Es war schon deutlich nach Mitternacht, als ich Ed Fagan bei einem Drink an der Zürcher Kaufleuten-Bar traf – und Fagans Zunge war an diesem Winterabend ziemlich gelöst. Er sei, sagte er, extrem angetan vom Echo auf seine neuste Sammelklage gegen Schweizer Unternehmen und deren Apartheid-Connections. «Ihr Schweizer», jubelte Fagan, «habt euch wieder mal wunderbar benommen.» «Warum wunderbar?», fragte ich. Klagen seien sein Job, sagte Fagan, und der Job sei im Normalfall äusserst hart. Wo er hinkomme, hagle es massive Gegenattacken, und jedermann wünsche ihn zum Teufel. Nur hier sei das vollkommen anders. Die Schweizer nämlich würfen sich bei seinen Angriffen jeweils vorauseilend in den Staub und riefen ihm mit gesenktem Kopf zu: «Ja, wir sind schuldig, wir sind schuldig!» Man könne ihm nicht übelnehmen, sagte Fagan, dass die Schweizer seine Lieblingsgegner geworden seien. Sie seien perfekte Opferlämmer. Nirgendwo sonst stosse er auf dermassen wenig Widerstand, und nirgendwo sonst bekomme er auch so viel Unterstützung durch die Medien. Okay, Ed Fagans Zunge war an diesem Abend ziemlich gelöst. Aber ganz Unrecht hatte der US-Anwalt nicht. Unser Land, zumindest wenn wir dessen veröffentlichte Meinung betrachten, hat eine seiner früheren Nationaltugenden weitgehend eingebüsst. Dieses Land hat verlernt, sich zu wehren. Nicht nur bei Fagans Sammelklagen ist diese helvetische Eigentümlichkeit sichtbar geworden. Auch in andern aktuellen Konfliktfällen können wir beobachten, wie gering die Unterstützung für jene Exponenten ausfällt, die sich für die Interessen der Schweiz zu wehren versuchen. Kaspar Villiger beispielsweise bekommt, mit Ausnahme von der «Neuen Zürcher Zeitung», seit Jahren praktisch keinen journalistischen Sukkurs, wenn er gegen die EU-Pläne zur Zerstörung des Bankgeheimnisses antritt. Und wenn Joseph Deiss angesichts eines für ihn beleidigenden Buchumschlags von Stuart Eizenstat auf den Tisch haut, mahnen ihn Zeitungen umgehend zu «mehr Gelassenheit». Auch der umgekehrte Mechanismus ist in diesem soziologischen Sonderfall bemerkenswert. Wer die nationalen Interessen nicht verteidigt, kann mit medialem Applaus rechnen. Siehe Moritz Leuenberger. Nachdem seine weiche Verhandlungsstrategie zu einem für die Bevölkerung katastrophalen Luftlandeabkommen geführt hatte, klopfte ihm sogar die führende Zürcher Regionalzeitung brüderlich auf die Schulter. Dieser Hang zum Flagellantismus spiegelt in hohem Masse die Veränderung der Medienrealität in diesem Land. An die Stelle der früheren, eher sachorientierten Optik ist im verschärften Konkurrenzkampf um das Mangelgut Aufmerksamkeit eine ausgeprägt moralisierende Komponente getreten. «Ein neues Gespenst geht um: Es handelt sich um die ausserordentliche Durchwirkung der öffentlichen Kommunikation mit moralischen Urteilen», schreibt der Zürcher Soziologieprofessor Kurt Imhof in einer viel beachteten Analyse und ortet einen «massiven Anstieg der Empörungskommunikation». Die Empörung wird in aussenpolitischen Fragen zur Empörung über sich selbst, bis hin zur Selbstzerfleischung. Wer von aussen die Schweiz attackiert, hat in vielen Medien a priori schon Recht. Die moralisch fixierte Kommunikation verdrängt und übersieht folgerichtig manche anderen Motive, die hinter diesen Angriffen auf die Schweiz stehen. So wird bemerkenswert wenig darüber recherchiert und geschrieben, wie sehr es in all diesen Auseinandersetzungen auch um simple finanzielle Interessen geht. Die stark moralisierende Betrachtung von komplexen Sachverhalten unterdrückt die stets vorhandene sachökonomische Interessenlage eines Konflikts – als gehe es nur um Geist, nicht aber um Geld. Die Angriffe auf das Bankgeheimnis etwa sind in hohem Masse vom Konkurrenzkampf von Finanzplätzen wie London, Frankfurt, Mailand und Zürich getrieben – eine Schwächung der Schweiz füllt die Kassen der anderen. In den Medien hingegen ist das Bankgeheimnis primär eine moralische Diskussion über die Verwerflichkeit der Beihilfe zur Steuerflucht. Wie früher schon hat es sich auch rund um die neuste Südafrika-Sammelklage kaum je geziemt, eine Wertediskussion über Schuld und Sühne kritisch auf allfällige finanzielle Profiteure abzuklopfen. Wem diese Ansicht ein bisschen nach SVP-Ideologie riecht, der sei beruhigt. Wir schreiben über Medien, nicht über Politik, und wir wollen hier nur die Geschichte von Ed Fagan fertig erzählen. Ich habe also Ed Fagan, den Initiator der Holocaust- und Apartheid-Klagen, an diesem Abend an der Bar gefragt, ob er auf seinem Feldzug so etwas wie ein Motto habe. Ja, sagte Fagan, er habe ein Motto. Es laute: «A buck is a buck.»
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