Erfreulich, was die akademische Jugend heutzutage unter Fun versteht. «Wir wollen Sie nicht unterfordern», kündigt Carsten Henkel dem guten Dutzend Studenten an, das an diesem Freitagmorgen erwartungsvoll im Seminarraum sitzt. Das Schweizer Büro des Beratungsunternehmens Monitor hat je zwei Teams von ETH und HSG zu einem zweitägigen Wettkampf in die Kartause Ittingen eingeladen: Über Nacht sollen sie eine komplexe Fallstudie bearbeiten und ihre Lösungen anderntags einer gestrengen Jury von erfahrenen Praktikern vortragen. Und was die Hoffnungsträger der Wirtschaft neben Lerneffekt und Gourmetverpflegung, rauchenden Köpfen und roten Augen von dieser herausfordernden Aufgabe erwarten, heisst unisono: «Wir wollen Spass.» «Bewusst provokant» hat Carsten Henkel, Chef von Monitor Schweiz, für diesen Wettkampf Studierende der renommiertesten Universitäten der Deutschschweiz ausgewählt. Mit Formeln und Modellen müssen sie sich an beiden Hochschulen abplagen, aber die einen berechnen normalerweise Renditen auf Investitionen, die anderen Strömungen und Flugbahnen, Molekülmodelle und Atomstrukturen: Welche Ausbildung bringt die kreativeren Unternehmensberater hervor? Carsten Henkel hat eine Hypothese: «Eine von beiden Schulen ist besser – aber ein gemischtes Team würde alle anderen mit Grausen in die Flucht schlagen.» Ein solches Superteam liess sich allerdings bei der Premiere nicht bilden; für den Spass versprechenden Wettkampf meldeten sich eingespielte Equipen aus Lerngruppen und Doktorandenseminaren an. Sie gehen denn auch gleich strukturiert und diszipliniert an die Arbeit. Beim einen Team von der HSG ist der Tisch nachmittags um 16 Uhr von angebrochenen Cola-Flaschen verstellt und mit Schokoriegeln, Waffeln, Papier und Taschenrechnern übersät. Aber an der Wand hängen Plakate mit den säuberlich aufgelisteten Fragen und mit einem strengen Zeitplan: «17.30 Aufgaben fertig, 18.30 Präsentation fertig.» Igor Skender, der Coach des Teams, strebt eine Lösung noch vor dem Nachtessen an, damit seine Schützlinge anderntags nicht mit Augenringen vor der Jury stehen – dieser Zeitplan aber ist eindeutig zu optimistisch. «Wir brauchen bestimmt noch eine Stunde», weiss denn auch das eine Duo, das in seinem Modell die Einflussfaktoren zu gewichten versucht, wie sich der Goldpreis entwickeln könnte. Und auch das andere benötigt noch viel Zeit, um am Laptop «ongoing capital expenditures» oder «effective labor costs» in ein Spreadsheet zu hacken. «Das ist typisch Porter», weiss Judith Granat, eine zierliche Französin, die in St. Gallen studiert. Die Fallstudie für den Wettkampf, im Geist des Monitor-Gründervaters Michael Porter, soll faire Bedingungen für den Vergleich der beiden Hochschulen bieten, also niemanden mit seinem Training bevorzugen, sondern alle mit ihrer je eigenen Kompetenz herausfordern. Die Übungsleiter haben deshalb das Problem eines kanadischen Goldminen-Unternehmens ausgewählt. Nach dem Verkauf einer Beteiligung sitzt es Ende 1999 auf 300 Millionen Dollar in Cash und steht vor der Frage, in welche von vier Minen in Kanada, Australien oder gar Brasilien es investieren soll. Gleichzeitig scheint der Goldpreis unaufhaltsam zu zerfallen: Soll das Unternehmen auch auf Kupfer setzen? Die vertikale Integration mit dem Zukauf von Explorationsfirmen oder Schmelzwerken anstreben? Oder gar, wie viele Minengesellschaften mit fraglicher Zukunft, das Glück im Goldrausch des Internet-booms suchen? Eine anspruchsvolle Aufgabe, für die schon elementare Grundlagen fehlen. «Wissen wir überhaupt, wo der Goldpreis heute steht?», fragt sich das HSG-Team. Niemand hat eine Ahnung, auch in den anderen Gruppen nicht. Das Lösen der ersten Aufgabe, einer Prognose für die Entwicklung des Goldpreises, erweist sich denn auch als schwierig. Lektion eins der Ökonomie, das Ausbalancieren von Angebot und Nachfrage, lässt sich nämlich in diesem Fall nur bedingt anwenden. Denn mit den politischen Entscheiden der Zentralbanken, mit den Leerverkäufen der Goldproduzenten, gar mit einer angeblichen Verschwörung von US-Regierung und Wall-Street-Banken, um den Goldpreis zu drücken, ist dieser Markt wohl der irrationalste, den es gibt. Die ahnungslosen Studierenden können sich denn auch mit den Prognosen der Analysten trösten, die sie in ihren Unterlagen finden: Diese sagen Ende 1999 für das kommende Jahr einen Preis pro Goldunze zwischen 260 und 320 Dollar, für 2002 zwischen 255 und 350 Dollar voraus. (Tatsächlich explodierte der Goldpreis Ende 2002 und erreichte zeitweise 355 Dollar.) Aber egal, ob die Teams von 250 oder 300 Dollar oder einfach – auch in der Realität das beliebteste Verfahren – vom Durchschnitt der weit gestreuten Analystenorakel ausgehen: Hauptsache, sie berechnen, gestützt auf diese über den Daumen gepeilte Annahme, die Barwerte der möglichen Investments richtig. Das ist natürlich für die Teams von der HSG ein Alltagsjob, für jene von der ETH dagegen eine höhere Kunst. Ken Weissmahr als Coach beim einen ETH-Team gibt denn auch das Spreadsheet für diese Aufgabe vor: «Wir verlassen uns darauf, dass es der Bill Gates richtig programmiert hat.» Denn der Informatiker Andreas Westhoff lacht: «Wir lernen an der ETH, Programme zu schreiben, aber nicht, sie anzuwenden.» Doch abgesehen von der Fertigkeit, Spreadsheets aufzubauen und abzufüllen, kann der Beobachter kaum Unterschiede zwischen den Teams von ETH und HSG erkennen. Streng systematisch und rational versuchen sie alle die unergründliche Entwicklung des Goldpreises zu prognostizieren oder die abenteuerlichen Alternativen in der New Economy zu analysieren: mit Modellen, Simulationen, Bewertungsschemata. «Die Fähigkeit des analytischen Denkens ist bei den Studierenden der ETH mindestens so gut entwickelt wie bei jenen der HSG», weiss Carsten Henkel. «In unserer Praxis sind viele Leute erfolgreich, die im Studium nie etwas mit Zahlen zu tun hatten.» In allen Räumen wird die Luft immer dicker, das Durcheinander von Snacks und Rechnern, bekritzeltem Papier und halb leeren Flaschen immer wilder. Das Berechnen der Optionen und das Ausfeilen der Präsentation ziehen sich hin. Nach dem Nachtessen lassen es denn auch alle Gruppen, nur so zum Spass, nochmals rauchen. Die erste hat sich um Mitternacht ins Bett verzogen, um am Morgen für den Endspurt fit zu sein, die letzte macht um zwei Uhr morgens Schluss. «Immerhin hat niemand die Nacht durchgearbeitet», lächelt Carsten Henkel, bevor am Samstagvormittag die Jury zusammentritt, «das hebt sich schon mal vorteilhaft vom Berater-Alltag ab.» Den Verwaltungsrat, der die Lösungen kritisch beurteilt, also die Jury, bilden hochkarätige Experten: CEOs eines Warenhauses, einer Papierfabrik, einer Telekom-Gesellschaft, einer Finanzberatung, dazu ein BILANZ-Redaktor – darunter einige HSG-Absolventen, aber peinlich darauf bedacht, Gerechtigkeit walten zu lassen. Wie im richtigen Leben kommt es nicht so sehr darauf an, ob die Net Present Values der möglichen Mineninvestitionen – auf der Basis des kaum prognostizierbaren Goldpreises! – korrekt berechnet sind. Für die Jury zählen analytische Tiefe und kreative Lösungen, Teamplay und Präsentationsqualität. Und die wichtigste Frage heisst: Verstehen die Berater in spe eigentlich das Problem? Leonard Clemens, 23-jähriger Bauingenieur aus Vorarlberg, der beim ersten Team allein präsentiert, schreckt das Publikum denn auch auf, als er den Goldpreis mit «Unzen per Tonne» angibt und sich, als alle noch an einen Versprecher glauben, im Brustton der Überzeugung wiederholt. Ein echter Berater aus dem Klischeekatalog: keine Ahnung von der Materie, aber eine Lösung für jedes Problem? Jessica Dittmar, die Geochemikerin im Team, klärt ihren Kollegen später auf, verbunden mit behutsamer Kritik an seinem Präsentationsstil: «Du sagst immer ‹im Prinzip›.» «Okay», meint der Korrigierte, «ich bin ja da, um etwas zu lernen.» Die Jury nimmt ihm jedenfalls den flotten Unsinn nicht übel. Sie staunt über die – vom Versprecher abgesehen – perfekte Präsentation, die das Jungtalent mit österreichischem Charme hingelegt hat: «Deutsche wirken meist viel härter.» Das ETH-Team verliert denn auch in der Endausscheidung nur knapp und erhält zum Trost den Preis für die beste Präsentation. Niemand beanstandet auch, dass das zweite ETH-Team, mit einem Physiker und zwei Informatikern, im Pullover mit den Händen in den Hosentaschen dasteht und auf dem Hellraumprojektor handgekritzelte Folien auflegt. Es gewinnt, weil es als Einziges die Optionen in allen Dimensionen glasklar darstellt, den Preis für die kreativste Lösung: Am geeignetsten als Prämie wäre eine Einführung in Powerpoint, meint ein Jurymitglied maliziös. Abgeschlagen landet das erste Team der HSG, das wie in der Karikatur in dunkler Schale im Glied steht, eine saubere Analyse des Goldpreises vorführt, die nur den Schönheitsfehler hat, dass sie zu einer unrealistischen Prognose von 250 Dollar kommt. Zum Schluss vergisst das Team auch nicht, zur weiteren Entwicklung des Unternehmens ein «Strategy Consulting Project» für zwei Millionen Dollar vorzuschlagen – was immerhin die Berater im Publikum belustigt. Der zweiten Mannschaft der HSG ist der Sieg aber nicht zu nehmen, obwohl die Jury sie in ihrer Rolle als Verwaltungsrat nach Kräften auseinander nimmt. «Wir wissen nicht, wo der Goldpreis sein wird», gesteht das eingespielte deutsch-holländisch-chinesische Team von Doktoranden: Deshalb geht es bei seinen Empfehlungen von verschiedenen Szenarien aus. Und Marc-Oliver Thurner biedert sich als bereits erfahrener Berater geschickt beim fiktiven Verwaltungsrat eines Familienunternehmens an: «Unsere Aussage wäre genauso gut wie jede andere», meint er, «Sie kennen Ihr Geschäft besser.» Wie meint doch der Volksmund: Die Berater verkaufen den Beratenen deren eigenes Wissen. Aber da es noch nicht ernst gilt, leistet sich das Team zum Schluss doch noch Ehrlichkeit. «Wollen Sie denn das Board auswechseln?», fragt die Jury. «Ja», kommt die entwaffnende Antwort, «das Problem sind Sie.» Es sei wohl nicht ganz fair gewesen, das erfahrene Doktorandenteam gegen die beflissenen Studierenden antreten zu lassen, meint Carsten Henkel, als er das Fazit zieht: «Aber das gibt es ja im richtigen Leben auch.» Und der nächste Wettkampf kommt bestimmt: Dann möchte man ausgeglichenere, eben nach Möglichkeit durchmischte Teams zusammenstellen und voraussichtlich auch Studierende von anderen Universitäten einladen. Denn auch für sie gilt, was Carsten Henkel von den ETH-Absolventen sagt: «Von ihnen kommen prozentual genauso viele für eine erfolgreiche Beraterkarriere in Frage wie von den HSG-Studenten, aber niemand sagt es ihnen.» HSG-Team 2: Winning Team ETH-Team 1: Best Presentation ETH-Team 2: Most Creative Solution HSG-Team 1: Best Teamwork
ZWEI KÖNIGSWEGE HSG und ETH: Hochschulen mit eigenständigem Profil und internationalem Renommee Die Universität St. Gallen, bekannt als HSG, versteht sich mit ihren rund 4500 Studierenden zwar als eine der kleineren Hochschulen Europas, aber als «grösste wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Schweiz». Sie behauptet sich denn auch unter den international führenden Wirtschaftsuniversitäten. Mit der Spezialisierung auf Volks- und Betriebswirtschaft sowie Recht will sie Führungskräfte in Wirtschaft, öffentlicher Verwaltung und Rechtspflege ausbilden. Die Ausbildung mit «deutlich strukturierten Lehrplänen» und einem «rigorosen Prüfungssystem» ist neu dreistufig gegliedert, mit vier Semestern Grundstufe, vier Semestern Lizenziatsstufe sowie daran anschliessendem Doktorat. Dabei legt die Universität dasselbe Gewicht auf Wissenschaft, Praxis und Persönlichkeitsbildung. Unter dem Motto «Unternimm dein Studium selbst» sollen die Studierenden ihre Ausbildung selbstverantwortlich planen und Kenntnisse und Fähigkeiten auch dank Eigeninitiative in der Praxis erwerben. Die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH) zählt, wie Nobelpreis-Verleihungen belegen, zu den führenden technischen Universitäten der Welt. Sie will ihre rund 12 500 Studierenden dazu ausbilden, den Bedürfnissen von Menschen, Natur und Gesellschaft zu dienen. Die 17 Abteilungen decken denn auch das ganze Spektrum der Natur- und Ingenieurwissenschaften ab; zur Hochschule gehört aber auch eine renommierte Abteilung für Geistes- und Sozialwissenschaften. Rund 9500 Studierende absolvieren einen Diplomlehrgang, zu dem vor allem in den Ingenieurwissenschaften auch Industriepraktika gehören. Daran kann das Doktorat anschliessen. Die Fähigkeit, ein Unternehmen zu gründen und zu führen, bekommen die Studierenden vor allem in einer Vorlesung des Risikokapitalisten Massimo S. Lattmann und durch die Angebote der Business Tools AG: Das 1995 entstandene, erfolgreiche Firmengründungsprogramm ETH Tools wurde 2000 mit einem Lizenzvertrag in ein eigenes Unternehmen ausgegliedert.
Das «Porter-House» Das Beratungsunternehmen Monitor ist aus der Harvard Business School entstanden; ihr führender Strategielehrer Michael Porter war Gründervater und ist heute noch aktiver Partner. Das Unternehmen, das sich vor allem auf Strategieentwicklung, kaum auf Kostensenkungsprogramme spezialisiert, beschäftigt heute weltweit rund 1000 Berater. In der Schweiz ist es seit fünf Jahren tätig, vorwiegend in den Branchen Financial Services, Pharma/Chemie, Konsumgüter und Industrie. 13 Berater sind in der Schweiz stationiert, für einzelne Projekte zieht das Unternehmen die doppelte Zahl zusammen. Monitor sieht sich im deutschsprachigen Raum inzwischen als Nummer vier nach McKinsey, Boston Consulting Group und Roland Berger. Das Unternehmen ist, im Gegensatz zu Konkurrenten, auch im schwierigen Jahr 2002 um 15 Prozent gewachsen und stellt weiterhin Hochschulabgänger ein.
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