Gerade hatte ich im «Spiegel» gelesen, dass Horst Köhler sich undiplomatisch verhalten habe. Dabei hatte er nur gesagt, was alle mit Ausnahme weniger Gutmenschen sowieso dachten. Da kam die Meldung seines Rücktritts, das Video zeigte einen betroffenen, verletzten Politiker, der wie einst Bismarck oder Helmut Schmidt meinte: «Macht euren Dreck doch alleene!»

Köhler hat mich beeindruckt, irgendwann ist genug des Kläffens der Journalisten und politischen Gegner.

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Es gäbe auch andere triftige Gründe, um Mikrofon, VR-Präsidium oder Skalpell abzugeben. Jahrzehntelange Routine lullt ein, dazu kommt die schicksalhafte, progrediente Beeinträchtigung der höheren Denkfunktionen. So werden die Partner von PwC mit sechzig zwangspensioniert und müssen sich neu orientieren. In anderen Sparten ist das nicht so. Die Kunst des stilvollen Abgangs und der weisen Neuorientierung wird vernachlässigt. Von Spitzenpolitikern im Tragikomödiantenstadel zu Bern sei hier nicht die Rede, das wird, wenn auch erfolglos, zur Genüge breitgeschlagen.

Bei den Ärzten gibt es zwar leuchtende Beispiele wie den sattsam bekannten Markus Studer, der vom Herzoperationssaal in den Führerstand eines Trucks wechselte. Oder Hans Heinrich Brunner, der die FMH bis zu seinem sechzigsten Jahr führte, sich anschliessend zwei Jahre im Bundesamt für Gesundheit ärgerte und sich dann für Notfälle und Hausarztmedizin ins Bergell zurückzog. Andere aber bleiben, bis alle ihre Patienten gestorben sind, der grosse Chirurg Sauerbruch, alkohol- und altersgeschädigt, wütete ohne Handschuhe im Brustraum. Manche zusammengefallene Greise präsidieren noch immer Fortbildungspodien und preisen die Vergangenheit, als alles besser war.

Besonders hartnäckige Sesselkleber sind die geistlichen Führer. Solange sie nur schwankend auf einem Esel durch Innenstädte reiten und für soziale Gerechtigkeit demonstrieren, richten sie keinen Schaden an. Gefährlich wird es, wenn sie, von Hirnschlägen und anderen degenerativen Krankheiten gezeichnet, sich am Kreuz festklammern und Sittenlehren verkünden. Die Sittenlosigkeit in den eigenen Reihen wird verschwiegen. Weiter im Osten schützen versteinerte religiöse Führer mit in Kalk gegossenem Starrsinn Wahlbetrüger und lassen auf das Volk schiessen.

Bergsteiger sind da bedeutend harmloser. Jene, die im fortgeschrittenen Alter noch auf Achttausender wollen, scheitern entweder früh oder praktizieren eine relativ CO2-neutrale Methode der Selbstentsorgung. Cracks, die den Verlust der Leaderposition nicht verkraften, stürzen gewollt oder ungewollt von steilen Wänden. Weisere Menschen aber nützen das an ihre Fähigkeiten angepasste Spielfeld der Möglichkeiten und freuen sich weiterhin an ihrem Tun, mit neunzig Jahren wird eben der Üetliberg zum Everest. Wer das dann noch kann, hatte ein erfolgreiches Leben.

Der wichtigste Grund für eine Neuorientierung wäre der Wechsel von der Verbreiterung zur Vertiefung. Der ehemalige BAG-Vizedirektor Hans Heinrich Brunner wusste möglicherweise, dass er nicht mehr lange zu leben hatte. Deswegen kehrte er zu dem zurück, was für ihn wesentlich war. Aber eigentlich könnte man schon in die Tiefe gehen, bevor akute Leukämie oder Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert wird und man weiss, dass das Leben nur noch wenige Wochen oder Monate dauert.

Wegweisend für die richtige Gewichtung sind die Damen und Herren des neuen Stadtrats von Zürich, die Anfang Mai demonstrierten, dass sie weitgehend überflüssig sind. Statt mit dem Regieren anzufangen, machten sie fast in corpore Ferien und erregten erst Aufmerksamkeit, als sie den TV-Plausch der Fussball-WM in den Zürcher Beizen verbieten wollten.

Prof. Dr. med. Oswald Oelz war bis Ende Juli 2006 Chefarzt für Innere Medizin am Triemli-Spital Zürich. Der Bergsteiger und Buchautor liess sich mit 63 Jahren pensionieren.