Das Vertrauen zu uns Regionalbanken ist nicht weg, im Gegenteil. Aber das Vertrauen in die Gesamtbranche hat durch diese Ereignisse gelitten. Die Schlagzeilen haben auch das Standing der Bankmitarbeitenden beeinträchtigt und das internationale Ansehen der Branche geschädigt. Ausserdem liegt mir am Herzen, dass es durch diesen Skandal keine Wettbewerbsverzerrung gibt.

Was für eine Wettbewerbsverzerrung?

Aus Angst floss wahnsinnig viel Geld von der Credit Suisse zu Kantonalbanken mit Staatsgarantie. Meiner Meinung nach führt dies zu Wettbewerbsverzerrungen. Darüber hinaus wird nach mehr Regulierung gerufen. Die regulatorischen Anforderungen sollten mit der Grösse und Komplexität einer Bank in Relation stehen. 

Die Finanzmarktaufsicht Finma unterscheidet doch nach drei Kategorien.

Ja, aber man sollte aufpassen, wenn es um Public Liquidity Backstops und so weiter geht. Wenn das Motto «Die Grossen retten wir, die Kleinen schauen wir nicht an» lautet, funktioniert es nicht. Eine pauschale Forderung nach mehr Eigenkapital ist auch nicht die Lösung. Es ist wichtig, eine progressive Herangehensweise zu wählen. Wenn es höhere regulatorische Anforderungen geben soll, dann müssen diese der Komplexität und Grösse der jeweiligen Bank angepasst sein. In der Schweiz gibt es rund sechzig Regionalbanken, was im Sinne einer gesamtwirtschaftlichen Risikoverteilung sehr gut ist für unser Land. Aber es ist wichtig, einen fairen Wettbewerb zwischen den verschiedenen Banken respektive Bankkategorien zu gewährleisten. 

Wie können Sie das beeinflussen?

Etwa durch den Verband der Schweizerischen Regionalbanken, für den ich auch tätig bin. Dort treffen wir uns regelmässig mit Politikern und Politikerinnen und bringen diese Themen an. Sollte es neue Vorstösse oder neue Regulatorien geben, würden wir das sicher in diesen verschiedenen Gremien vorbringen.

Zur Person André Wegmann
  • Seit wann sind Sie CEO Ihrer Bank? Vorsitzender der Geschäftsleitung seit April 2023
  • Höchste/letzte Ausbildung? Executive Master of Corporate Finance
  • Alter: 51
  • Persönliche Info: Interessiert an alten Booten und Mitglied bei der Stiftung Historische Zürichsee Boote. Familienmensch und Vater einer achtjährigen Tochter.
Die Bank Avera in Zahlen
  • Gründungsjahr: 1828
  • Bilanzsumme: 4,68 Milliarden Franken
  • Kundinnen und Kunden: ca. 45’000
  • Verbreitungsgebiet: Zürcher Oberland, Region Zürichsee, Stadt Zürich
  • Genossenschaft
  • Was ist an Ihrer Bank im Vergleich zu anderen Banken speziell? Genossenschaftliche Tradition seit fast 200 Jahren; die nachhaltige Steigerung des Unternehmenswerts gewährt Sicherheit, Stabilität und Vertrauen; ertragsstarke Universalbank trotz bescheidener Grösse; regionale Verbundenheit.
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