Bei der Mikrosystemtechnik (MST) könnte die Zeit des Schleifens, Fräsens und Schneidens bald vorbei sein: Mit dem neuen Low-Cost-Liga-Verfahren – das Kürzel steht für Lithographie, Galvanik und Abformung – können Mikrostrukturen Atom für Atom zusammengesetzt werden, und dies erst noch äusserst kostengünstig. Kein Wunder, wurde das Verfahren vor zwei Jahren mit einem Preis des Wettbewerbs «Technologiestandort Schweiz» sowie den Sonderpreisen der Vontobel-Stiftung und des damaligen Biga ausgezeichnet.

Beteiligt am Innovationsprojekt waren als Forschungspartner das Neutechnikum Buchs (NTB) und als Industriepartner die Sachsler Firma Elektroforming (Elfo). Für Elfo-Chef Jürg Strub hatte die Zusammenarbeit mit dem NTB von allem Anfang an strategischen Charakter. Denn die Elfo sah sich Mitte der Neunzigerjahre auf ihrem Stammgebiet, der Produktion von Filtern für Heissgetränkemaschinen, mit einem technologischen Umbruch konfrontiert, weshalb der vormalige Philips-Manager Strub für den Betrieb eine neue Ausrichtung suchte.

4,3 Millionen Franken hat Strub bislang in das LC-Liga-Verfahren gesteckt, und es hat sich gelohnt. Heute ist die Elfo weltweit der einzige Betrieb, der in der Lage ist, in grossen Stückzahlen komplexe Metallwerkzeuge in Millimetergrösse herzustellen. Das Marktpotenzial ist riesig: Experten prophezeien der Mikrosystemtechnik stärkere jährliche Wachstumsschübe als der Mikroelektronik. Bis ins Jahr 2005 soll die Technologie, die vom Deutschen Wissenschaftministerium offiziell als «Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts» bezeichnet wird, weltweit rund 50 Milliarden Dollar bewegen.

Allerdings sind für ein Schweizer KMU – die Elfo beschäftigt rund 120 Mitarbeiter – solche Marktdimensionen eine Schuhnummer zu gross. Deshalb hat sich Jürg Strub schon frühzeitig nach einem Partner umgesehen, der helfen könnte, das neue Verfahren im grossen Stil zu kommerzialisieren. Im Sommer vergangenen Jahres nahm er Kontakt auf zu Aventic Partners, der Managementgesellschaft des UBS-Venture-Capital-Fonds Aventic, und schlug den Investoren ein Joint Venture vor: Man solle gemeinsam eine Firma gründen, in welche die Elfo die Technologie, das Management sowie einen Teil des Geldes einbringe und die Aventic den Rest der benötigten Mittel.

Aventic Partners willigte ein, und im März dieses Jahres gründeten die beiden Partner die Elmicron. Die Jungfirma verfolgt nur ein Ziel, nämlich dem LC-Liga-Verfahren zum Durchbruch zu verhelfen. «Es war alles gegeben: ein Markt, ein gutes Management und eine wegweisende Technologie», blickt Alan Frei, Partner bei Aventic und Verantwortlicher für den Elfo-Deal, auf die erste Zeit der Zusammenarbeit zurück.

Für den Risikokapitalisten Frei unterscheidet sich der Venture-Deal mit der Elfo nicht von anderen Geschäften: «Das ist völlig normal abgelaufen.» Normal allerdings waren nur die Abläufe. Die Tatsache, dass ein etabliertes KMU zusammen mit einem professionellen Risikokapitalgeber in eine neue Technologie investiert, ist in der Schweiz nach wie vor selten.

Ganz im Gegensatz zu den USA. Dort gehört das so genannte «Corporate Venturing» zum täglichen Geschäft. «In Amerika steht eine Technologiefirma», so Christoph Rubeli von der Zuger Beteiligungsgesellschaft Partners Group, «tagtäglich im Kontakt mit der Venture-Capital-Szene.» Vorreiter bei dieser Entwicklung, die Mitte der Neunzigerjahre auf breiter Front eingesetzt hatte, war die amerikanische Netzwerkfirma Cisco. Es vergeht kaum ein Tag, an dem Cisco – gemessen an der Börsenkapitalisierung die teuerste Firma der Welt – nicht irgendeinen Merger ankündigt, einen Spin-off lanciert oder eine Allianz eingeht, ohne dass dabei Riskiokapital im Spiel wäre. Für John T. Chambers, CEO der im kalifornischen San Jose beheimateten Cisco, ist das interne Wachstum einer Firma nur noch eine von drei Säulen der Unternehmensentwicklung. Für genauso wichtig hält er das Akquirieren sowie das so genannte «Partnering».

Chambers hat mit dieser Strategie einen weltweiten Trend gesetzt. Andere amerikanische Grossfirmen haben nachgezogen, und auch in der Schweiz sind es nun vor allem die weltweit agierenden Unternehmen, die auf den neuen Kurs einschwenken.

Ein aktuelles Beispiel unter vielen ist Landis & Gyr Communications (LGC). Die Firma, die seit gut zwei Jahren einer von der amerikanischen Texas Pacific Group formierten Investorengruppe gehört, will allein in den nächsten sechs Monaten drei Spin-offs lancieren. «Der kumulierte Umsatz der drei neuen Einheiten von geschätzten 50 Millionen Franken im Jahr 2001 wird sich bis 2003 verdoppeln», sagt ein zuversichtlicher LGC-Chef François Gabella, der für alle drei Spin-offs bereits Investoren gefunden hat.

Firmen wie Siemens und ABB liefern weitere Beispiele: Dort sind interne Gruppen in Zusammenarbeit mit externen Beratern laufend damit beschäftigt, die Geschäftsfelder auf Möglichkeiten für potenzielle Spin-offs abzuklopfen. Und der Fall des Siemens-Spin-offs Infineon hat gezeigt, dass eine erfolgreiche Ausgliederung der ehemaligen Muttergesellschaft mit einem Initial Public Offering (IPO) Hunderte von Millionen Franken in die Kasse spülen kann.

Der Gewinn aus einem Börsengang ist für die Grossfirmen allerdings nur ein angenehmer Nebeneffekt des Corporate Venturing. Anlass für die Bemühungen ist vielmehr das Innovationstempo in den Märkten. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Pharmaindustrie. Die weltweite Dynamisierung der Märkte zwang diese Branche schon früh zu Fusionen und Umstrukturierungen. Die Firmen stellten ihre Strategie von Diversifizierung, wie sie noch in den Achtzigern hoch gehandelt wurde, auf Fokussierung um. Mit der Folge, dass viele Forschungsergebnisse in den Schubladen der Produktmanager liegen bleiben.

«In den vergangenen Jahren wurden 81 Prozent der potenziellen Wirkstoffe nicht zu Medikamenten weiterentwickelt, weil sie bei den Pharmafirmen nicht ins Portefeuille passten», erläutert André Lamotte, Mitglied des Managementteams der New Medical Technologies; an dieser Basler Beteiligungsgesellschaft sind unter anderem Roche und die UBS-Gruppe beteiligt. Dank Spin-offs im Forschungsbereich wie beispielsweise Arpida lassen sich diese Wirkstoffe nun weiterentwickeln, führt Lamotte aus. Alles andere bezeichnet er als «eine unglaubliche Verschleuderung von Innovationskraft».

Für ein KMU kann nicht schlecht sein, was für einen Konzern wie Roche gilt. Ein KMU unterhält zwar selten Entwicklungsabteilungen, die laufend auf hochkarätige Innovationen stossen; doch wenn sich eine Chance bietet, gilt es, diese schnell zu packen. Deshalb muss Elmicron alles daransetzen, den technologischen Vorsprung auf die Konkurrenz weiter auszubauen. Mit den 2,2 Millionen Franken, die Aventic als Aktienkapital eingeschossen hat, sowie mit den Darlehen, die jeweils bei Erreichen von bestimmten Meilensteinen zur Auszahlung gelangen, werden in erster Linie die Entwicklungsarbeiten mit den potenziellen Kunden vorangetrieben. «Das LC-Liga-Verfahren ist eine klassische Enabling Technology. Wir müssen unseren Kunden erst aufzeigen, was alles möglich ist», lässt sich Jürg Strub dazu vernehmen.

Dabei hilft Aventic nicht nur mit Geld. Wie jede aktive Beteiligungsgesellschaft nützt sie ihre weltweiten Verbindungen und sorgt für Kontakte. Im Falle der Elfo engagiert sich jetzt der CEO eines grossen Schweizer Mischkonzerns.

Bevor das «smart money» fliesst, sind allerdings auch bei einem bestandenen KMU zähe Verhandlungen angesagt. Dabei geht es namentlich darum, wie viel von den Vorinvestitionen die Mutterfirma beim Spin-off als Aktienkapital aktivieren kann. Da musste die Elfo eine bittere Pille schlucken: Für den grössten Teil ihres 40-Prozent-Anteils an Elmicron musste sie Cash einschiessen. Und zu den finanziellen Aufwendungen gesellte sich eine knallharte Due Diligence. «Das schlaucht jede Firma», weiss Alan Frei von Aventic.

Der gelernte Ökonom und Maschineningenieur Jürg Strub hatte keine Probleme mit dieser Durchleuchtung. Im Gegenteil: «Wir haben viel gelernt, nicht zuletzt über unser Stammgeschäft.» Doch Strub bildet eine Ausnahme. Viele erfolgreiche KMU-Chefs haben Mühe, ihr Unternehmen von Dritten beurteilen zu lassen oder zu akzeptieren, dass sie ihre Vorarbeiten kaum verrechnen dürfen. Dazu kommt, dass «manche KMU-Lenker an einem Kontrollreflex leiden», wie Risikokapitalist Christoph Rubeli erkannt hat. «Sie haben Mühe, wenn plötzlich eine Beteiligungsgesellschaft mitredet.»

Anderseits sind die Risikokapitalisten nicht bereit, sich mit einer Minderheitsbeteiligung an der Muttergesellschaft zu begnügen. So war Aventic im Falle von Elfo ausschliesslich an der LC-Liga-Technologie interessiert. «Ein Engagement bei der Elfo wäre für uns nicht in Frage gekommen», meint Alan Frei.

Da tut sich für viele KMU-Chefs ein Dilemma auf. Und zwar nicht nur, weil die professionellen Investoren lediglich an den Filetstücken einer Firma interessiert sind. Denn aus steuerlichen Gründen schreiben viele KMU ihre teuren Immobilien auf einen Franken ab. Wenn nun ein Investor einsteigt, sind sie plötzlich zu Wertkorrekturen gezwungen, was sofort den Fiskus auf den Plan ruft.

Mit einem Spin-off lässt sich dieses Problem allerdings elegant umgehen. Deshalb ist Christoph Rubeli überzeugt, dass sich unter dem Druck der Märkte die Mentalität der KMU-Chefs langsam, aber sicher verändern wird – wie zuvor schon Manager von Grossfirmen haben umdenken müssen. «Vor Jahren galten Mitarbeiter, die einen Spin-off lancieren wollten, noch als illoyal», erinnert sich Christoph Rubeli von Partners Group. Eine Einschätzung, die sich unterdessen radikal gewandelt habe. Das bestätigt auch der Pharmaspezialist André Lamotte: Heute wendeten die Manager der grossen Pharmafirmen einen Fünftel ihrer Arbeitszeit für die Pflege von Kontakten zu Partnern und Spin-offs auf.

Dergestalt werden bisher vor allem in der New Economy, in der IT- oder in der Life-Sciences-Branche Unternehmenswerte generiert. Doch Jürg Strub und sein Finanzierungspartner Alan Frei sind überzeugt, dass die Methode auch in anderen Hightech-Bereichen anschlagen kann. Strub hat sich persönlich an Elmicron beteiligt und wird in Zukunft über die Hälfte seiner Arbeitszeit für den kleinen Bruder der Elfo einsetzen. Bei der Elfo hat man ihm deswegen bereits einen Chief Organisation Officer (COO) zur Seite gestellt.

Die Zeichen, dass die Rechnung aufgehen wird, stehen gut. Die ersten Kleinserien von Mikroteilen, die mit der LC-Liga-Technologie produziert wurden, sind bereits an einen amerikanischen Hersteller von Präzisions- und Hochleistungsdruckern ausgeliefert. In diesem Stil soll es nun weitergehen. Momentan werden in Sachseln zehn Projekte mit namhaften Konzernen aus den Bereichen Medizinaltechnik, Automobilindustrie, Telekommunikation und Elektronik bearbeitet.

Entsprechend will Strub das Personal bei Elmicron bis Ende Jahr von 20 auf 40 Personen aufstocken. Mittelfristig, so sieht es der Businessplan vor, soll die Lohnliste rund 100 Namen umfassen. Das wird allerdings erst dann möglich sein, wenn die Firma Geld verdient und die Aktien kotiert sind. Der Break-even ist für 2002 angesagt, im Jahr darauf will sich das Unternehmen dem Publikum öffnen.

Das LC-Liga-Verfahren sei «ein Projekt mit besonderer Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Schweiz», begründete das Biga vor zwei Jahren die Verleihung ihres Sonderpreises. Damals konnte man in der Schweiz Corporate Venturing noch kaum richtig buchstabieren. Deshalb ahnte wohl auch noch niemand, wie schnell sich die Einschätzung des Biga bewahrheiten würde.
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