Mitte September war definitiv Schluss: Bundesrat Johann Schneider-Ammann musste machtlos zusehen, wie der Nationalrat nach zweieinhalb Jahren Arbeit und Gezerre sein Kartellgesetz versenkte. Ein grundsätzlich mehrheitsfähiges und wirtschaftsfreundliches Anliegen – mehr Wettbewerb – war zuerst von Regierung und Verwaltung zu einer Monstervorlage ausgebaut und dann von Politikern, Verbänden sowie Lobbyisten demontiert worden, von linken ebenso wie von rechten. Letzte Wiederbelebungsversuche im Plenum scheiterten kläglich. Eine Schlappe für den Wirtschaftsminister – und auch für alle anderen Beteiligten kein Ruhmesblatt.

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Traditionelle Korporatismus existiert nicht mehr

Das Kartellgesetz liefert besten Anschauungsunterricht dafür, dass heute der Einfluss bei wirtschaftspolitischen Entscheiden vielschichtiger ist als noch vor dreissig Jahren. Der traditionelle Korporatismus existiert nicht mehr. Die teilweise auch verklärten guten alten Zeiten sind definitiv vorbei.

Passé sind die Tage, da die Spitzenverbände der Wirtschaft, allen voran der Vorort, die Vorläuferorganisation von Economiesuisse, während des vorparlamentarischen Prozesses gemeinsam mit der Verwaltung, dem Bundesrat und allenfalls den Gewerkschaften in Hinterzimmern die entscheidenden Weichen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik stellten und mit Hilfe des Freisinns im Parlament ihre Wunschlösung auch umsetzen konnten. Der alte Filz, den der Politologieprofessor Hanspeter Kriesi analysiert und der Journalist Hans Tschäni 1983 in seinem Bestseller «Wer regiert die Schweiz?» angeprangert hatte, hält nicht mehr.

Schneider-Ammann wenig genannt

Einflussreichster Akteur in der Wirtschaftspolitik ist heute der Bundesrat, und zwar «mit Abstand». Das ist einer der Befunde der soeben vom Büro Vatter fertig gestellten Auftragsstudie «Machtverschiebungen im parlamentarischen Entscheidungsprozess in der Schweiz unter besonderer Berücksichtigung wirtschaftspolitischer Entscheide». Die Untersuchung, die aufzeigen soll, wer in der Wirtschaftspolitik die Fäden zieht, basiert auf zwölf im September und Oktober geführten längeren Interviews mit Experten aus Verbänden, Parteien sowie Verwaltung und wurde im Auftrag der PR-Agentur Furrerhugi und der Bankiervereinigung gemacht, beides ebenfalls Akteure im Poker um wirtschaftspolitische Entscheidungen.

Beiden attestiert die Studienautorin und Politologin Antoinette Feh Widmer gute Karten. Die Bankiervereinigung konnte trotz Finanzkrise und populär gewordenem Bankenbashing ihren Einfluss in Fragen der Wirtschaftspolitik halten – und ihn tendenziell ausbauen. Ebenso wie die externen Experten, ob sie nun als Lobbyisten oder Beratungsunternehmen in Erscheinung treten.

Zuoberst auf dem Podest steht also der Bundesrat, flankiert durch die Verwaltung, die in wirtschaftspolitischen Belangen ebenfalls als «recht einflussreich» beurteilt wird. Je nach Vorlage sind Personen und Ämter aus dem Finanzdepartement, dem Wirtschaftsdepartement oder dem Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation federführend. Über alles gesehen, spricht die Studie Infrastrukturministerin Doris Leuthard und Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf am meisten Einfluss zu – und nicht etwa Wirtschaftsminister Schneider-Ammann.

Der zweite Rang

Auf dem zweiten Rang folgen die Parteien und mitunter auch die Verbände. Starker Einfluss wird vor allem den vier grossen Parteien zugeschrieben, wobei die Polparteien SVP und SP als minimal einflussreicher gelten als die traditionell wirtschaftsfreundlichen Mitteparteien FDP und CVP.

Eine bedeutende Rolle kommt den Grünen zu, die einer «unheiligen Allianz» zwischen rechts und links zum Durchbruch verhelfen – oder sie allenfalls auch verhindern können. Als bedeutungslos in wirtschaftspolitischen Belangen bezeichnen die befragten Experten die neuen Kleinparteien, die Grünliberalen und die BDP.

Der Einflussgewinn der Parteien über die letzten zwanzig Jahre geht einher mit der bewussten Stärkung des Parlaments. Mit der Reform des Parlamentsgesetzes in den frühen neunziger Jahren wurde die Anzahl ständiger parlamentarischer Kommissionen erhöht, diejenige der Ad-hoc-Gremien reduziert. Das sollte die Parlamentarier gegenüber Verwaltung und Verbänden stärken und ihnen ermöglichen, sich als Spezialisten auf einem Fachgebiet zu profilieren, als Sozial-, Verkehrs-, Finanz- oder eben Wirtschaftspolitiker. Das hat funktioniert, für viele fast zu gut. Das gestärkte Parlament ist auch unberechenbarer geworden.

Die vollständige Studie «Machtverschiebungen» finden Sie hier.

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