Sechs Milliarden Franken will der deutsche Medienkonzern Bertelsmann in den nächsten Jahren in seine Internetprojekte investieren. Wer so forsch zum New Business drängt, muss entsprechend auftreten: Konzernchef Thomas Middelhoff und seine Jünger erschienen am 18. September zum Abendessen vor der Pressekonferenz in der Expo Hannover «oben ohne». Der Fall der Krawatte ist für Middelhoff, wie er dem «Spiegel» anvertraute, «ein Zeichen für den Wandel unseres Unternehmens». Vielleicht hat er den Trend zum Casual Outfit etwas zu spät erkannt. Modeexperten sehen jedenfalls schon Zeichen der Bekehrung zur Eleganz. «Das Dressing-down ist fehlgeschlagen», stellt Lothar Reiff, Kreativchef bei Boss, fest. Und die italienische Designerin Miuccia Prada verkündet: «Sportswear wird wieder zu dem, was es war: ein Objekt des Sports. Jetzt wenden wir uns klassischen Konzepten zu.»

Jahrelang hatten die Hersteller von Herrenmode um ihr Geschäft zittern müssen. Die sportlich-saloppe Kleidung, die sich zuerst in den Headquarters der US-Konzerne am «Casual Friday» einnistete, mit dem Umweg über das Silicon Valley auf die ehedem nadelgestreifte Bankerwelt übergriff und sich heute vom Freitag auf die anderen Wochentage auszudehnen droht, erschüttere die Nobelmarken zwangsläufig, behaupteten die Modeauguren. Falsch. Ihr Geschäft läuft wie verrückt. Erst das Ende der Bürouniform brachte die Männer nämlich auf den Geschmack. Salopp heisst nicht billig. Für Business-Casual – in den USA als «keine Denim-Jeans, keine kragenlosen Shirts» definiert – ist oft nur Seide und Kaschmir gut genug. An den neuen Tragkomfort gewöhnt, wollen die Männer auf gutes Tuch auch am Anzug nicht mehr verzichten, sofern er trotz dem Zerfall der Kleidungssitten mal erforderlich ist. Vielleicht kaufen sie weniger Anzüge, dafür teurere – weltweit für rund fünf Milliarden Dollar jährlich. Das sind fast drei Prozent des gesamten Herrenbekleidungsumsatzes.

Tom Ford freut es. Der Designer und Manager hat zusammen mit Domenico De Sole die Börsenkapitalisierung der Luxusgruppe Gucci in den vergangenen zwei Jahren glatt verdoppelt, auf rund elf Milliarden Dollar. Allein mit Herrenmode setzt der Konzern schätzungsweise 75 Millionen Dollar pro Jahr um, die Wachstumsrate liegt bei 30 Prozent. Die Damenmode bringt es auf nur 15 Prozent.

Auch Brioni mit einem Umsatz von rund 150 Millionen Dollar kann sich nicht beklagen. Das Römer Unternehmen fertigt Anzüge ab 2500 Franken, für massgeschneiderte sind etwa 1000 Franken mehr fällig. Zu den Kunden gehören Uno-Generalsekretär Kofi Annan und – so oft erwähnt, dass er einen Werbevertrag mit Brioni abschliessen könnte – der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder. In den letzten zwei Jahren, sagt Brioni-Chef Umberto Angeloni, seien die Verkäufe um 25 Prozent gestiegen.

«Obwohl der Anzug als Bürouniform ausgedient hat, wie ich immer wieder lese, läuft unser Geschäft besser denn je», wundert sich Simon Cudney (32), Beauftragter der fünften Generation einer der erlesensten Familien im Kleiderbusiness. Henry Poole & Co. residieren an der einzig richtigen Adresse für den klassisch angezogenen Herrn, an der Savile Road in London. «Heute kommen viel jüngere Kunden als früher. Und sie stellen höchste Ansprüche.» Ein Anzug von Poole kostet leicht 8000 bis 10 000, ein sportlicher Veston 6000 Franken. Und doch berichtet Cudney von vollen Auftragsbüchern.

Was ist eigentlich los mit den Männern?

Rose Marie Bravo ist Direktionspräsidentin der britischen Burberry-Gruppe mit rund 350 Millionen Dollar Umsatz. Den Boom der teuren Herrenbekleidung erklärt sie damit, dass die Männer heute viel mehr mit ihren Kleidern experimentieren. Seit die Vorschriften, welche Kleidung zum Erfolg führen, nicht mehr gälten, suchten die Männer dauernd nach einem neuen Stil – so lange jedenfalls, bis wieder Regeln geschrieben seien. «Noch herrscht eine grosse Verwirrung», sagt Rose Marie Bravo. «Die Männer wollen sich zwar bequem und nicht mehr so steif kleiden, aber sie wissen nicht, wie sie dieses Bedürfnis mit der gebotenen eleganten Erscheinung unter einen Hut bringen.» Also vertrauen sie auf grosse Marken, weil da am wenigsten schief gehen kann.

Burberry, die grosse Traditionsmarke, fährt damit nicht schlecht. Unter der Leitung von Stanley Tucker, früher Chef über die Herrenbekleidung bei Sacks Fifth Avenue, stieg der Umsatz im Bereich Herrenmode im letzten Jahr um 15 Prozent auf 35 Millionen Dollar. Den Bedürfnissen der Zeit folgend, schuf Burberry eine neue Linie für all jene, die sich bequem und doch elegant anziehen wollen.

«Die Wahrheit ist, dass die Männer in den letzten Jahren viel modebewusster geworden sind», sagt Gucci-Designer Tom Ford. «Zur Mode gehört aber, dass sie nur kurze Zeit dauert. Man kauft und schmeisst weg. Also brauchen Männer viel mehr Kleider als früher. Sie tun, was ihnen die Frauen längst vormachten. Wachstum gehört deshalb selbstverständlich zur Modebranche.»

Erfolgreiche Männer sind nun mal so: Sie wollen sich um jeden Preis von der Masse abheben. Jeder Taugenichts kann eine billige Digitaluhr kaufen; etwa gleich viel Einbildungskraft, aber weniger Geld braucht es, um in Jeans, T-Shirt und Turnschuhen herumzulümmeln. Wer aber einen Armani-Anzug, ein Turnbull-&-Asser-Hemd und Gucci-Schuhe zu seiner Patek Philippe oder Vacheron Constantin trägt, macht sich sofort als Mensch kenntlich, der den Wert eines eleganten Designs und sorgfältigen Handwerks kennt – und der sich beides auch leisten kann.

«Eleganz ist eine Frage des Details», sagt Umberto Angeloni. «Der Stoff, der Schnitt, der Krawattenknopf verraten den Mann von Welt. Die richtige Auswahl zu treffen, die passende Kombination zu wählen, ist die reine Freude.» Je mehr sich Männer von der Masse unterscheiden wollen, desto wichtiger werden die Accessoires. Was die Markenartikelhersteller zusätzlich beglückt. Die Marge zwischen den Herstellungskosten und dem Verkaufspreis beträgt für einen Anzug ab Stange etwa 250 Prozent. Man denke erst an Krawatten, Gürtel und Ähnliches! Wenn der Kunde für die Gucci-Krawatte 120 Franken zahlt, verdient der Verkäufer etwa 45 Franken daran, und die Herstellungskosten dürften höchstens 20 Franken betragen. Accessoires-Spezialisten wie Gucci oder Hermès kommen nicht mehr nach, ihr Geld zu zählen. Kunststück, drängen alle Modemarken in dieses lukrative Geschäft.

Werden die Männer nun aber modebewusster, könnten sie bald wie die Damen die Lieblingsmarken schnell wechseln. Giorgio Armani macht sich darüber keine Sorgen. «Frauen wechseln die Garderobe während des Jahres viel häufiger als Männer und kaufen viel lieber ein.»

Dafür nehmen die Männer bereits mehrere Outfits mit, wenn sie an einem Tag verschiedene Sitzungen haben. «Je nach Publikum wollen sie korrekt angezogen sein», sagt Tom Ford von Gucci, der Anzüge bevorzugt dann trägt, wenn er schlechte Laune hat. «Ein Anzug ist wie eine Rüstung, er erweckt den Anschein aufrechter Haltung.» Hat Tom Ford einen guten Tag, gibt er sich sorgfältig-nachlässig, elegant-zerknautscht und was der modischen Widersprüche mehr sind. «Am besten ist es, eines oder zwei sehr elegante Kleidungsstücke zu tragen und sie mit anderem Zeug zu kombinieren. Trage ich zum Beispiel einen Anzug, wähle ich dazu ein zerknittertes Hemd, dem man ansieht, dass es alt ist und ich es am Morgen vom Boden aufgehoben habe. Meine Botschaft ist: Ich will dich nicht beeindrucken. Und doch beeindrucke ich dich, eben weil ich dich nicht beeindrucken will.»

Die New Economy, davon ist Ford überzeugt, wird den herkömmlichen Kleidervorschriften nicht den Garaus machen. Umberto Angeloni ist überzeugt: «Der Anzug wird niemals aussterben. Seit 200 Jahren hat sich seine Form kaum verändert. Er ist die letzte Stufe der Evolution in der Herrenbekleidung.» Brionis Geschäft mit Anzügen, immerhin 115 Millionen Dollar pro Jahr, wächst immer noch fast so schnell wie die Casual-Linie.

Für den 500-Franken-Anzug ab Stange sieht die Zukunft jedoch eher düster aus, sagt Andrea Pesaresi, Nordeuropa-Chef von Ermenegildo Zegna. «Die Zeit, als 99 Prozent der Büroangestellten jeden Tag im Anzug erschienen, ist endgültig vorbei. Wir verkaufen am besten die teuersten Kleider.»

Werner Baldessarini, Chefdesigner und Boss von Hugo Boss, sieht für sein Unternehmen grösste Chancen, die Männer auf ihrem Weg zur Stilsicherheit in Modefragen zu begleiten. «Sie brauchen ganz einfach jemanden, der ihnen beisteht – egal ob wir das sind, ihre Frauen oder ihre Freundinnen.»
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