Es war eines der ehrgeizigsten Projekte der jungen Schweizer Wirtschaftsgeschichte: Die Zuger Fantas-tic Corporation (TFC) ist Mitte der Neunzigerjahre mit der Vision gestartet, im Breitbandbereich eine neue Multimediawelt zu kreieren. Zu einem Konzern mit über zehntausend Angestellten – so bekräftigte der Anfang Jahr geholte neue CEO Reto Braun noch im Frühling – sollte die Firma heranwachsen. Jetzt herrscht am Zugersee Sturmwarnung: Die Verkäufe sind schleppend, die Verluste häufen sich, die Aktienkurse stürzen ab – in den letzten neun Monaten um 95 Prozent.
TFC ist nur eine unter vielen Firmen, die mit galoppierenden Verlusten und fallenden Kursen zu kämpfen haben. Seit März dieses Jahres stecken die Wachstumsmärkte rund um den Erdball in der Krise. Da wundert es nicht, dass manch enttäuschter Kleinanleger von IT-Titeln nichts mehr wissen will. Doch sieht die New Economy wirklich so alt aus, wie das viele wahrhaben wollen? BILANZ wollte es genau wissen. Sie befragte junge IT-Firmen, die sie in den letzten Jahren vorgestellt hatte – und kam zu einem völlig anderen Ergebnis: Die Innovationskraft ist ungebrochen, die IT-Branche lebt. Und wie.
Zu den Schrittmachern gehört die Zürcher SoftWired. Gestartet ist das Technopark-Unternehmen als Schulungs- und Dienstleistungsfirma im Java-Umfeld. Das war 1997, und für Mitgründer Martin Erzberger ist das beinahe schon graue Vorzeit. Denn unterdessen ist aus dem einstigen Minidienstleister ein Hightech-Unternehmen mit weltweiter Ausstrahlung geworden. «Wireless» heisst das Zauberwort. Aufbauend auf dem plattformübergreifenden Java Message Service, erlaubt es das Tool von Erzberger und Partner Silvano Maffeis, Kommunikationsapplikationen zu programmieren, die drahtlos die verschiedensten Geräte miteinander verbinden. Dieser Tage kommt der iBus, eine Kombination aus einer schlanken Serversoftware und einer Entwicklungsumgebung, als Standardversion auf den Markt.
«Im Prinzip», so Erzberger, «kann unser Miniserver in allen Geräten, Fahrzeugen oder sonstigen mobilen Installationen eingesetzt werden, die über einen Rechner verfügen.» Ein gigantischer Markt, der bereits auch den Risikokapitalisten Appetit gemacht hat: Nach einer ersten Finanzierungsrunde 1998 ist vor einem Jahr die zweite über die Bühne gegangen. Der Personalbestand stieg sprunghaft von 7 auf nunmehr 30 an. Und Ende 2001 werden Erzberger, Maffeis und Henry Wild – der Australier wurde als CFO angestellt, amtet aber unterdessen als CEO – an die hundert Namen auf der Lohnliste haben, verteilt auf Tochtergesellschaften in Deutschland, Polen und den USA. Zu den Kunden des Uni-Spin-offs zählen der Kopierapparatehersteller Xerox oder die amerikanische Luftwaffe. Martin Erzberger ist deshalb überzeugt, dass der iBus die SoftWired bis in spätestens zwei Jahren in die schwarzen Zahlen fährt. Erst dann will er den Sprung an eine Wachstumsbörse wagen.
Solche Töne beweisen, dass die Unternehmer der New Economy ihre Lehren aus den Börsenwirren gezogen haben. Die Negativbeispiele Complet-e und Miracle vor Augen, haben sie erkannt, dass ein IPO nur dann Sinn macht, wenn die Firma mit marktreifen Produkten, zufriedenen Pilotkunden und schwarzen Zahlen aufwarten kann.
Ein Lernprozess, den Robert Wyss vom New Market der Schweizer Börse (SWX) auch bei den Banken anmahnt. Er wünscht sich, dass diese die IPO-Kandidaten nicht nur nach ihrem Potenzial, sondern vermehrt auch nach ihrer Substanz bewerten. Der New Market soll sich wieder auf seine Funktion beschränken: Unternehmen mit ausgereiften, innovativen Produkten die Plattform zu liefern, auf der sie sich die nötige finanzielle Kraft für die Eroberung der internationalen Märkte holen können. Denn die Kosten für die Etablierung eines Hightech-Produktes sind enorm.
Wie lange es dauern wird, bis der neue Realismus an den Börsen das Vertrauen der Anleger wiederherstellt, wird sich weisen. Vertrauensbildend dürfte sich auswirken, dass die Umsätze in den meisten IT-Firmen boomen. Vor allem Unternehmen, die auf Grund ihrer Fokussierung nicht auf Venture-Capital und Börsengeld angewiesen sind, haben auch in diesem Jahr teilweise markant zugelegt. Sie produzieren Produkte für einen Nischenmarkt oder sind ausschliesslich als Dienstleister tätig und verdienen gutes, ja sehr gutes Geld.
Ein klassischer Nischenplayer ist die Zürcher Iris. Sie hat eine Risikomanagement-Software für Finanzinstitute entwickelt. Willi Brammertz, zusammen mit Jürg Winter Besitzer und Geschäftsführer des Unternehmens, macht ein weltweites Potenzial von etwa 1000 Kunden aus. Dass es nicht mehr sind, hängt mit dem hohen Preis des Analyse- und Simulationstools zusammen: Riskpro kostet zwischen einer halben und zwei Millionen Franken.
Für dieses Geld leistet das Tool wertvolle Dienste in Fragen der Risikoabschätzung. So hilft es beispielsweise bei der Festlegung der Zinssätze und Laufzeiten von Kassenobligationen. «Bei Entscheidungen mit Langzeitfolgen kann eine Fehlannahme Milliarden kosten», kommentiert Martin Spillmann, der Verantwortliche für das Asset and Liability Management in der Group Treasury der UBS. Spillmann implementiert gegenwärtig Riskpro bei der UBS. Der Grund für den Kaufentscheid: Das Know-how, das hinter Riskpro steckt, ist bisher unerreicht. Da wundert es nicht, dass weltweit bereits 35 Banken mit der «Cockpit-Software» (Brammertz) durch die Unsicherheit der Finanzmärkte navigieren.
An den Beizug externer Investoren oder gar an einen Börsengang denken Brammertz und Winter dennoch nicht. Sie haben ihren Umsatz dank Riskpro in den letzten beiden Jahren um jeweils 250 Prozent auf mittlerweile zehn Millionen Franken gesteigert. Nun können sie die geplante Expansion auf den US-Markt aus der eigenen Tasche finanzieren.
«Ich wüsste gar nicht, was ich mit dem aus einem Börsengang herrührenden Geld machen würde», sagt auch Peter Küng. Der Mitgründer der Berner Single Point of Contact (SPOC) hat im März 1998 zusammen mit einigen Arbeitskollegen den Absprung von der Swisscom gewagt und beschäftigt unterdessen zehn Personen. Küng will weiter ausbauen, doch dabei soll immer die unternehmerische und buchhalterische Vernunft walten. Um gegen Turbulenzen im schnelllebigen IT-Markt gewappnet zu sein, legen die IT-Dienstleister von SPOC Wert auf ein solides finanzielles Fundament. Im Zentrum steht nicht das Umsatzbolzen, sondern die Rendite. Eine Geschäftsphilosophie, an die sich auch die Rapperswiler Cnlab hält: Sie arbeitet ohne Venture-Capital und kennt den Begriff «Burnrate» nur vom Hörensagen. Paul Schöbi, Mitgründer und Geschäftsleiter der Cnlab, die sich auf Sicherheitslösungen für Internetanwendungen spezialisiert hat, bringt es auf den Punkt: «Wir beschäftigen konstant zehn Leute, legen aber umsatzmässig jährlich um 30 bis 40 Prozent zu.»
Unternehmen wie Cnlab und SPOC machen deutlich, dass die Turbulenzen an den Wachstumsbörsen ein verzerrtes Bild vom Zustand der IT-Branche abgeben. Für eine Korrektur allzu pessimistischer Einschätzungen spricht auch der Blick auf das Verhalten der professionellen Investoren. Eine Studie der Venture-Capital-Gesellschaft 3i und von PricewaterhouseCoopers zeigt, dass die Schweiz punkto Private-Equity-Investitionen im Fünfjahresvergleich mit einem jährlichen Zuwachs von 119 Prozent hinter Schweden auf dem zweiten Platz liegt. Setzt sich der Trend fort, werden die Schweizer Anleger heuer rund 1,3 Milliarden Franken in nicht börsenkotierte Wachstumsunternehmen investieren.
Selbst Start-ups leiden nicht unter dem schlechten Börsenklima: Vorausgesetzt, Idee und Strategie stimmen, kommen sogar Firmen wie die in Neuenburg gegründete Apps4biz.com zu ihrem Risikokapital. Die Apps4biz.com, in der unter anderem Venture-Capital-Papst Massimo Lattmann investiert ist, hat vor einem Jahr eine ERP-Lösung (Enterprise Resource Planning) für KMU präsentiert. In der Zwischenzeit hat sie wieder acht Millionen Dollar generiert und geht jetzt unverdrossen aufs Ganze: «Das weltweite Marktpotenzial beträgt 16 Milliarden Dollar», schwärmt CFO René Limacher, «davon wollen wir zehn Prozent erobern.»
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