Diese Kolumne, die Sie nun lesen oder auch nicht, ist nicht ganz jugendfrei. Denn es geht um Masturbation. Womöglich ist es noch schlimmer, und es geht um Gefühle.

In den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts entwarf der amerikanische Psychologe James Olds ein ebenso einfaches wie elegantes Experiment. Er war auf der Suche nach dem Lustzentrum, wozu er das Gehirn der Ratte nutzte. Er fand das Lustzentrum im Nucleus accumbens. Dieser ist Teil des limbischen Systems, das heute als Hort von Gefühlen und Instinkten breit anerkannt ist.

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Olds implantierte verschiedenen Ratten unter Narkose zwei Elektroden im Gehirn. Er nutzte dazu ultrafeine Silberfäden. Diese konnten Stromimpulse an die umgebenden Zellen abgeben. Die Ratten konnten über einen kleinen Hebel selber die Stromimpulse auslösen.

Wenn sie dies taten, wurden sie von Glücksgefühlen überschwemmt. Sie wurden schnell süchtig danach und waren quasi im Dauerorgasmus.

Im Experiment wurde ermittelt, mit welcher Frequenz die Ratten den Hebel drückten. Bis zu 1920-mal pro Stunde, also alle zwei Sekunden, betätigten sie ihn. In späteren Experimenten sollen Ratten sogar an Durst und Erschöpfung gestorben sein, weil sie nicht mehr von dem Hebel ablassen wollten, obwohl Wasser und Nahrung in Reichweite waren.

Die Experimente von James Olds haben der Wissenschaft wichtige Erkenntnisse über die Wirkung von Drogen wie Kokain, Opium und Amphetamin geliefert. Sie lieferten auch wertvolle Hinweise zu Verhaltensweisen wie Spielsucht, Extremsport, Kettenrauchen, Völlerei, Sexbesessenheit sowie – Arbeit und Büro.

Was ist unser Hebel? Und wie oft drücken wir ihn?

Ich hatte mal einen Finanzchef, der sagte dauernd: «Die Zahlen sprechen aber eine andere Sprache als Sie.» Dazu lächelte er selig. Es war sein Hebel. Ich hatte mal einen Produktionschef, der sagte dauernd: «Ich fürchte, wir werden morgen eine Katastrophe erleben.» Dazu atmete er schnaufend aus. Es war sein Hebel. Ich hatte mal einen Personalassistenten, der sagte dauernd: «Ich denke, Fräulein, darüber müssen wir unter vier Augen noch reden.»

Den Personalassistenten entliessen wir später. Er hatte sich ausgehebelt.

Die Glücksforschung in Biologie und Psychologie unterscheidet zwischen zwei unterschiedlichen Glücksformen. Sie sind auf Deutsch weniger präzise beschrieben als in der englischen Sprache. Glück kann auf Deutsch ein kurzfristiges und zufälliges Ereignis sein, etwa ein Lotteriegewinn. Die Engländer nennen das Luck. Glück kann auf Deutsch aber auch ein dauerhafter Lebenszustand sein, etwa ein harmonisches Zusammenleben. Die Engländer nennen das Happiness. Die Hebel, auf die wir drücken, beeinflussen oft nur die kurzfristige Stimulation, also das Luck-Glück.

Man kann Glück messen. Man quantifiziert dazu Hirnströme. Aber ich will Sie hier nicht mit den neusten Forschungsergebnissen aus der Elektroenzephalografie und der Positronenemissionstomografie langweilen.

Ich will Ihnen nur sagen, dass Sie die Hebel kennen sollten, die Sie drücken. Jeder hat Hebel. Wenn Sie diese nicht richtig kennen, dann müssen Sie sich auch nicht wundern, wenn man despektierlich über Sie sagt: «Der ist aber eine richtige Ratte.»

Kurt W. Zimmermann ist Verlagsunternehmer. Er ist Kolumnist und Buchautor zu den Themen Medien und Outdoor-Sport. Zudem studiert er Biologie.