Albin F. Wrulich, Projektleiter der Synchrotron Lichtquelle Schweiz (SLS) am Paul Scherrer Institut (PSI), zeigt auf ein Rohr, das sich in den Tiefen eines 288 Meter langen, ringförmigen Tunnels verliert: «In diesem Vakuumrohr beschleunigen wir einzelne Elektronenpakete auf ein Tempo knapp unter der Lichtgeschwindigkeit. Und indem wir die Elektronen laufend magnetisch ablenken, generieren wir einen äusserst brillanten, ultraharten Röntgenstrahl.» Ein Röntgenstrahl, mit dem sich ab Mitte des nächsten Jahres Objekte bis zur Grössenordnung von 25 Nanometern ausmessen lassen.

«Die Anlage hat für die Schweizer Nanowissenschaft eine enorme Bedeutung», sagt der gebürtige Klagenfurter, «sie ist absolut top in Europa.» Die Einschätzung des erfahrenen Beschleunigungsphysikers rechtfertigt im Nachhinein einen Bauentscheid, der durchaus nicht unumstritten war: Denn mit den mehr als 150 Millionen Franken, die für das SLS budgetiert waren, hätte man auch eine Lichtquelle bauen können, die eher auf die Erforschung und Perfektionierung von bekannten mikrotechnischen Produktionsverfahren ausgerichtet gewesen wäre.

Dass der Entscheid schliesslich zu Gunsten der Grundlagenforschung im Nanometerbereich fiel, spricht für die Weitsicht des ETH-Rates. Doch ganz unabhängig davon wirft die Diskussion auch ein Schlaglicht auf das Wesen der Nanotechnologie insgesamt: Geräte und Anlagen, welche die Makro- und Mikrotechniker für die Erprobung ihrer Fertigungstechniken brauchen, reichen den Nanotechnologen allenfalls für die Sichtbarmachung ihres Forschungsgegenstandes. Denn Objekte im Nanobereich (ein Nanometer entspricht ungefähr dem Durchmesser von zehn Wasserstoffatomen) sind mit den üblichen lichtmikroskopischen Verfahren nicht mehr zu fassen, was umso schwerer wiegt, als in der Nanowelt zum Teil völlig andere physikalische Gesetze herrschen als in der Makrowelt.

Dieser Tatbestand ist grundsätzlich bekannt seit der Publikation der Quantentheorie durch den deutschen Physiker Max Planck im Jahr 1900. Seither sind die Phänomene des Nanokosmos zumindest teilweise berechenbar. Es dauerte jedoch knapp 60 Jahre, bis die theoretischen Grundlage so sicher waren, dass sie auch technische Visionen zuliessen. 1959 hielt der amerikanische Quantenphysiker Richard Feynman einen Vortrag mit dem wegweisenden Titel «There’s plenty of room at the bottom». Danach dauerte es jedoch noch einmal knapp 25 Jahre, bis Atomstrukturen zum ersten Mal klar und deutlich sichtbar gemacht werden konnten. Der Schweizer Heinrich Rohrer und der Deutsche Gerd Binning entwickelten am IBM-Forschungslabor in Rüschlikon das Rastertunnelmikroskop (RTM) mit einer Auflösung von einem bis zehn Nanometern und erhielten dafür 1986 den Nobelpreis.

Seither macht die optische Durchdringung des Nanokosmos laufend Fortschritte. Für die Untersuchung von Oberflächen wurde das RTM zum Atomkraftmikroskop (AFM) weiterentwickelt, und für die Erforschung des Innenlebens von atomaren und molekularen Strukturen kommen vor allem röntgen- und laseroptische Verfahren zum Zuge.

Perspektiven ergeben sich daraus namentlich für die Molekularbiologie und die Pharmaforschung: Drug-Design lautet das Zauberwort. Wenn es gelänge, die Vorgänge in einem Protein oder in einem Zellkern haarklein zu verstehen, stünde die Türe offen für die regelrechte Konstruktion von Heilstoffen, und zwar Atom für Atom. Und bereits träumen Nano-Visionäre wie Eric Drexler, Gründer des kalifornischen Foresight Institute (www.foresight.org), von Nanomaschinen, die sich gewissermassen selbstständig reproduzieren. Hinter dieser Self-assembling-Vision steht die Hoffnung der Molekularbiologen, in Zukunft selbst komplexe Organismen als Nanofabriken rekonstruieren zu können.

Mit Ausblicken dieser Art haben die Nanotechnologen auch die Politik auf sich aufmerksam gemacht: Die amerikanische Regierung hat im Frühling allein für das Jahr 2002 rund eine halbe Milliarde Dollar für die einschlägige Forschung beantragt. Die EU wird in ihrem fünften Rahmenforschungsprogramm 1,3 Milliarden Euro für Nanotechnologie, intelligente Materialien und neue Prozesstechnologien bereitstellen, und in der Schweiz läuft noch bis 2003 das 62-Millionen-Franken-Programm TopNano 21 des ETH-Rates. Damit, so Stefan Bieri, CEO des ETH-Rates, gebe die Schweiz im Pro-Kopf-Vergleich mehr als jedes andere Land für Nanotechnologie aus, wobei die Aufwendungen der einzelnen Universitäten und der Institute der beiden Technischen Hochschulen noch nicht einmal eingerechnet seien.

So verweist Bieri auf das neu gegründete Basler National Centre of Competence in Research in Nanoscience (NCCR). Oder auf das First Lab der ETH Zürich, das am kommenden 21. Dezember eröffnet wird. Den Betrieb aufnehmen wird das Lab mit seinen mehr als zwanzig Reinraumarbeitsplätzen für die Mikro- und Nanoforschung erst Mitte des kommenden Jahres. Doch schon heute steht einer der Forschungsschwerpunkte fest: die Suche nach neuen Halbleitermaterialien.

Ein zukunftsträchtiges Feld, denn es zeichnet sich ab, dass die laufende Miniaturisierung von integrierten Schaltungen auf Siliziumchips schon bald einmal an ihre physikalischen Grenzen stossen wird. Rund 100 Nanometer breit sind die aktiven Halbleiterelemente in einem Chip momentan, «doch kleiner als 10 Nanometer dürfen sie nicht werden», erklärt Christian Schönenberger, Physikprofessor an der Uni Basel. Der Grund: Das in der Chipproduktion verwendete Silizium ist stets «dotiert», das heisst mit einem anderen Metall angereichert. Silizium leitet nur dank dieser Anreicherung. Wäre ein Siliziumelement dünner als zehn Nanometer, gäbe es keinen Platz mehr für das dotierte Atom, und der Halbleiter würde zum Isolator.

Die Halbleiterindustrie investiert Millionen in die einschlägige Forschung. Am IBM-Forschungslabor in Rüschlikon wurde zum Beispiel erst kürzlich ein revolutionärer nanomechanischer Speicher vorgestellt. Er funktioniert wie die gute alte Lochkarte – mit dem Unterschied, dass die «Löcher» nur noch wenige Nanometer Durchmesser aufweisen und mit AFM-Sonden gelesen werden. Am Zürichsee rechnet man bis in zwei, drei Jahren mit einem ersten Prototyp für die industrielle Fertigung.

Über eine Halbleiterindustrie, die solche Forschungsanstrengungen selbst finanzieren könnte, verfügt die Schweiz nicht. Für ETH-Rat-CEO Stefan Bieri ist das jedoch kein Grund für Kleinmut: «Bei der Suche nach Siliziumalternativen haben auch die Grossen eben erst angefangen.» Und dass der Technologiestandort Schweiz für solche Entwicklungen zu klein sein könnte, glaubt er ebenfalls nicht. «Das zwingt uns, kreativ zu sein.»

Bieri setzt auf Forscher wie Jens Gobrecht, Leiter des PSI-Instituts für Mikro- und Nanotechnologie. Dieser hat im vergangenen Herbst Forschungsergebnisse veröffentlicht, die besagen, dass sich in einem Silizium-Germanium-Chip auch Lichtwellen als Informationsträger verwenden lassen. Die Publikation hat in der Fachwelt für Furore gesorgt, nur wenige Monate später erhielt Gobrecht Besuch von Chipherstellern wie Intel und Motorola. «Es ist nicht auszuschliessen, dass wir noch in diesem Jahr einen ersten Zusammenarbeitsvertrag unterschreiben werden», freut sich Gobrecht.

Weiter in der Zukunft liegt der Bau von Schaltungen, die ausschliesslich aus organischen oder keramischen Molekülen bestehen. «Theoretisch ist das möglich», sagt Christian Schönenberger, «wir kennen bereits Moleküle mit hervorragenden Schalteigenschaften.» Spezielles Interesse geweckt haben dabei Kohlenstoffmakromoleküle wie Nanotubes oder Fullerene. Die in den Achtzigerjahren entdeckten Partikel sind je nach Herstellungsweise metallisch oder halbleitend, und in diesem Frühjahr ist es erstmals gelungen, auf der Basis von Nanotubes einen Kohlenstofftransistor zu bauen.

Euphoriker sehen deshalb bereits das «Jahrhundert des Kohlenstoffs» heraufziehen. Christian Schönenberger, selbst ein international renommierter Nanotubes-Forscher, mag sich solche Prognosen nicht zu eigen machen. «In der Elektronik dürften Kohlenstoff-Makromoleküle erst in zehn Jahren zu einem ernsthaften Thema werden.» Ganz anders beurteilt er die Einsatzchancen der Kohlenstoffmoleküle hingegen in der Materialtechnik, dem dritten grossen Bereich der Nanotechnologie neben Molekularbiologie und Elektronik: «Kohlenstoffmoleküle weisen phänomenale mechanische Qualitäten auf. Vielleicht fahren Sie schon bald mit einem Fahrrad, bei dem das Material des Rahmens mit Nanotubes verstärkt wurde», mutmasst Schönenberger.

Die Spekulation ist nicht unbegründet. Denn anders als in der Molekularbiologie oder der Elektronik müssen die Atome und Moleküle in der Material- und Oberflächentechnik nicht einzeln beobachtet und bewegt werden. Sie können mit Prozessen bearbeitet werden, die sich an gebräuchliche mikro- und makrotechnologische Verfahren anlehnen. Der so genannte Lotuseffekt zum Beispiel wird schon heute vielfach genutzt. Er stellt sich bei Oberflächen ein, die zwar scheinbar glatt sind, unter einem Rastermikroskop hingegen spitze Berge und tiefe Täler aufweisen. Die nanostrukturierte Furchung nimmt den vergleichsweise grossen Fremdpartikeln – Wassertropfen oder Schmutz – die nötige Haftungsfläche, weshalb sie rückstandslos wieder entfernt werden können. Die Bleche und Innenverkleidungen vieler Backöfen werden seit Jahren mit keramischen Nanopartikeln behandelt.

Ein anderes Beispiel für die Verwendung von «smart materials» liefert Ilford. Da der Vormarsch der Digitalkameras das angestammte Fotofilmgeschäft bedrohte, stieg der Konzern in die Entwicklung eines hochauflösenden Papiers für Tintenstrahlausdrucke ein. Das neue Papier wird mit einem Nanopulver aus oxidiertem Metall beschichtet. «Für Beschichtungstechnologien besteht ein Riesenpotenzial», sagt Heinrich Hofmann, Materialwissenschaftler von der ETH Lausanne. Hofmann gilt als Koryphäe im Bereich der Nanopulvertechnologie. Er war einer der wissenschaftlichen Begleiter des Ilford-Projektes und arbeitet mit etlichen Schweizer Jungfirmen zusammen, die metallische oder keramische Nanopulver für die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren nutzen.

Einer dieser Gründer ist der Werkstofftechnologe Michael Dvorak. Mit seiner Dvorak Advanced Coating Systems (DACS) entwickelt er ein Verfahren zur Herstellung und Applikation von Kunststoffbeschichtungen, die durch Zugabe von keramischen Nanopartikeln ganz bestimmte mechanische oder elektrische Eigenschaften erhalten. Zielmarkt ist momentan die Druck- und Papierindustrie. Dvorak hat ein mit Nanopartikeln angereichertes Polymer entwickelt, das die riesigen Druckwalzen einerseits gegen Verschleiss schützt und anderseits gegen elektromagnetische Strahlungen abschirmt. «Mit unserer Technologie können wir der Industrie Millionen von Franken ersparen», versichert der gebürtige Deutsche, dessen Firma auf dem Gelände der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt (Empa) in Thun einquartiert ist.

Ende Jahr will der Einzelunternehmer Dvorak, der mit zahllosen KMUs aus dem Raum Bern zusammenarbeitet, den Prototyp vorweisen können. Unterdessen lebt er von Engineering-Aufträgen und prüft verschiedene Vertriebsmodelle für sein System. Einfach, das weiss Dvorak, wird der Markteintritt nicht werden: «Die Industrie ist eher konservativ.»

Leichter haben es da Firmen wie der Novartis-Spin-off Zeptosens, der die Nanotechnologie ausschliesslich für die Verbesserung von bewährten Produkten nutzt. Die Zeptosens entwickelt einen Gen-Mikroarray, der es erlauben soll, «schnellere und genauere Aussagen über Wirkung und Nebenwirkung von potenziellen Medikamenten zu erhalten», meint Zeptosens-CEO Markus Ehrat. Die Rechte an der Basistechnologie, an deren Entwicklung Ehrat und seine Mitgründer massgeblich beteiligt waren, liegen bei der Novartis. Die Zeptosens besitzt jedoch die weltweite Exklusivlizenz für den Einsatz in bestimmten Bereichen. Zudem hat sie den Mikroarray jetzt laufend optimiert – mit Hilfe von viel nanotechnologischem Know-how in den Bereichen Physik, Chemie und Biologie. «Wir arbeiten heute mit DNA-Sequenzen und Proteinen in der Grössenordnung von 5 bis 20 Nanometern und können bis zu 1000 verschiedene Gen- oder Proteinsequenzen auf einem Mikroarray unterbringen», erklärt Ehrat.

Im Jahr 2001 dürften die optischen Detektionssysteme und die Mikroarrays der Zeptosens marktreif sein. Das Potenzial der Mikroarrays schätzt der ETH-Chemiker Ehrat bis in drei Jahren auf rund vier Milliarden Dollar. Mit dieser Schätzung liegt er auf einer Linie mit etlichen internationalen Studien, die der Mikrosystemtechnik (MST) schon in naher Zukunft den Eintritt in die Massenmärkte voraussagen. Gary Martini, Geschäftsführer der Schweizer Association for the application and promotion of electronic technologies (APTE) sieht die MST sogar bereits am Abheben: «Im Automobilbau und der Medizinaltechnik ist die Mikrosystemtechnik bereits gross im Trend.» Wenig erstaunlich daher, dass die Zeptosens bereits zwei erfolgreiche Finanzierungsrunden durchziehen konnte. Allein im vergangenen Dezember haben die Basler 14 Millionen Franken generiert, für Mitte 2002 ist eine dritte Runde geplant.

Bis auch reine Nanotechfirmen Risikokapital in solcher Grössenordnung anziehen, dürfte es noch einige Jahre dauern. Gary Martini, der auch als Berater von Venture-Capital-Gesellschaften agiert, glaubt jedoch zu erkennen, dass das Investoreninteresse für diese Technologie langsam erwacht. Er verweist auf eine Kooperation zwischen APTE und dem Schweizer Ableger von First Tuesday: Die beiden Organisationen planen, ab diesem Herbst regelmässige Treffen für nanotechnologisch interessierte Investoren und Unternehmer durchzuführen. Die erste Veranstaltung wird am 4. September stattfinden. Martini und die First-Tuesday-Verantwortlichen rechnen mit bis zu 300 Besuchern.
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