Wer sich bereits mit dem Thema Verhandlungsgeschick beschäftigt hat, wird womöglich schon über den sogenannten Ankereffekt gestolpert sein. Dabei handelt es sich um ein psychologisches Phänomen, das dafür sorgt, dass sich der Verhandlungspartner eher nach den genannten Werten richten wird. Selbst dann, wenn er das eigentlich gar nicht will. Was man dafür tun muss? Lediglich als Erstes in der Verhandlung, etwa der nächsten Lohnverhandlung, eine Zahl nennen. Und zwar am besten ein Jahresgehalt, das deutlich über dem liegt, was man am Ende tatsächlich auf dem Konto haben will.

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Auf die Art setzt man im Kopf des Verhandlungspartners einen «Anker», also einen Vergleichswert, an dem er sich zwangsweise orientieren muss. Es liegt in der Natur von Lohnverhandlungen, dass das Gegenüber versuchen wird, diese Zahl herunterzuhandeln, um möglichst wenig auszugeben. Indem man aber den Anker legt, kann man das Maximum herausholen. Denn es macht einen grossen Unterschied, von welchem Wert aus die Verhandlung startet. So kann der Chef schwer zu weit von dem zuerst genannten Wert abweichen, da in seinem Kopf der Referenzwert fest verankert ist.

Nachgewiesen hat den Effekt unter anderem der US-Verhaltensökonom Dan Ariely. In einem Experiment versteigerte er beispielsweise Weinflaschen an Studierende. Vor der Versteigerung bat er sie, die letzten zwei Ziffern ihrer Sozialversicherungsnummer auf einen Zettel zu schreiben. Im Ergebnis beobachte Ariely, dass jene Studierenden, die eine kleine Zahl wie 19 oder 26 aufgeschrieben hatten, sich beim Bieten anders verhielten als diejenigen, die eine hohe Zahl wie 73 oder 66 aufgeschrieben hatten. Konkret boten Erstere im Schnitt nur 8,64 Dollar für eine Flasche Wein – Letztere fast dreimal so viel (27,9 Dollar).

Neue Studie: In welchem Fall besser auf das Angebot des Gegenübers gewartet wird

Sollten Sie also in einem Gehaltsgespräch immer das erste Angebot abgeben? Nicht zwingend, wie eine kürzlich veröffentliche Studie des Entscheidungsfindungs- und Verhandlungsforschers Yossi Maaravi von der Reichman-Universität offenlegt. Er und sein Team fanden heraus, dass es in manchen Fällen von Nachteil sein kann, in Verhandlungen zuerst ein Angebot zu nennen. Und zwar dann, wenn man sich in keiner mächtigen Verhandlungsposition wähnt.

Die Forscher argumentieren, dass der Schlüsselfaktor bei einer jeden Verhandlung Macht ist. Jedoch nicht nur die Macht, die man tatsächlich hat, sondern auch die Macht, die man zu haben glaubt. Die Studienautoren schreiben: «Verhandlungsführer mit geringer Macht könnten von ihren eigenen unterlegenen Alternativen ‹verankert› werden, wenn sie die Höhe ihrer ersten Angebote festlegen.»

Sie spielen hier auf das psychologische Phänomen des Ankereffekts an, sprechen jedoch von einer «Selbstverankerung». Gemeint ist: Sie tragen in der Regel einen eigenen Anker in sich, der wesentlich vom Selbstwert und vom Gefühl der Macht bestimmt wird. Wissen Sie um Ihre Fähigkeiten, sind Sie sich Ihres Wertes bewusst und wähnen sich in einer mächtigen Verhandlungsposition. Ihr Gehaltsanker wird demnach höher ausfallen als bei einer Person, die in diesen Belangen unsicher ist.

Die Ergebnisse der Untersuchungen legen nahe, dass Menschen, die sich selbst für weniger mächtig hielten, einen deutlichen Nachteil bei der Unterbreitung erster Angebote hatten. Sowohl Bewerberinnen und Bewerber als auch Arbeitgeber machten schlechtere Angebote, wenn sie sich in einer benachteiligteren Position als die andere Partei wähnten. Die Studienautoren schliessen daraus: «Schwache Verhandlungspartner sind besser dran, wenn sie den zweiten Schritt machen.» Heisst also: Fühlt man sich unsicher und unterlegen, sollte man auf das Angebot des Gegenübers warten, um mehr herauszuholen.

Stärkt euer eigenes Machtgefühl, um mehr herauszuholen

Allerdings raten die Forscherinnen und Forscher auch dazu, das eigene Machtgefühl zu stärken, um aus einer Verhandlung mehr herauszuholen. So auch Claudia Kimich, Expertin für Selbstmarketing und Lohnverhandlungen. Sie sagt: «Statt des Marktwertes sollten wir lieber unseren Selbstwert herausfinden.» Wer wisse, was er wert sei und was er draufhabe, dem könne egal sein, was der Markt bezahlt.

Dafür sollte man sich laut der Expertin überlegen, welche Fähigkeiten einen auszeichnen und welche Projekte man bereits umgesetzt hat. Sie rät, dass dafür am besten ein Dokument mit drei Spalten angelegt wird. In die erste tragen Sie Ihre bisherigen Projekte oder Tätigkeiten ein. In die zweite Spalte schreiben Sie, welche Rolle Sie dabei gespielt haben. Hat man etwa selber eine Idee gehabt oder irgendwo die Leitung übernommen? In der dritten Spalte formulieren Sie, welchen Mehrwert das Unternehmen und Kolleginnen und Kollegen daraus gezogen haben.

Auf diese Art mache man seinen Nutzen messbar – umso mehr, wenn man mit konkreten Zahlen arbeite. Zum Beispiel, wie viel Umsatz dabei generiert wurde. Zu wissen, welchen Wert man für das Unternehmen hat, diene nicht nur als Orientierungshilfe – es sei auch das wichtigste Verhandlungsargument, weiss Kimich.

Immer drei Werte bei der Lohnverhandlung bereithalten

Aus diesen Überlegungen sollten laut der Verhandlungsexpertin drei Werte abgeleitet werden: eine Schmerzgrenze, unter die Sie nicht gehen möchten, der Lohn, mit dem Sie zufrieden wären, und ein Traumgehalt. Letzteres sollte so hoch sein, dass Sie «drei Tage lang jubeln würden, wenn Sie es erhalten würden», so Kimich. Sie sollten sich bei Ihrem Maximalwert nicht scheuen, ihn hoch anzusetzen. «Gross denken macht grosse Beträge erst möglich», sagt die Expertin.

Das Traumgehalt ist der Lohn, den man im Gehaltsgespräch als Anker nennen sollte – wenn Sie ihn legen möchten. Dabei muss allerdings darauf geachtet werden, den Wert nicht unverschämt hoch anzusetzen. Das kann die ganze Verhandlung in Schieflage versetzen. Forscherinnen konnten nämlich zeigen, dass Menschen mit einer Trotzhaltung reagieren, wenn sie das erste Angebot unverschämt finden – und dann ihrerseits ein Gegenangebot machen, das genauso unverschämt ist.

Eine gute Lohnrecherche vor dem Gespräch ist demnach das A und O. Portale wie Kununu, Glassdoor oder Stepstone zeigen, welche Durchschnittsgehälter in einem Unternehmen gezahlt werden. Teils erfährt man sogar, wie sich die Karrierestufe auf das Gehalt auswirkt. Fragen Sie aber auch Ihre Kollegen und Kolleginnen, was sie verdienen, um besser einzuschätzen, was möglich ist. Zuletzt kann es laut Kimich auch hilfreich sein, sich probeweise bei der Konkurrenz zu bewerben. «Wenn Sie den Betrag bekommen, wissen Sie auch, dass Sie es wert sind», sagt Kimich.