Der 6287 Meter hohe Great Trango Tower im zentralasiatischen Karakorum-Gebirge ist eine der ruppigsten und gewaltigsten Felsformationen dieser Erde. Der Turm ragt von seiner Basis aus mehr als 2500 Meter in den Himmel. Marina Kopteva, Galina Chibitok und Anna Yasinskaya, drei zierliche Frauen aus der Ukraine und Russland, starteten am 22. Juli 2011, um eine neue Route zu erklettern. Ihr Gepäck wog etwa 300 Kilogramm, auch Wasser für die ersten zehn Tage war dabei, für die Zeit, bis sie auf Eis für ihren Schmelztopf zu treffen hofften. Sich in der Führung abwechselnd, bewältigten sie pro Tag 50 bis 100 Höhenmeter und schliefen eng aneinander auf einer winzigen künstlichen Plattform über dem Abgrund.

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Dieses Gestell zogen sie wie ihr übriges Gepäck jeweils am Ende des Tages zum erreichten Punkt hoch. Die klettertechnischen Schwierigkeiten in der immer dünner werdenden Luft forderten sie bis zum Äussersten, miserable Wetterverhältnisse wurden stoisch hingenommen: Auch bei Schneesturm bewältigten die drei mindestens 50 Höhenmeter. Nach 38 Tagen erreichten die Frauen den Gipfel und hatten Bergsteigerinnen-Geschichte geschrieben. Jede von ihnen hatte mindestens zehn Kilogramm Körpergewicht abgenommen, nach dreitägigem Abseilen über ihre Route «Parallel World» standen sie wieder auf sicherem Boden.

Gelegentlich brauchen grosse Dinge viel Zähigkeit, Geduld und Zeit. Dies auch dann, wenn nur ein kleines Gedicht dabei herauskommt. Der expressionistische Dichter Gottfried Benn erzählte, dass ihm die zweite Strophe seines Gedichtes «Welle der Nacht» erst 20 Jahre nach dem Verfassen der ersten Strophe gelang, dann aber war der Achtzeiler perfekt. Pablo Picasso war anders: Ein Video zeigt ihn, wie er eine seiner berühmten Tauben aus Ton innert fünf Minuten formte. Er ist denn nicht zuletzt auch für die Fülle seines Werkes unsterblich geworden. Wieder andere schafften es mit weniger in den Olymp. So der Komponist Anton Webern, der in seinem ganzen Leben Musik für gerade einmal zwei Stunden schrieb.

Natürlich lohnt es sich manchmal, schnell zu sein. Ueli Steck sprintet in zwei Stunden durch eisige Nordwände oder in einem Tag auf einen Achttausender. Wer sich zu lange in der Eiger-Nordwand oder im Khumbu-Eisfall aufhält, wird eventuell erschlagen, und wer seine Beteiligungen nicht rechtzeitig verkauft, verliert eventuell alles.

Häufig aber ist länger besser: Als Reinhold Messner und ich den Schriftsteller Christoph Ransmayr, einen gemeinsamen Freund, einluden, um mit uns den Ruwenzori in Uganda zu besteigen, lehnte er ab: Er habe noch 30 Seiten an seinem neuen Roman zu schreiben, dafür brauche er eine Brasilienreise und drei Monate Zeit. Heraus kam «Morbus Kitahara», ein Meisterwerk. Der in 100 Tagen entstandene Schluss ist ganz besonders gelungen. Reinhold Messner und ich standen lediglich auf einem von Regen und Schnee umpeitschten Gipfel.

In einer Zeit, in der Milliarden innert Mikrosekunden verschoben und Vermögen über Nacht vernichtet werden, könnte das gemächliche Tempo der drei charmanten ukrainischen und russischen Bergsteigerinnen anregend wirken: Sie ernteten Ruhm und einige Preise.

Prof. Dr. med. Oswald Oelz war bis Ende Juli 2006 Chefarzt für Innere Medizin am Triemli-Spital Zürich. Der Bergsteiger und Buchautor liess sich mit 63 Jahren pensionieren.