Wenn es in der Politik ein Modewort gibt, so ist es das Wort Gerechtigkeit. Gerechtigkeit ist überall. Die Linksparteien wollen höhere Steuern, denn das ist Gerechtigkeit. Die Mitteparteien wollen mehr Familiengeld, denn das ist Gerechtigkeit. Die Rechtsparteien wollen tiefere Steuern, denn das ist Gerechtigkeit.

Lange glaubte man in der Philosophie, dass Gerechtigkeit eine exklusiv menschliche Tugend sei. Tiere, dachte man, kennen sie nicht. Sie klauen sich das Futter genauso wie die Weibchen, und gleichen Lohn für gleiche Arbeit gibt es weder bei Grasfröschen noch bei Giraffen.

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Auch Tiere haben ein Gerechtigkeitsempfinden

Man täuschte sich. Gerechtigkeitsempfinden ist kein humaner Zug. Auch Tiere kennen das.

Es gibt ein berühmtes Experiment mit zwei Kapuzineräffchen, das millionenfach als Video im Internet angeklickt wird. Die Affen haben gelernt, Spielsteine gegen Gurkenstücke einzutauschen. Immer wenn sie einen Stein herausrücken, bekommen sie ein Stück Gurke als Gegenleistung. Auf einmal bekommt der eine Affe nicht mehr ein Gurkenstück für seinen Spielstein, sondern eine Weintraube, einen ungleich höherwertigen Leckerbissen. Als der zweite Affe diese schreiende Ungerechtigkeit bemerkt, schmeisst er seine Gurke empört aus dem Käfig und haut mit der Faust entrüstet auf den Boden.

Hier wurde gegen das Prinzip der gleichen Belohnung für die gleiche Leistung verstossen. Das ist nicht fair.

Und damit sind wir beim Problem. Gerechtigkeit kollidiert immer mit Leistung. Nur die exakt gleiche Leistung ist exakt gleich zu honorieren.

Gleicher Lohn ist nicht gerecht

Darum kommt die Forderung nach gleichem Lohn für Männer und Frauen auch nie an ein Ende. Männer sind im Betrieb oft leistungsorientierter als Frauen, sie machen mehr freiwillige Überstunden, arbeiten weniger oft Teilzeit, und sie verlängern die Diskussionen über die Arbeit an der Bar.

Auch wenn das unkorrekt tönt. Ein gleicher Lohn ist hier nicht gerecht. Er ist nur politisch erwünscht. Gerechtigkeit ist nicht dasselbe wie Gleichheit.

Man kann das Problem mit einem einfachen Beispiel illustrieren. Profifussballer verdienen dutzendfach so viel wie Profifussballerinnen. Niemand findet das stossend. Die Männer spielen einfach besser, darum ist Ungleichheit Gerechtigkeit.

Gerechtigkeit entsteht häufig aus Konfliktscheu

Zurück zu den Affen, diesmal zu Schimpansen. Zoologen teilten sie in Zweierteams ein. Der erste Affe konnte zwischen zwei Varianten wählen. Entweder bekommt er das ganze Futter allein, oder er teilt es mit seinem Partner. Der zweite Affe holte dann das Futterpaket beim Betreuer ab. Die Schimpansen verhielten sich fair. Sie wählten das Szenario, das eine gerechte Verteilung des Futters vorsah. Sie wollten im Team keine Sozialkonflikte riskieren.

Sogenannte Gerechtigkeit entsteht häufig aus Konfliktscheu. In vielen Firmen hat sich eingebürgert, dass alle Mitglieder eines Teams den gleichen Bonus bekommen, obschon einige im Team mehr zum Erfolg als die anderen beigetragen haben. Das ist Gleichbehandlung, aber ungerecht.

Die Schimpansen sehen das pragmatisch, wie man vielfach beobachtet hat. Wenn sich ein Schimpansen-Team durch den Regenwald kämpft, übernehmen ein oder zwei Tiere jeweils den Lead. Hinterher hat niemand ein Problem, dass sie als erste ans Futter herankommen.

Das ist Ungleichheit, aber Gerechtigkeit.