Südlich der Alpen gehen die Uhren bisweilen anders. Zum Beispiel in den Führungsetagen italienischer Grosskonzerne und Medienhäuser: Der 75jährige Cesare Romiti nahm diesen Sommer Abschied von seinem Amt als Fiat-Präsident. Sein Nachfolger: Der kurz zuvor bei General Electric mit 65 Jahren pensionierte Paolo Fresco. Doch statt sich des Ruhestands zu erfreuen, wechselt Romiti in den Chefsessel des Mailänder Verlagshauses Rizzoli Corriere della Sera - in einem Alter, in dem hierzulande der Gedanke an die Arbeitswelt meist nur noch ferne Erinnerung ist. Sein eigentlicher Wunschjob, nämlich die Spitze des Mailänder Finanzhauses Mediobanca, blieb Romiti freilich verwehrt. Denn dort behauptet sich Enrico Cuccia, mit seinen 90 Jahren schon ein wahrer Gerontokrat. In der Schweiz hingegen beginnt das Zittern um den Job bereits ab dem fünfzigsten Lebensjahr. Im gegenwärtigen Restrukturierungs- und Mergerfieber kippen die älteren Kaderleute als erste aus den Abteilungen. Zu teuer, zuwenig dynamisch, zu satt - also weg mit ihnen! Seit 1990 ist die Erwerbstätigkeit unter den 55- bis 59jährigen Männern von 95 auf 90 Prozent gesunken; bei den 60- bis 65jährigen fiel die Quote von 76 auf 72 Prozent.

Auch wenn die Personalverantwortlichen einiger Schweizer Grossfirmen betonen, dass das Durchschnittsalter der Beschäftigten nicht gesunken sei, gilt: Jenseits des fünfzigsten Lebensjahres beherrscht die Angst um den Job das Management. «Ich bin jetzt 55 und warte eigentlich jeden Morgen darauf, überflüssig zu sein», sagt der Kadermann einer internationalen Ölfirma in der Schweiz. Doch für die künftige Kadergeneration sind die Altersaussichten alles andere als düster. Die Mittdreissiger, die heute für die Karriere strampeln, haben gute Chancen, dass sie selber mit Mitte Fünfzig noch lange nicht zum alten Eisen gehören werden. Die Babyboomer, die zwischen 1950 und 1964 Geborenen, werden die Gewinner der Zukunft sein. Schon heute lassen sich Anzeichen einer sanften Trendwende erkennen. Und nicht nur in den USA, wo «the war for talents» schon seit längerem auch die älteren Jahrgänge wieder einschliesst, sondern auch in Europa beginnt sich das Blatt wieder zugunsten der Manager über Fünfzig zu wenden. «Moderne Unternehmen scheinen zwar einem Jugendkult zu huldigen, aber ältere Manager kommen wieder in Mode», sagt Mike Johnson. Der Inhaber einer Beratungsagentur in Brüssel hat im Auftrag der Economist Intelligence Unit, dem Think tank des britischen Wirtschaftsmagazins «The Economist», die Lage auf dem Arbeitsmarkt für Manager bis ins Jahr 2001 unter die Lupe genommen. Nachdem durch Restrukturierungen Tausende auf die Strasse gesetzt wurden, ortet er eine Renaissance für die Oldies.

Manager mit Erfahrung sind auch in der Schweiz bereits wieder gefragt. «Auf lange Sicht wird man nicht darum herumkommen, die Fachkenntnisse und die Arbeitsqualität wieder stärker zu gewichten als das Lebensalter», sagt Hans Rudolf Schuppisser, Sekretär des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes. «Die ABB Schweiz», sagt ihr Pressesprecher Kurt Lötscher, «macht sich vermehrt Gedanken, wie man ältere Angestellte behalten könnte». Die Erfahrung, die mit ihnen dem Unternehmen verlorengeht, lässt sich in vielen Fällen nur sehr teuer wieder einkaufen. Eine Einschränkung macht ABB-Mann Lötscher allerdings: Bei Restrukturierungen wird es wahrscheinlich weiterhin die älteren und deshalb teureren Kaderleute zuerst treffen.

Die Tendenz, ältere Mitarbeiter wieder stärker zu schätzen, beobachtet auch Christina Kuenzle von Coutts Career Consultants, einer internationalen Human-Resources-Agentur. «Ältere Manager haben andere Qualitäten als junge, die in den Unternehmen dringend gebraucht werden», sagt sie. Die Erfahrung, die eine Führungskraft in zwanzig Jahren Berufsleben erworben hat, sei auch durch jugendlichen Elan nicht wettzumachen. «Es wird langsam klar, dass man nicht 36 Jahre alt sein und gleichzeitig alles wissen kann», sagt Christina Kuenzle. Bei Führungskräften über Fünfzig dauert es nach ihrer Erfahrung zwar im Schnitt etwas länger als bei jungen, bis sie einen neuen Arbeitsvertrag unterzeichnen: «Aber innerhalb eines Jahres haben praktisch alle eine neue Stelle», sagt sie.

Für ältere Manager sind die Chancen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt gar nicht so schlecht, wie die Stimmung unter den Seniors vermuten lässt. Die meisten Bewerber, die in die Jahre gekommen sind, schätzen ihre Möglichkeiten schlechter ein als sie tatsächlich sind. Das ist das Ergebnis einer Umfrage, welche die Managementberater Von Rohr & Associates in Genf und Mühlenhoff+Partner in Zürich in diesem Sommer in Auftrag gegeben haben. Sie bestätigt die Trendwende. «Es scheint eine tendenzielle Umkehr auf dem Arbeitsmarkt zugunsten reiferer Mitarbeiter zu geben.» Befragt wurden 430 Unternehmen und 269 Kaderleute in der Schweiz.

Tatsächlich ist das Selbstbild der Bewerber viel schlechter als das Bild, das sich der Arbeitgeber macht. Erstaunlich ist denn auch die Diskrepanz zwischen dem «kritischen Alter», das Arbeitnehmer und Arbeitgeber nennen. Nach Ansicht der Bewerber liegt die Altersguillotine bei 46 Jahren, für die Wirtschaft liegt sie bei 49 Jahren. Während Bewerber in der Chemie- oder Pharmaindustrie glauben, schon ab Mitte Vierzig keine Chance mehr zu haben, liegt das kritische Alter aus der Sicht der Unternehmen erst jenseits des fünfzigsten Lebensjahres.

Die Vorteile des Alters liegen auf der Hand und werden auch von den Firmen geschätzt. Etwa 80 Prozent der Unternehmen nannten die Erfahrung und 65 Prozent die Reife als wesentliche Stärke der Älteren. Ihr Handikap ist jedoch, dass sie von der technischen Entwicklung und dem schnellen Wandel in der Wirtschaft überrollt wurden. Über 60 Prozent der befragten Unternehmen nannten mangelnde Kenntnisse in der Informationstechnologie und mangelnde Flexibilität als Hauptnachteile. Das Argument, das berufliche Engagement der gealterten Führungskräfte lasse immer mehr nach, ist seit kurzem vom Tisch. Eine Untersuchung, publiziert im renommierten «Journal of Management Development», räumt mit diesem Vorurteil auf und kommt zu einem gegenteiligen Ergebnis: Der Beitrag der älteren Kader zum Unternehmenserfolg ist grösser als jener der jüngeren. «Die beste Leistung erbringen Führungskräfte, die dem Unternehmen lange Zeit angehört haben», sagt Andrew Korac-Kakbadse, Professor an der englischen Cranfield School of Management. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich im Laufe der Jahre zu Team-Playern entwickelt haben, die Reife, Toleranz und ein gerüttelt Mass an Pragmatismus und Realitätssinn an den Tag legen - Eigenschaften, die nur mit der Zeit zu erwerben sind.

Jüngere Manager, so fanden die britischen Managementexperten heraus, sind häufig ungeduldig mit ihren Mitarbeitern und stehen den Fehlern des Unternehmens äusserst kritisch gegenüber. Da müssen die Sozialkompetenz und die Abgeklärtheit, die die Untersuchung der Cranfield School den Älteren bescheinigt, geradezu als Balsam für die müden Seelen der Mitarbeiter und als Segen für das Unternehmen wirken. «Ältere Senior Manager erscheinen wesentlich disziplinierter, versuchen sich einen umfassenderen Überblick zu verschaffen, bevor sie eine Entscheidung treffen, und haben auch häufiger ein besseres Verhältnis zu Kollegen, Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten als die jungen», sagt Korac.

In Zukunft dürfte sich die Nachfrage nach älteren Führungskräften noch verstärken. Wesentliche Gründe dafür sind die Bevölkerungsentwicklung, ein Nachlassen der Restrukturierungswelle und die Verlangsamung der rasanten Entwicklung in der Informationstechnologie. Lauter Faktoren, die bisher dazu beigetragen haben, dass die angejahrte Managergeneration in die Wüste geschickt wurde.

Eine Untersuchung der London Business School legt den Schluss nahe, dass es die Generation der Babyboomer besser haben wird, wenn sie dermaleinst in die Jahre kommt. Die Jungen von heute werden auch im Alter die Gewinner sein. Und das nicht nur, weil die Rentensysteme die Frühpensionierung nicht durchhalten, sondern weil die Veränderung der Altersstruktur in der Bevölkerung sie begünstigt: Nur schon aus demographischen Gründen werden sie gefragter sein als alle anderen älteren Generationen vor ihnen.

Etwa ab dem Jahr 2010, wenn sich die letzten geburtenstarken Jahrgänge auf die Fünfzig zubewegen, nimmt der Anteil der über Fünfzigjährigen an der arbeitenden Bevölkerung rasch zu. Von derzeit knapp 30 Prozent zwischen 45 und 65 Jahren wird ihr Anteil auf über 40 Prozent ansteigen. Berücksichtigt man nur die Altersklassen der über Fünfzigjährigen und ihre jüngeren Konkurrenten in den Führungsetagen, wird sich das Verhältnis zwischen alt und jung bei fifty-fifty einpendeln. Die geburtenschwachen Jahrgänge werden die im Generationenkampf erprobten Babyboomer kaum aus ihren Sesseln hebeln können, zumal diesen ein anderer Umstand zugute kommt: Die Restrukturierungs- und Mergerspirale, die die Reihen im älteren Management gelichtet hat, dürfte in einigen Jahren nachlassen, wie Wirtschaftswissenschaftler vermuten. Damit wird ein wesentlicher Grund für die Angst im älteren Management beseitigt sein.

Nicht zu unterschätzen ist dabei auch ein psychologischer Faktor: Globalisierung und Umbau der Unternehmen haben den heutigen Jungen recht drastisch vor Augen geführt, dass nichts wirklich sicher ist. Glaubte die Generation ihrer Vorgänger noch an lebenslange Treue zum Unternehmen und den sicheren Arbeitsplatz, haben sich die jetzt jungen Manager längst an die Unsicherheit gewöhnen müssen. Nichts ist garantiert, und Flexibilität ist zwingend geworden. «Angesichts der unsicheren Zukunft müssen die jungen Manager heute viel egoistischer sein», sagt der Zürcher Headhunter Bjørn Johansson. «Ihre Devise ist, jetzt soviel wie möglich herauszuholen, denn sie wissen ja nicht, was morgen ist.» Im Konkurrenzkampf der neunziger Jahre abgehärtet, an ständigen Richtungswechsel gewöhnt, dürften sie auch mit den Unwägbarkeiten, welche die weitere Entwicklung bringt, besser zurande kommen.

Den heute über 50jährigen ist auch die Revolution im Bereich der Informationstechnologie in die Quere gekommen. Während die Babyboomer den Einzug des PC in die Kinderzimmer miterlebten, ging die Entwicklung an vielen heute älteren Kaderleuten vorbei. Kein Wunder, dass ihnen bald das Image von Computer-Ignoranten anhing, die den technologischen Anschluss verpasst hatten. Doch ob das Innovationstempo bei den Informationstechnologien so hoch bleibt, ist fraglich. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass wir die gravierendsten Umwälzungen in der Informatik bereits hinter uns haben. Software-Lösungen für die meisten Tätigkeiten im Managementbereich gibt es längst, die elektronische Kommunikation ist Standard. Wenn auf diesem Gebiet keine grossen Änderungen zu erwarten sind, droht den Babyboomern auch keine Konkurrenz mehr von den Computerkids der Neunziger, die ihnen mit ihrem Know-how den Job streitig machen könnten. Deren Wissensvorsprung dürfte dann vergleichsweise gering sein.

Doch mit dieser Sicht sind nicht alle einverstanden. «Die Annahme, dass sich die jetzigen Mittdreissiger keine allzugrossen Sorgen machen sollten, mag richtig sein», sagt der Brüsseler Berater Mike Johnson: «Ich nehme an, dass die Mittdreissiger auf dem Informatiksektor trotzdem bald zu Dinosauriern werden.» Denn er vermutet, dass der Wandel der Technologie ungebremst weitergeht. «Die heute 15jährigen haben nicht nur sehr früh Zugang zu den neuen Technologien, sondern sie beherrschen sie auch in einer für uns kaum vorstellbaren Art und Weise.» Und das könnte auch die Generation der Babyboomer ins Stolpern bringen.

Partner-Inhalte