Tausende Festnahmen nach dem gescheiterten Umsturzversuch in der Türkei - der Präsident «säubert» Militär und Justiz. Befürchtet wird, dass dabei längst nicht nur potenzielle Putschisten unter die Räder kommen. Kann der Westen auf Erdogan einwirken?

Demokratisch legitimierte Institutionen dürfen nicht vom Militär gestürzt werden - das ist die einhellige Reaktion vieler Staats- und Regierungschefs auf den Putschversuch in der Türkei. Doch die postwendende Ankündigung von Präsident Recep Tayyip Erdogan einer «Säuberung» lässt nichts Gutes für Demokratie und Rechtsstaat ahnen.

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Beziehungen haben sich verschlechtert

Könnten mächtige Politiker im Westen Erdogan davon abhalten, sollte dieser den gescheiterten Umsturzversuch zur willkürlichen Ausschaltung unliebsamer Offiziere und Richter nutzen?

Die Beziehungen zum Westen haben sich in den vergangenen Monaten weiter verschlechtert. Gründe sind die Eskalation des innertürkischen Konflikts mit den Kurden, Einschränkungen von Parlamentarierrechten und hartes Vorgehen gegen Journalisten. Von US-Präsident Barack Obama bis zu Bundeskanzlerin Angela Merkel sind Staats- und Regierungschefs auf Distanz zu Erdogan gegangen. Von ihnen dürfte er sich nun erst recht nichts sagen lassen.

Erdogan weiss zudem um die Macht der Türkei, Flüchtlinge von ihrem Weg in die EU abzuhalten. Manchmal konnte man den Eindruck haben, dass Brüssel in Demokratie- und Menschenrechtsfragen gegenüber der Türkei stillhielt, um Ankara nicht zu verprellen.

Merkel gegen EU-Mitgliedschaft

Merkel spricht sich schon seit Übernahme des Kanzleramts 2005 gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union aus. Sie hat zu dem impulsiven Erdogan nie einen engen Draht aufbauen können.

Viel besser gelang ihr das mit Premierminister Ahmet Davutoglu, mit dem sie in Brüssel die Verhandlungen über den Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei führte - der aber auf Betreiben Erdogans im Juni abtreten musste.

Mit der Armenienresolution des deutschen Bundestags ist das Verhältnis zur Türkei im Frühsommer dann auf dem Tiefpunkt angelangt. Der Bundestag hatte die Massaker im damaligen Osmanischen Reich 1915 an den Armeniern als Völkermord eingestuft.

Besseres Verhältnis zu Russland

Hingegen verbessern sich die Beziehungen zwischen der Türkei und Russland allmählich, nachdem die Türkei Ende November 2015 ein russisches Kampfflugzeug im syrischen Grenzgebiet abgeschossen hatte. Putin tobte und verhängte schmerzhafte Sanktionen gegen die bis dahin befreundete Türkei.

Nun sollen die Beziehungen wieder normalisiert werden, nachdem Erdogan jüngst einen Brief an Putin schrieb, den der Kreml als die geforderte Entschuldigung für den Abschuss gelten liess. Aber selbst wenn die beiden Präsidenten wieder zueinander fänden - Putin gilt nicht gerade als guter Lehrer in den Fächern Demokratie und Rechtsstaat.

Anfang September treffen sich Obama, Merkel, Putin und Erdogan beim Gipfel der 19 führenden Industrienationen und der EU (G20) in China. Der neue Ministerpräsident Binali Yildirim verkündete erst kürzlich, aussenpolitisches Ziel Ankaras sei es, «die Zahl der Freunde zu mehren, die der Feinde zu verringern». Bis September könnte Erdogan Säuberungswelle aber schon weitgehend abgeschlossen sein.

(sda/ccr)