Einer der witzigsten Versuche in der Psychologie ist das «Stanford-Marshmallow-Experiment». Es testet die Fähigkeit zum sogenannten Bedürfnisaufschub.

Vor Kindern wird dabei eine Süssigkeit auf einen Teller gelegt. Nun sagt man ihnen, sie dürften die Süssigkeit essen oder aber zuwarten. Wenn sie fünfzehn Minuten warteten, bekämen sie eine zweite Süssigkeit.

Etwa ein Drittel der Kinder isst die Süssigkeit innert Sekunden auf. Ein weiteres Drittel kann der Versuchung eine Zeit lang widerstehen und beisst dann doch zu. Jedes dritte Kind hält die fünfzehn Minuten durch und bekommt die zweite Süssigkeit. Witzig am Experiment sind vor allem die Videos, die zeigen, wie die Kinder der übermenschlichen Verführung zu widerstehen versuchen.

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Der Bedürfnisaufschub, in der Wissenschaft als «delayed gratification» beschrieben, ist eine unserer wichtigsten zivilisatorischen Qualitäten. Nicht den sofortigen kleinen Erfolg zu realisieren, sondern auf den späteren grossen Erfolg zu warten, ist ein wesentlicher Hebel jeder Weiterentwicklung. Bedürfnisaufschub hat viele bedeutsame Leistungen in Unternehmen und Politik erst ermöglicht.

Der Bedürfnisaufschub ist durch seinen nachhaltigen Ansatz auch zu einer Art Charaktertest geworden: Hat man Sex gleich in der ersten Nacht, oder kann man auf die spätere Erfüllung warten?

Tiere schaffen es nicht. Es gibt viele Experimente, den Tieren den Lernprozess hin zum Bedürfnisaufschub beizubringen. Man hat es bei Ratten, bei Krähen und bei Bonobos versucht, doch richtig geklappt hat es nie. Die Viecher können der schnellen Befriedigung nicht widerstehen. Sie haben einfach nicht genügend Frustrationstoleranz.

Kehren wir zu den Primaten zurück

Auch wir sind auf gutem Weg, diese alte Tugend einzubüssen. Interessant ist doch, dass wir geradezu einen dramatischen Zerfall der Fähigkeit des Bedürfnisaufschubs erleben. Sich eine Aktie zu kaufen, sie ins Portfolio zu legen und dann die erfolgreiche Entwicklung des Unternehmens abzuwarten, gilt heute als weltfremde Spinnerei. Mittlerweile sind sogar schon Daytrader, die im Zehn-Stunden-Rhythmus agieren, langfristig ausgerichtete Investoren. Der Trend wird unterstützt durch die atemlosen Ratingagenturen, die sich nur noch auf ökonomischen Fastfood stürzen.

Die Umschlaggeschwindigkeit in den Unternehmen hat sich gleichermassen rasant erhöht. Wer gründet heute noch eine Firma, um sie dreissig Jahre später an seinen Sohn zu übergeben? Man gründet heute eine Firma, um sie nach kurzer Zeit an die Börse zu bringen oder dem Konkurrenten zu verkaufen.

Wollen wir noch kurz über den Bedürfnisaufschub in der Politik reden? Wollen wir darüber reden, wie unsere Politiker nicht an die Wahlen vom nächsten Sonntag denken, sondern nur das langfristige Wohl der Nation in der Perspektive haben? Ich glaube, das lassen wir lieber.

Kehren wir stattdessen zu den Primaten zurück. Am erfolgreichsten bei der «delayed gratification» war bisher ein Versuch mit Schimpansen. Ein Schimpanse schaffte es volle drei Minuten, auf sein Futter zu verzichten, weil ihm für später eine viel grössere Futtermenge versprochen wurde.

Drei Minuten auf etwas zu warten. Das ist bei Schimpansen absoluter Weltrekord. Wir reden hier nur von Schimpansen!

Kurt W. Zimmermann ist Verlagsunternehmer. Er ist Kolumnist und Buchautor zu den Themen Medien und Outdoor-Sport. Zudem studiert er Biologie.