Grossbritannien stimmt über den Verbleib in der EU ab. Das Referendum am 23. Juni hat wegweisende Bedeutung für das Land, aber auch für ganz Europa. Was passiert, wenn? Die wichtigsten Fragen zum Referendum und zu den Szenarien danach.

Warum stimmen die Briten über die EU-Mitgliedschaft ab?

Das Referendum ist eng mit David Cameron verbunden. Der Tory-Premier löst damit ein Versprechen aus dem Jahr 2013 ein, das zu einem Gutteil innenpolitisch motiviert war. Forderungen danach kamen nicht zuletzt aus den Reihen seiner eigenen Partei. Aber auch das Erstarken der EU-skeptischen Ukip auf der Insel spielte eine Rolle.

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Woher kommt eigentlich der Begriff Brexit?

Brexit ist ein Kunstwort aus Britain und Exit. Es bezeichnet einen Austritt Grossbritanniens aus der EU und ist nach dem Vorbild des Grexit geprägt. Dieser Begriff, der ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro bezeichnete, entstand auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise und wird dem Citigroup-Ökonomen Ebrahim Rahbari zugeschrieben.

Was sind die Argumente der Brexit-Befürworter, was die der Gegner?

Pro: Sie argumentieren, dass Grossbritannien als drittgrösster Nettozahler in der Union ein Verlustgeschäft mache. Ein weiteres Argument ist die Kontrolle über die Grenzen. Derzeit leben und arbeiten im Königreich mehr als zwei Millionen Menschen aus anderen EU-Ländern. Sie belasten angeblich die sozialen Sicherungssysteme - Studien widerlegen dies jedoch. Auch die in den Augen vieler Briten ausufernde Brüsseler Regulierung sorgt für Unmut. Brexit-Befürworter halten die EU zudem für nicht ausreichend demokratisch legitimiert und fordern die Rückbesinnung auf nationale Souveränität.

Contra: Die Gegner eines Austritts warnen in erster Linie vor wirtschaftlichen Konsequenzen. Einem Gutachten des britischen Finanzministeriums zufolge würde ein Brexit jeden Haushalt in Grossbritannien 4300 Pfund pro Jahr kosten. Der Grund: Das Land müsste neue Freihandelsabkommen abschliessen, Investitionen aus Drittstaaten könnten zurückgehen und Banken könnten nach Kontinentaleuropa abwandern. Die Folge wäre eine Rezession.

Wird Schottland sich abspalten, falls es zum Brexit kommt?

Umfragen zeigen, dass etwa zwei Drittel der Schotten in der EU bleiben wollen. Die Frage ist eng mit der nach einer schottischen Unabhängigkeit verknüpft. Im Falle eines Brexit könnte es zu einer zweiten Volksabstimmung um eine Abspaltung Schottlands vom Vereinigten Königreich kommen, kündigte Regierungschefin Nicola Sturgeon an. Ein erstes Referendum scheiterte 2014.

Was denkt Londons City, was würde aus dem britischen Pfund?

Die Folgen eines Brexit für den Finanzplatz London - die City - sind unter Experten umstritten. Eine Seite beschwört bereits den Untergang der Londoner City für den Austrittsfall, andere sagen ihr eine goldene Zukunft voraus, fernab von lästigen EU-Vorschriften. Befürchtet wird vor allem, dass zum Beispiel US-Banken nach Paris oder Frankfurt abwandern könnten, um ihre Finanzprodukte weiterhin ungehindert in EU-Staaten verkaufen zu können. Zudem könnte die Europäische Zentralbank (EZB) versuchen, den lukrativen Devisenhandel mit dem Euro aus London abzuziehen. Das britische Pfund würde wohl zumindest kurzfristig an Wert verlieren.

Was schätzt die EU an Grossbritannien?

Die EU ist durch die Erweiterung ein vielstimmiges Orchester geworden. Arme Länder haben andere Interessen als stark industrialisierte, südliche Staaten andere als nördliche. Für Deutschland und Frankreich ist Grossbritannien vor diesem Hintergrund trotz allem ein Partner, der zumindest aussen- und haushaltspolitisch ähnliche Grundinteressen vertritt. Ausserdem wird seine Funktion als diplomatische Brücke zur USA geschätzt.

Wird ein Austritt Grossbritanniens einen Dominoeffekt bewirken?

Das ist die grosse Befürchtung in Brüssel. Ob es dazu kommen würde, ist offen. Tatsache ist: In vielen Ländern haben antieuropäische Strömungen zuletzt viel Zulauf bekommen. In der europäischen Bevölkerung ist die Skepsis gegenüber Brüssel Umfragen zufolge gross. Auch wenn es nicht gleich zu Austritten kommt: Die Forderungen vieler Länder an Brüssel könnten mit der Androhung von Austritten viel mehr Nachdruck erhalten.

Was könnten Folgen für die Sicherheit sein?

Auch die nationale Sicherheit sehen die Gegner eines Brexit in Gefahr. Polizei- und Geheimdienstinformationen könnten nicht mehr so leicht ausgetauscht werden wie bisher. Dies könnte angesichts der starken Dienste in Grossbritannien auch Informationsverluste für Europa - etwa im Kampf gegen den Terror - bedeuten. Militärische Folgen sind dagegen kaum zu befürchten. Grossbritannien als Atommacht und enger Verbündeter der USA lehnt eine militärische Zusammenarbeit auf EU-Ebene ohnehin weitgehend ab.

Brauchen Europäer künftig ein Visum, wenn sie nach London wollen?

Das ist für die meisten EU-Länder nahezu auszuschliessen. Dennoch: Es müssten Einzelfallregelungen zur Visumfreiheit geschlossen werden. London hatte 2004 bewusst mehr Osteuropäer ins Land gelassen als andere EU-Länder, weil Arbeiter benötigt wurden. Harte Regelungen nach einem Brexit würde ganze Branchen wie der Bau ausbluten lassen. Daran hat Grossbritannien, das einen riesigen Investitionsstau im Hoch- und Tiefbau hat, kein Interesse.

Was ist für Grossbritannien die Alternative zur EU?

Die Briten glauben, sie können sich künftig stärker an aussereuropäische Länder binden. Die besondere Verbindung zu den USA spielt dabei eine Rolle, aber auch die Erinnerung an vergangene Grossmacht-Zeiten als Kopf des British Empire. Dessen Überbleibsel ist der Commonwealth of Nations, mit vielen kleinen, unbedeutenden Mitgliedern, aber auch aufstrebenden Wirtschaftsmächten wie Indien.

(sda/ccr)