HR-Expert Mölleney über Twitter-Chef Musk: «Er neigt zu defizitorientiertem Sehen»

Der Strom an Nachrichten aus der Twitter-Umgebung reisst nicht ab: Elon Musk feuert den CEO und schafft den Verwaltungsrat ab. Er führt neue Bezahlmodelle für den blauen Verifizierungshaken ein. Und wer nicht schnell genug arbeitet, wird umgehend entlassen. Von heute auf morgen. Sein Führungsstil wird lautstark kritisiert – doch bekannt ist seine unberechenbare Art seit langem. Von Tesla, von SpaceX. Im Gespräch mit der «Handelszeitung» erzählt HR-Experte Matthias Mölleney, warum das Verhalten trotzdem toleriert und akzeptiert wird. Herr Mölleney, warum polarisiert und fasziniert Elon Musk? Es ist schwierig, ihn als Persönlichkeit umfassend und vollständig zu umschreiben. Er weist manchmal Merkmale von Wahnsinn auf. Und er ist ein Getriebener; so getrieben, dass er auch andere antreibt, die mitmachen sollen. Inwiefern? Musk hat eine Idee und er ist davon begeistert. Das ist seine Mission, er will sie erreichen und setzt dafür alles ein. Dabei erwartet er, dass die Menschen rund um ihn herum die gleiche Passion aufbringen, die gleiche Begeisterung zeigen und seine Werte teilen. Aber? Werte lassen sich nicht auf andere transplantieren. Musk aber denkt, dass die Leute bei ihm angestellt sind und entsprechend die gleichen Eigenschaften haben. Das erschwert die Zusammenarbeit. Woher wissen Sie das – kennen Sie Musk persönlich? Nein, aber es gibt Psychogramme von ähnlich veranlagten Personen und Berichte, die man liest und das bestätigen. Interne Mails stützen und alle diese Bruchstücke zusammen lassen dieses Gesamtbild von Musk erahnen. So erfolgreich wie Musk ist, muss das aber funktionieren? Ja, aber da muss ich etwas ausholen: Auf den ersten Blick ist der Mann ein Widerspruch. Er will einerseits, dass alle offen reden und fordert eine klare Kommunikation. Ohne geht es nicht – gleichzeitig gibt er aber klare Anweisungen, was getan werden muss. Da ist kein Freiraum für andere Ideen als seine eigenen. Diesen Widerspruch findet man häufig bei solch exzentrischen, charismatischen Führungspersönlichkeiten. Betroffen sind dabei aber nur die ihm direkt unterstellten. Das heisst, die Belegschaft, beispielsweise am Fliessband, bemerkt nichts von seinem Führungsstil? Solche Führungspersonen wie Musk haben ein gespaltenes Verhältnis zur Belegschaft, beispielsweise diejenigen am Fliessband der Tesla-Werkstatt. Das sind für ihn die Guten, denen muss es gut gehen. Die können auch nach acht Stunden Fliessbandarbeit nach Hause. Er konzentriert sich auf die, die an ihn berichten. Und die müssen zu 100 Prozent seine Werte und Vision teilen? Theoretisch ja. Wenn sie dann jemand sind, der das genauso lebt wie Musk, dann funktioniert es gut mit dem Chef. Aber wenn jemand noch ein anderes Leben hat – Familie, Freizeit, zusätzliches Amt –, dann wird es schwierig. Man muss sich fragen: «Wie viel von dem, was ich persönlich bin – meine Werte, mein Leben –, will ich der Idee meines Chefs unterordnen?» Stellt sich die Frage nicht eher: Wie viel will ich für meine Karriere – unter Musk – effektiv hergeben? Das Gefühl, für Tesla oder SpaceX zu arbeiten, ist ein ganz anderes in der Fabrik versus im Topmanagement – umso höher man kommt, umso mehr ordnet man der Firma unter. Und das ist jetzt wieder die Krux mit Musk: Menschen wie er kommen in eine Führungsposition, weil sie die Besten sind. Und für solche Leute ist einfach klar: Alle anderen sind schlechter. Was aber bei weitem nicht stimmt? Nein, aber Leute wie Musk versuchen, möglichst nah an die Genialität zu kommen. Das ist schwierig als Konzept und erklärt, warum er die anderen so vor sich hertreibt. Er neigt zu «defizitorientiertem Sehen». Er sieht nur, was die anderen weniger gut können als er, und will deren Fehler und Schwächen verbessern. Statt die Stärken zu fördern? Der Schlüssel zum Erfolg ist stärkenorientiertes Leadership – Menschen nach Fähigkeiten einsetzen. Die anderen als imperfekt sehen statt als perfekt. Laut Musk gelingt aber eine Vision nur dann, wenn alles perfekt läuft. Auch wenn er sagt, dass sein Weg dank Scheitern funktioniert, schlussendlich ordnet er alles von oben an. Er weiss es immer besser. Aber das ist doch mühsam, wenn er tagtäglich seine Meinung ändert und es dann immer besser weiss? Das ist das Kernproblem – der Kern vom Kern vom Kern: die Unberechenbarkeit. Das ist das, was die Mitarbeitenden am meisten fürchten. Was sie lähmt und ihnen Innovationsfähigkeit und Kreativität raubt. Sie können nicht vorhersehen, wie er reagiert. Aber noch einmal, der Erfolgt gibt doch Musk recht? Seine Theorie lautet: Weil ich erfolgreich bin, mache ich es richtig. Die Gegenfrage dazu heisst aber: Würden seine Unternehmen erfolgreich geführt, wie sähe es dann aus? Diesen Beweis kann man nicht antreten; man kann nicht simulieren, wie Tesla performen würde unter einer neuen Führung. Stellen Sie sich vor, Sie nehmen Bosch, ein mitarbeiterorientiertes Unternehmen, traditionell und langjährig geführt, und tauschen dessen Führungsebene mit derjenigen von Tesla aus. Das wäre ein spannendes Experiment, ist aber schlichtweg nicht umsetzbar. Also gut. Was aber heisst das für Mitarbeitende. Wie sollen sie sich verhalten? Die Führungspersonen der Zwischenebenen sind gefragt. Wenn sie einen menschlich schwierigen Vorgesetzten haben, dann müssen sie sich als Führungsperson direkt darunter definieren. Und so einen Ausgleich für die Mitarbeitenden schaffen. Sie fungieren also als Puffer zwischen Topmanagement und Angestellten? Puffer, Sandwich, Zwischenebene. Auch wenn sich nichts an der Ausgangssituation ändert, die obere Führungsperson bleibt die gleiche, so ist es doch die einzige Lösung. Was aber, wenn die unterstellte Managementebene das Unberechenbare ebenfalls übernimmt? Dann ist das eine endlose Schlaufe – und das will man nicht. Emotionale Spontanentscheide einer übergeordneten Ebene werden auf der nächsten Stufe ausgeglichen, das ist wie ein Selbstheilungsprozess des Organismus. Anders geht es nicht. Aber trotzdem die Frage: Wie kann ich als Privatperson damit umgehen, wenn mein Chef täglich seine Richtung wechselt? Es gilt, Räume zu schaffen und sich abzugrenzen. Denn je mehr man sich von diesem Sog anziehen lässt, sich in diese Abhängigkeit begibt, umso schwieriger wird es, da wieder rauszukommen. Wenn ein Chef eine Firma so stark spaltet, entstehen zwei Reaktionsbilder: Entweder laufen auf der Ebene darunter Grabenkämpfe. Oder aber die Leute schliessen sich zusammen und kooperieren, sodass sie diesen übergeordneten Typ aushalten. Das zweite Bild ist gesünder und besser. Gesund ist das aber auch nicht? Ja, aber damit kann man umgehen.

HR-Expert Mölleney über Twitter-Chef Musk: «Er neigt zu defizitorientiertem Sehen»

«Chefs wie Musk haben ein gespaltenes Verhältnis zur Belegschaft»