Sie haben Kinder oder Enkel im schulpflichtigen Alter? Und Sie wundern sich manchmal darüber, dass diese mehr oder weniger den genau gleichen Stoff auf die mehr oder weniger genau gleiche Art und Weise vermittelt bekommen wie einst Sie? Und Sie fragen sich, ob dieses Rüstzeug für eine gedeihliche Zukunft in einer digitalisierten Welt reicht? Willkommen im Club.

Bildung ist entscheidend für die Entwicklung der Persönlichkeit und der beruflichen Chancen. Dass sich im Zug der Digitalisierung vieles bereits von Grund auf geändert hat, steht ausser Frage: In vielen Industrien und Ländern wird heute händeringend nach Personal für Jobs gesucht, die es vor zehn oder sogar fünf Jahren noch nicht gab. In der Einleitung zum World-Economic-Forum-Report «The Future of Jobs» heisst es denn auch: «65 Prozent der Kinder, die nun in die Primarschule kommen, werden in einem Beruf landen, den es heute noch nicht gibt.»

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Die Schule soll Kinder auf die Zukunft vorbereiten. Darüber, welche Fähigkeiten in 10 oder 20 Jahren gebraucht und nachgefragt werden, kann in Anbetracht der Tatsache, dass die Berufswelt von Bits und Bytes, künstlicher Intelligenz, Algorithmen, Virtual Reality etc. durchgeschüttelt wird, nur spekuliert werden. Als gewiss gilt, dass Kommunikation, Informatik und Medien eine zentrale Rolle spielen werden. «Medien und Informatik» bilden im Lehrplan 21 ein gemeinsames Modul. Doch wie weit soll das gehen?

Grundlage für die Welt von Morgen

Einige Politiker und unzählige Wirtschaftskapitäne fordern schon seit längerem, Kids mit Programmieren ebenso vertraut zu machen wie mit dem Abc und dem Einmaleins – und zwar vom ersten Tag an: Zu einer zukunftsfähigen Bildung gehören neben klassischen Fertigkeiten wie Lesen und Rechnen auch Kenntnisse aktueller Technologien. «War im 19. Jahrhundert die Mathematik eine wichtige Voraussetzung für die Industrialisierung der Schweiz, so ist es heute wichtig, dass Schülerinnen und Schüler über grundlegende Informatikkompetenzen verfügen», sagt Martin Vetterli, Präsident der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL).

Zu einer zukunftsfähigen Bildung gehören neben klassischen Fertigkeiten wie Lesen und Rechnen auch Kenntnisse aktueller Technologien.

Am diesjährigen World Economic Forum hat Vetterli nun einen Stein in diese Richtung ins Rollen gebracht: Er hat die Idee geliefert für die nächste Initiative von Digitalswitzerland. Am diesjährigen 2. Schweizer Digitaltag, der am 25. Oktober stattfindet, will die Veranstalterin Digitalswitzerland dem Unbehagen, dass Kinder mehr rückwärts- denn vorwärtsgerichtet geschult werden, die Spitze brechen. An einer Pressekonferenz wird Marc Walder, Vater von zwei Töchtern, CEO von Ringier und treibende Kraft hinter der Standortinitiative, ankündigen: «Wir wollen möglichst viele Schulen mit möglichst vielen Thymios versorgen.

10 years old boy at coding class. Boy is sitting by the desk and using laptop, coding and taking notes. He is focus on his work. Kids in background sitting and coding.

Seit Längerem wird gefordert, Kinder mit Programmieren ebenso vertraut zu machen wie mit dem Abc und dem Einmaleins.

Quelle: vgajic

Thymio ist ein kleiner Roboter. Er sieht aus wie die Miniatur eines mit Sensoren ausgestatteten autonomen Staubsaugers. Die Hardware entwickelt haben die Gruppe Mobots der EPFL und die Lausanner Kunstschule ECAL. Die Software ist in Kooperation mit dem Autonomous Systems Lab der ETH Zürich entstanden.

Herausgekommen ist ein kleines Gerät, mit dem sich erforschen und nachvollziehen lässt, wie digitale Technik funktioniert. Das grosse Plus von Thymio: Es steckt so viel Brainpower in dem Gerät, dass der Roboter einfach zu verstehen, zu benutzen und zu programmieren ist. Schon Kindergärtler können mit der Wenn-dann-Logik von Robotern experimentieren und Thymio steuern. Zudem: Das Gerät verspricht Aha-Erlebnisse und Erkenntnisgewinne bis zum Ende der Schulzeit, denn es wächst mit dem Know-how und den Fähigkeiten der Kids.

«Maschinen wie Thymio bereiten die Kinder auf die Digitalisierung vor.»

Martin Vetterli, Präsident der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL)

«Kinder müssen lernen, sich Probleme methodisch so zurechtzulegen, dass sie nach bestimmten formalen Vorgaben auch mit einem Computer gelöst werden können», sagt Vetterli. An der EPFL heisst das Fach Computational Thinking, Vetterli will eine stufengerechte Variante davon bereits im Unterricht in der Grundausbildung. Als Präsident der EPFL ist er quasi der Vater von Thymio – und dessen prominenter Botschafter: «Maschinen wie Thymio bereiten die Kinder auf die Digitalisierung vor.»

Millionenprojekt

Der Lernroboter wird von der Non-Profit-Organisation Mobsya hergestellt und via Händler wie Galaxus.ch verkauft. Gemäss eigenen Angaben sind bislang rund 35 000 Thymios ausgeliefert worden, grösstenteils in der Schweiz und in Frankreich – und grösstenteils an private Kunden.

Noch ist es reine Glückssache, ob ein Kind in der Schule den Umgang mit Technologie lernt.

Noch ist es reine Glückssache, ob ein Kind in der Schule den Umgang mit Technologie lernt, abhängig von Lehrern mit Interesse und Affinität für Digitales – und der Lust und dem Sendungsbewusstsein, dies an die Kids weiterzugeben. Wer mit Thymio arbeiten will, kann sich darauf ausbilden lassen. Laut EPFL haben bislang über 1000 Primarschulkräfte davon Gebrauch gemacht, und es sind rund 5000 Roboter in der Schweizer Bildungslandschaft im Einsatz. «Das wollen wir massiv ausbauen», sagt Walder.

Was Marc Walder als «eine der grössten Aktionen zwischen privatem und öffentlichem Sektor im Bereich Bildung» bezeichnet, lässt sich freilich nicht von heute auf morgen realisieren und wird einiges kosten. Eine Million Franken ist allein für die Ausbildung der Pädagogen, Lehrmittel und dergleichen nötig. Dieses Budget hat der ETH-Rat unter Federführung von Fritz Schiesser, Lino Guzzella und Martin Vetterli bereits bewilligt. Ist die erste Phase durch, werden Thymios gekauft und an die Schulen verteilt.

Die Roboter werden über ein Funding bei Unternehmen und Kantonen finanziert. Gestartet wird mit dem Pilotprojekt «Alpenkonzept». Seinen Namen hat das Vorhaben daher, dass die ersten Kantone, die «thymiosiert» werden, bergig sind: Uri, Schwyz, Luzern, das Tessin und das Wallis. Erfüllen sich die Erwartungen seiner Initianten, wird Thymio in den dortigen Schulzimmern den Unterricht umkrempeln – und so aufs ganze Land ausstrahlen.

Iris Kuhn Spogat
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