Text: Anna Gielas

«Adam» und «Smith» sind zwei Hauptlosungsworte an der HSG. Den Studierenden entlocken sie verschworenes Lächeln und zustimmendes Nicken. «Der Freimarktler!», informieren altkluge Erstsemester. «Laissez-faire und so!» Und so?

Die heutige Lesart der smithschen Werke ähnelt einer Rosinenpickerei der Wirtschaftswissenschaftler. «Wir hören immerzu von der unsichtbaren Hand, wenn wir von Smith sprechen, dabei taucht sie in all seinen Schriften nur dreimal auf», berichtet Emma Rothschild, Professorin an der Harvard University.

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In den 234 Jahren, seit Smith den «Wohlstand der Nationen» veröffentlicht hat, verblasst der Autor immer mehr hinter Phrasen wie derjenigen der unsichtbaren Hand. An der HSG besitzen sie Prüfungsrelevanz. Und doch bleibt der Facettenreichtum der smithschen Ideen hier oft unerwähnt und der schottische Ökonom für die meisten Studierenden ein Rätsel.

Dass Adam Smith (1723–1790) ewiger Junggeselle war, der bei seiner Mutter wohnte, liefert keine überraschenden Erkenntnisse. Aber um sein geistiges Werk erfassen zu können, ordnen Historiker den Mann aus Kirkcaldy an der schottischen Ostküste gerne in sein Zeitalter ein. Geschichtswissenschaftlerin Rothschild kommt dabei gar zum Fazit, Smith habe die Metapher der unsichtbaren Hand ironisch gemeint. Allzu abstrus erscheint der Gedanke nicht, wirft man einen Blick auf die Zeit, in der er wirkte. Smith lebte während der Aufklärung, einer Epoche, die bekannt war für das stets skeptische und kritische Hinterfragen von Staat, Gesellschaft, Religion und Wissenschaft. Ihre Vertreter betonten die Wichtigkeit der Vernunft.

Vernunft und Vorurteilslosigkeit spiegeln sich auch in Smiths Schrift «Die Theorie der ethischen Gefühle». In diesem, 20 Jahre vor seinem Opus magnum erschienenen Werk widmet er sich dem Charakter des Menschen. Als eine von dessen Fähigkeiten nennt und diskutiert Smith die Empathie. Dabei tritt auch seine Überzeugung von der Gleichheit der Menschen zutage: Im Gegensatz zu seinem engsten Vertrauten, dem Philosophen David Hume, der annahm, wir könnten nur jenen nachempfinden, die uns ähnlich sind, unterwirft Smith die Empathie keinen solchen Einschränkungen.

Hume, einer der bedeutendsten Aufklärer, starb 1776, in dem Jahr, als «Der Wohlstand der Nationen» erschien. Darin sprach sich Smith zugunsten einer Unterstützung der Benachteiligten aus  er befürwortete Interventionen der Regierung, wenn es darum ging, Armut einzudämmen. Der Ökonom schrieb ferner: «When the regulation is in favor of the workmen, it is always just and equitable; but it is sometimes otherwise when in favor of the masters.»

In der Debatte über die heutigen Entwicklungen erinnert der Nobelpreisträger Paul Krugman ausserdem an Smiths Argument, Banken bräuchten Regulierungen. Gegen «high-risk, high-interest lending» habe Smith gar mit Verbot vorgehen wollen, so der Princeton-Professor.

Auch befürwortete der Ur-Ökonom eine besondere Besteuerung der Reichen: «It is not very unreasonable that the rich should contribute to the public expence, not only in proportion to their revenue, but something more than in that proportion», hielt der Schotte fest.

Was den Denker aber den generellen Stereotypisierungen entreissen und eine Anerkennung des Facettenreichtums seiner Werke und Empfehlungen wecken könnte, ist besonders eine seiner Ideen: Smith glaubte nicht daran, dass der Markt den Menschen frei mache, sondern beobachtete vielmehr, dass ein freier Mensch zur Markttätigkeit tendiert. Das scheint nur eine kleine Differenz zu sein – es ist aber gerade dieser feine Unterschied, mit dem Smith den Humanismus in die Wirtschaftslehre hob.