Manuel Leuthold hat den Sprung ins Rampenlicht gewagt, von der diskreten Genfer Privatbank Edmond de Rothschild an die Spitze des AHV-Fonds. Er ist damit verantwortlich für das Vermögen des wichtigsten Schweizer Sozialwerks. Und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da die AHV zuoberst auf der politischen Agenda steht. Der Rollenwechsel scheint dem Romand, der fliessend Deutsch spricht, jedoch zu behagen. Und er traut sich auch, klar Position zu beziehen gegen rein politisch motivierte Auflagen.

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Herr Leuthold, seit Anfang Jahr präsidieren Sie den AHV-Fonds. Sind Sie auch dessen Liquidator?
Manuel Leuthold*: Ich hoffe nicht!

Das Vermögen des AHV-Fonds nimmt ab. Gemäss den neusten Berechnungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen fällt es im Verlauf des Jahres 2030 unter null. Was passiert eigentlich, wenn der Fonds leer ist?
Das ist eine gute Frage, ich weiss es auch nicht. Der Bundesrat muss vom Gesetz her regelmässig prüfen, ob die finanzielle Entwicklung des Fonds ausgeglichen ist. Aber eines ist sicher: Je kleiner der Fonds wird, desto kleiner wird der Anteil des Vermögens, den wir in langfristige oder illiquide Anlagen investieren können. Und desto kleiner ist unsere Rendite.

Wie hoch ist denn die Rendite für das laufende Jahr?
Derzeit sind wir bei einem Plus von rund drei Prozent. Das verdanken wir vor allem den Aktien, die zwar schon sehr teuer sind, aber weitere Kurssteigerungen verbuchen. Auch die Obligationen aus Schwellenländern entwickeln sich dieses Jahr recht gut. Aber die Märkte sind generell sehr volatil. Bis Ende Jahr kann noch viel passieren.

Müssen Sie dafür im aktuellen Niedrig- und Negativzinsumfeld mehr Risiken eingehen?
Ja, in einem kleinen Umfang. Wir können erstens die Laufzeiten verlängern. Das heisst: Statt zwei- oder dreijährige Obligationen kaufen wir solche mit fünf oder mehr JahrenLaufzeit. Zweitens können wir nicht mehr nur in AAA-, AA- oder A-Papiere investieren, sondernauch auf B-Kategorien ausweichen. Es ist kein Ramsch, aber natürlich ist die Qualität nicht mehr gleich gut. Wir müssen aber aufpassen, dass unsere Risikotoleranz nicht überschritten wird. Und drittens investieren wir mehr im Ausland – und in fremde Währungen. Dort gibt es etwas mehr Zins und folglich etwas mehr Rendite.

Dafür tragen Sie auch das Währungsrisiko.
Wir sichern das Währungsrisiko ab. Nicht alles, aber bei den Hauptwährungen im Schnitt etwa zu 80 Prozent. Aber das kostet natürlich. Letztes Jahr haben wir allein für die Absicherung der Fremdwährungen rund 200 Millionen Franken bezahlt. Wir hedgen zum Teil auch Zinsen und sogar Aktien. Hier verzichten wir auf einen Teil des Gewinns, im Gegenzug minimieren wir den maximalen Verlust.

Gibt es denn nicht noch andere Anlagemöglichkeiten? Zum Beispiel im Immobilienmarkt?
Leider besitzen unsere Fonds aus historischen Gründen kaum Immobilien in der Schweiz. Und angesichts der negativen Perspektiven beim AHV-Fonds können wir jetzt nicht in solch illiquide Vermögenswerte investieren. Sollte sich die finanzielle Lage aber stabilisieren, dann wären Schweizer Immobilien sicher eine attraktive Option.

Seit ein, zwei Jahren ist der AHV-Fonds in den Fokus einzelner Parlamentarier geraten – allen voran von FDP-Nationalrat Olivier Feller. Er wirft Ihnen vor, dass Sie zu wenig Rendite erwirtschaften – etwa im Vergleich mit dem Pensionskassen-Index von Pictet.
Man kann den AHV-Fonds nicht einfach mit Pensionskassen vergleichen. In der zweiten Säule wird nur ein kleiner Teil des Vermögens jährlich als Rente ausbezahlt. Bei uns hingegen wird pro Jahr mehr als das ganze Fondsvermögen in Form von Renten ausbezahlt. Wir brauchen deshalb eine sehr viel 
höhere Liquidität. Und Liquidität kostet. Und drückt auf die Rendite.

Gibt es denn keinen Benchmark, an dem Sie sich messen lassen?
Wir könnten für uns einen Benchmark definieren, bei dem ebenfalls ein hoher Anteil an Liquidität gegeben sein muss. Der Nachteil wäre, dass das kein offizieller Index wäre wie der Pictet-Index für die Pensionskassen. Zudem: Was bringt so ein Vergleich? Wenn wir weniger verdienen, wenn es gut läuft, aber auch weniger verlieren, wenn der Markt fällt, heisst das nicht, dass unsere Anlagestrategie schlechter ist, sondern einfach, dass wir weniger Risiken eingehen.

Ihre Kritiker würden sagen, dass Sie im Gegenteil zu viele Risiken eingehen und mit Ihren Auslandinvestitionen die Sicherheit des Fonds gefährden.
Wir müssen 35 Milliarden Franken anlegen.Wir können diese Gelder nicht integral in der Schweiz platzieren. Dafür ist der hiesige Markt schlicht und einfach zu klein.

Auch bei der Vergabe der Vermögensverwaltungsmandate verzichten Sie auf Heimatschutz. Das grösste Los hat BlackRock gezogen. Ist die hiesige Konkurrenz weniger gut?
Die entscheidenden Kriterien für uns sind die Professionalität und der Preis. Bei der Vergabe der Mandate schauen wir aber nicht nur die Firmen an, sondern auch die konkreten Teams. Diese müssen sich zuvor bewährt haben, sie müssen im Gebiet, in dem sie von uns einen Auftrag erhalten, einen guten Leistungsausweis mitbringen. Wir sind keine Versuchskaninchen.

Wer kontrolliert Sie eigentlich?
Wir werden mehrfach kontrolliert –von Revisionsfirmen, von unserer Depotbank UBS, von der Eidgenössischen Finanzkontrolle und natürlich vom Bundesrat.

Sie wollen also nicht, dass Ihnen zusätzlich auch das Parlament auf die Finger schaut?
Zwei Kontrollen sind sicher besser als eine. Aber grundsätzlich erhöht die Multiplikation von Kontrollen nicht die Qualität. Das heisst: Sechs Kontrollen sind nicht sechsmal besser als eine Kontrolle.

Die AHV ist Volksvermögen. Da ist es doch verständlich, dass die Politiker nach mehr Kontrolle und mehr Transparenz rufen.
Wir sind heute schon sehr transparent: Wir legen offen, wer von uns Vermögensverwaltungsmandate erhält, und wir sagen, wie hoch diese dotiert sind. Wir werden versuchen, in Zukunft die Informationen noch übersichtlicher darzustellen. Aber wir können nicht die einzelnen Performance-Leistungen angeben.

Wieso nicht?
Eine nackte Zahl sagt nichts aus. Dann müssten wir auch all unsere Bedingungen an die einzelnen Mandatsträger publizieren. Unser Geschäftsbericht wäre dann nicht mehr 80 Seiten dick, sondern 800 Seiten. Die Allgemeinverständlichkeit ist mir ein grosses Anliegen, aber mehr Information bedeutet nicht automatisch mehr Verständnis. Im Gegenteil: Ab einem bestimmten Punkt bringt mehr Information nur noch Verwirrung. Die Profis verstehen uns schon heute.

Mehr als für den Fonds interessiert sich die Politik für die AHV. Wie wichtig ist die Vorsorgereform, die jetzt im Parlament diskutiert wird?
Ich hoffe wirklich, dass die Politik hier eine Lösung findet. Es ist im Interesse von uns allen, dass die Sozialversicherungen gesund weiterbestehen. Das sage ich als Bürger. Und als AHV-Fonds-Manager fände ich es schön, wenn wir in Zukunft die Gelder wieder mit etwas mehr Gelassenheit anlegen könnten – und nicht nur auf das schrumpfende Vermögen und die knappe Liquidität schauen müssten. Denn je schlechter die Perspektiven werden, desto risikoärmer müssen wir investieren, desto tiefer wird die Rendite. Wir müssen aus diesem Teufelskreis rauskommen.

*Manuel Leuthold (56), ehemaliger Banker von UBS und Edmond de Rothschild, präsidiert seit Anfang 2016 Compenswiss und lenkt damit die Geschicke der drei Ausgleichsfonds der Altersvorsorge (AHV), der Invalidenversicherung (IV) und der Erwerbsersatzordnung (EO). Zudem amtet er als Verwaltungsrat bei der Banque Cramer, wo auch sein Vorgänger an der Spitze des AHV-Fonds, Marco Netzer, sitzt. Seit Juli ist er auch Verwaltungsrat bei der Immobilienfirma Fundim. Leuthold ist verheiratet, hat eine zwölfjährige Tochter und wohnt in der Nähe von Genf.