Die Genfer Privatbank Pictet gibt es seit sage und schreibe 216 Jahren. Das Geldhaus wurde 1805 gegründet, zu einer Zeit, als Napoleon die wichtigste politische Figur Europas war. 216 lange Jahre bestimmten Männer die Geschicke der Bank, ausschliesslich Männer. Im Spätsommer endet diese Tradition. Mit Elif Aktug zieht im September erstmals eine Frau in das erlauchte Teilhabergremium der Bank ein.

Nicht dass Pictet durch Aktugs Ernennung im Handstreich zu einem Vorbild in Sachen Diversity werden würde. Doch erfreulich ist der Traditionsbruch allemal. Weil er ein kleines Zeichen setzt. Und weil er in einer notorisch konservativen Branche wenigstens ein bisschen Staub aufwirbelt. Doch es gibt auch ein Aber.

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«Wer ernsthaft Frauen rekrutieren will, muss richtig nach ihnen suchen.»

Die späte Berufung von Aktug zeigt eine Malaise, die über Pictet hinausweist

Aktug arbeitet schon zehn Jahre für und bei Pictet. Sie gilt als absoluter Top Shot, hat diverse Preise der Finanzbrache eingeheimst, war zuvor bei Goldman Sachs engagiert. Pictet hat ihr 2,5 Milliarden Euro an Kundengeldern anvertraut, über den hauseigenen Hedgefonds Agora. Und doch dauerte es ein Jahrzehnt, bis Aktug ganz oben anlangte. Oder besser: Bis man sie ganz oben aufnahm.


Das ist eine Kritik an Pictet, ja. Aber nicht in erster Linie. Schliesslich wechselt das Teilhabergremium seine Mitglieder nur höchst selten aus. Aktug ist in den 216 Jahren der Bank erst Mitglied Nummer 44 des Kollegiums. Die Kritik an Aktugs Spätberufung zielt auf alle Unternehmen, alle männerdominierten Unternehmen. Denn Aktugs Geschichte ist symptomatisch für viele Karrieren von herausragenden Frauen. Sie werden nicht gesehen, nicht gehört und nicht befördert. Weder intern noch extern. Obwohl ausnahmslos alle Firmen von Diversity reden. Und das seit Jahren.


Was also muss geschehen, um talentierten Frauen den verdienten Platz an den Schlüsselstellen der Wirtschaft zu geben? Vieles, zweifellos. Aber von Jobsharing, Familienverträglichkeit und Teilzeitarbeit soll hier gar nicht die Rede sein. Auch rigide staatliche Quotenregelungen wollen wir nicht bemühen. Denn im Grund ist es ganz einfach: Wer Frauen will, muss Frauen suchen. Nicht Frauen und Männer, sondern Frauen. Nur Frauen.

«Im Jahr 2020 waren in Schweizer Unternehmen lediglich 18 Prozent der Führungspositionen im Top-Management mit Frauen besetzt.»

https://de.statista.com/

Es gibt für jede Stelle eine Auswahl an bestens qualifizierten Frauen

Es ist eine Erfahrung, die immer mehr Chefinnen, Headhunter und Verwaltungsrätinnen machen: Wer ernsthaft Frauen rekrutieren will, muss richtig nach ihnen suchen. Und dazu gehören zwingend rein weiblich besetzte Long- und Shortlists. Wer sich dazu durchringt, merkt schnell:
Es gibt für jede Stelle eine breite Auswahl an bestens qualifizierten Frauen, intern und extern. Man muss sie nur sehen, hören und befördern. Und vor allem: Man muss sie finden wollen. Im Wissen, dass durchmischte Gremien in aller Regel bessere und besser abgestützte Resultate bringen. Im Bewusstsein, dass die bloss teilweise Nutzung des Talentpools kurzsichtig ist. Und mit der Gewissheit, dass jede Ernennung einer Frau in einer Führungsrolle fast automatisch dazu führt, dass ihr weitere Frauen folgen werden.

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