1999 übernahm Peter Braun die Leitung des jungen Medtech-Unternehmens Sinuspoint. Eine seiner ersten Handlungen war die Aktivierung der Handelskammermitgliedschaft der Solothurner Firma: «Ich hatte lange im Ausland gearbeitet und wollte mich nun in der lokalen Businessszene verankern», erläutert Braun. An interessanten Gesprächspartnern in der Region mangelt es nicht, denn die Sinuspoint gehört mit ihren Produkten zum Mikrotechnikcluster am Fuss des Jura. Mit knapp 30 Angestellten produziert das erst 1996 aus der Taufe gehobene Unternehmen Mikronadeln für besonders anspruchsvolle chirurgische Eingriffe.

Heute beurteilt Braun die Mitgliedschaft in der kantonalen Handelskammer uneingeschränkt positiv. Schon bald ergaben sich Kontakte zu anderen Jungunternehmern, mit denen er drängende Fragen besprechen konnte. Zudem öffneten auch Grossunternehmen in der Region den Start-ups ihre Tür. Das hat sich auf Grund des 95-prozentigen Exportanteils zwar nicht direkt auf den Umsatz der Sinuspoint ausgewirkt, aber dennoch eine Menge gebracht: «Ich habe viel über mögliche Alternativen in der Unternehmensführung erfahren», resümiert Peter Braun.

Raum für gepflegtes Networking zu bieten, ist eine klassische Aufgabe der Handelskammern. Vor allem Gesprächskreise auf regionaler Basis dienen diesem Zweck. Allein im Aargau führt die Industrie- und Handelskammer (IHK) zehn Unterorganisationen, und die grösseren von ihnen wie etwa der Handels- und Industrieverein des Bezirks Zofingen haben noch einmal lokale Unterabteilungen. «Bei uns geht es ganz klar um das direkte Gespräch zwischen Unternehmern», erläutert Hans Bürge, Präsident der Zofinger Organisation. Gerade in der anstehenden Lohnrunde zeige sich einmal mehr, wie wertvoll solche Kontakte seien. In ihren Gesprächen erfahren die Unternehmer, wie sich ihre Kollegen verhalten.

Die breite Verankerung der Kammer ausgerechnet in Solothurn und im Aargau ist kein Zufall. Die Kantone sind nicht nur durch die KMUs geprägt, sie sind auch branchenmässig stark diversifiziert. Umso interessanter ist für die Unternehmer ein branchenübergreifender Verband, der sich vor allem an die Leiter der mittelständischen Betriebe wendet. Das schlägt sich auch in den Zahlen nieder: Die Aargauer IHK verzeichnet 1300 Mitglieder, während die Zürcher Kammer, die auch für die Kantone Zug und Schaffhausen zuständig ist, in den drei Kantonen zusammen nur gut 1000 Firmenmitglieder zählt.

Hinzu kommt, dass die Handelskammern dort stark sind, wo konkurrenzierende Angebote fehlen. Sei es, dass wie in Solothurn keine zentrale Anlaufstelle für Jungunternehmer existiert, sei es, dass wie im Aargau oder auch im Thurgau das Feld der KMUs zwischen Gewerbeverband und Handelskammer klar aufgeteilt ist. Anders ist das etwa im Kanton Baselland, wo der Gewerbeverband mit Nationalrat Hans Rudolf Gysin als Direktor von einem nationalen Schwergewicht geführt wird. Im Februar hat er sogar gemeinsam mit dem Gewerbeverband Solothurn eine «Wirtschaftskammer Nordwestschweiz» gegründet, welche die Interessen aller KMUs vertreten soll. Ähnlich ist die Lage auch in Bern, wo sich der Gewerbeverband 1999 in «Berner KMU» umbenannt hat. Dort wirkte die Konkurrenz im Übrigen alles andere als belebend: Erst im vergangenen Oktober weigerte sich der einst vom heutigen Bundesrat Samuel Schmid geführte Verband Berner KMU, eine Steuersenkungsinitiative des Berner Handels- und Industrievereins zu unterstützen.

Doch nicht nur zwischen Kammern und Gewerbeverbänden kommt es mitunter zu Machtkämpfen, auch die 18 kantonalen und regionalen Handelskammern selbst haben manchmal Schwierigkeiten, sich zusammenzuraufen. Eine eigentliche nationale Dachorganisation gibt es erst seit einem Jahr, und auf der Internetplattform www.swissfirms.ch, einem Onlineverzeichnis von Mitgliedsfirmen, sucht man vergebens nach Firmen aus der Innerschweiz oder Graubünden. Dort konnten sich die Kammern nicht zur Teilnahme an der Plattform entschliessen.

Unbelasteter ist das Verhältnis zu ausländischen Handelskammern. Bereits seit 40 Jahren gibt es etwa die Vereinigung der Kammern rund um den Bodensee, zu der auf Schweizer Seite die IHK St. Gallen-Appenzell und die Thurgauer IHK gehören. Gemeinsam unterstützen die Organisationen die grenzüberschreitende Kooperation zwischen Unternehmen der Region, führen aber auch Jobbörsen oder Jungunternehmertreffen durch.

Dass auch die Verbindungen zu Handelskammern in entfernteren Ländern den Mitgliedsfirmen direkt Vorteile bringen, zeigt Heinz Suter, Direktor der Aargauischen Handelskammer, an einem Beispiel: «Nachdem der türkische Kunde eines hiesigen KMU die Kontakte zu seinem schweizerischen Lieferanten einfach abgebrochen hatte, haben wir die türkische Handelskammer eingeschaltet. Schon nach zwei Tagen erhielt die Aargauer Firma eine Rückmeldung vom Kunden, und das auch noch auf Deutsch», freut sich Suter. Die schnelle Reaktion hat einen simplen Grund: In fast allen europäischen Ländern einschliesslich der Türkei müssen Unternehmen einer Handelskammer angeschlossen sein. Entsprechend viel Macht besitzen die Organisationen gegenüber ihren Mitgliedern. Eine Ausnahme von diesem System bildet die Schweiz, wo die Kammern Vereine mit freiwilliger Mitgliedschaft sind.

Daher sind handfeste Argumente für die Mitgliedschaft gefragt. Niemand weiss das besser als Hans Bürge, der in den vergangenen 20 Jahren mit Bürge-Fischer nicht nur ein florierendes Unternehmen im Bereich Industrieautomation mit derzeit 80 Angestellten aufgebaut, sondern sich auch noch während der gesamten Zeit in der Handelskammer engagiert hat. Bürge, der seit sechs Jahren Aargauer Grossrat ist und den Rat seit dem Frühjahr präsidiert, verfällt auf die Frage nach den Gründen für eine Mitgliedschaft nicht in eine Sonntagsrede. Er betont knallhart den Nutzen der Handelskammern: «Jedes KMU ist darauf angewiesen, Dienstleistungen günstig einzukaufen. Genau das bieten die Kammern», bringt er seine Sicht auf den Punkt. Dienstleistungen haben bei den zum Teil über 100 Jahre alten Vereinigungen Tradition. Wobei die Kammern immer wieder auf neue Nischen aufmerksam werden und diese besetzen. In Solothurn etwa existiert mit der Innovationsberatungsstelle (IBS) eine Einrichtung, die sich um die individuellen Bedürfnisse der im Kanton ansässigen Hightechunternehmen kümmert. Profitieren von der IBS konnte auch die Sinuspoint. Roland Simonet, gelernter Maschineningenieur mit ETH-Diplom und seit 1995 Leiter der IBS, stellte jüngst für das Solothurner Unternehmen den Kontakt zu Konstrukteuren für Spezialmaschinen in der Schweiz und in Deutschland her. Für die Medizinaltechnikfirma ist das von besonderer Bedeutung. Denn die Maschinen, auf denen die 30 Angestellten ihre Mikronadeln fertigen, gibt es nirgendwo fixfertig zu kaufen. «Falls wir mit einem von der Kammer vermittelten Lieferanten ins Geschäft kommen, haben wir viel Entwicklungszeit und Geld gespart», freut sich Peter Braun. Ausserdem war die IBS bei der Personalsuche in der Region behilflich. «Es gibt hier viele Leute, die Erfahrung mit der Produktion in der Mikrotechnik haben», erläutert der Ingenieur, «und wenn man lange genug dabei ist, sind diese gar nicht so schwer zu finden.»

Für die Solothurner Handelskammer scheint die Beratungsstelle auf den ersten Blick ein schlechtes Geschäft zu sein. Sie bietet ihre Leistungen gratis an und steht auch Nichtmitgliedern offen. Trotzdem geht die Rechnung auf. Denn die Unternehmen, die von der Einrichtung einmal kostenlos profitiert haben, werden meist im Nachhinein Mitglied. Das ist wiederum gut für die Kammer, denn wer einmal Mitglied ist, tritt kaum wieder aus. Zwar haben die Kammern Abgänge zu verzeichnen, doch die sind auf Konkurse, Fusionen oder Sitzverlegungen zurückzuführen. Austritte auf Grund des schlechten Kosten-Nutzen-Verhältnisses einer Mitgliedschaft gibt es praktisch nicht. Das zeigt, dass die Kammern auch mit ihren Standarddienstleistungen wie der Beratung in Export- und Rechtsfragen ein echtes Bedürfnis befriedigen.

Heinz Suter, der als Direktor der Aargauischen Handelskammer mit einem zwölfköpfigen Team eine der grössten Kammergeschäftsstellen in der Schweiz leitet, überraschen die zufriedenen Mitglieder nicht: «KMUs müssen heute schlanke Strukturen haben. Sie können es sich nicht mehr leisten, jemanden zu beschäftigen, der etwa die Entwicklungen im Personalrecht ständig verfolgt.» Diese Aufgabe übernehmen stattdessen die Angestellten der Geschäftsstelle. Sie entwerfen Musterverträge und Personalreglemente, führen Seminare durch und informieren die Mitglieder über Gesetzesänderungen sowie wichtige Gerichtsentscheide. Zudem erteilt die Kammer auch bei Streitfällen eine erste Auskunft. Für Mitglieder sind nahezu alle Angebote gratis. Trotzdem steht die Aargauer Kammer dank den Mitgliedsbeiträgen finanziell auf einem soliden Fundament: Heinz Suter hat ein Budget von 2,5 Millionen Franken zur Verfügung. Mit dieser Finanzkraft, den professionell geführten Geschäftsstellen und der Verankerung unter den KMUs sind Kammern in kleineren Kantonen oft politische Schwergewichte. «Keine Kantonalpartei verfügt auch nur annähernd über ähnliche finanzielle Ressourcen», stellt Heinz Suter klar. Die Erfolge bleiben nicht aus: Die Steuererleichterungen für Unternehmen, die das im Januar 2001 in Kraft getretene, total revidierte Steuergesetz brachte, sind nicht zuletzt auf das Lobbying der Kammer zurückzuführen.

Die Gewichtung der politischen Arbeit ist in den einzelnen Kantonen unterschiedlich. Einen klaren Schwerpunkt setzt Martin Fehle, Direktor der IHK Thurgau: «Wir wollen in erster Linie Politik für die KMUs machen.» Bei den Unternehmern kommt das an. Die Kammer weist seit einigen Jahren entgegen dem Trend bei anderen Interessenverbänden regelmässig steigende Mitgliederzahlen auf.

Das klingt nach rücksichtsloser Interessenpolitik. Doch wenn sie ernst genommen werden, sind die Kammern auch zur Übernahme politischer Verantwortung bereit, auch wenn dies ans Portemonnaie geht. Als sich der Thurgau am diesjährigen Ersten August am Fest der Schweizer Botschaft in Berlin präsentieren konnte, war die Sponsorensuche für die Handelskammer kein Problem: Eine Viertelmillion Franken brachte die IHK bei den Mitgliedsfirmen zusammen. Fehle ordnet diesen Betrag gern ein: «Es war doppelt so viel, wie der Kanton zur Verfügung gestellt hat.»
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