Auf dem Wasser fühlt er sich wohl. Samih Sawiris sitzt zurückgelehnt auf der Lederbank im Oberdeck seiner 12 Millionen Franken teuren Yacht. Den Anker hat er rund 16 Seemeilen vor der Küste der ägyptischen Feriendestination El Gouna im Roten Meer ausgeworfen. Mit an Bord: Vater Onsi, Tochter Taya, Orascom-Chef Khaled Bichara und einige Journalisten.

Im Gespräch gibt sich der ägyptische Geschäftsmann und Vater von Neu-Andermatt gelassen. Als Meister im Self-Marketing verkauft er sich als Sunnyboy, immer freundlich, charmant, locker, optimistisch. Er spricht offen über sein Verhältnis zu Gott – Sawiris gehört der koptischen Minderheit an. Er äussert sich pointiert zur Politik im Nahen Osten, kritische Bemerkungen quittiert er mit einem Lächeln.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Es gibt aber ein Thema, bei dem seine Gelassenheit schnell der Unruhe weicht – die Muslimbrüder. Sie sind der politische Albtraum der Familie Sawiris. Nach der ägyptischen Revolution 2011 fuhren sie eine Kampagne gegen den schwerreichen Clan. Vater Onsi Sawiris und Bruder Nassef Sawiris hängten sie ein Steuerdelikt an. Sie erliessen Reiseverbote und forderten Milliarden ein. Samih Sawiris sollte enteignet werden. 2013 putschte das Militär die Muslimbrüder weg, seither regiert Präsident Sisi. Sawiris ist überzeugt, dass Europa und Amerika in einer orchestrierten Aktion versuchen, die Muslimbrüder wieder an die Macht zu bringen. Der Schweizer Botschafter in Kairo bezeichnet das als Verschwörungstheorie.

 

Vorsicht als oberstes Gebot

Diese Episode ist bezeichnend für den Ägypter. Gegen aussen gibt er sich gelassen. Tatsächlich ist er immer auf der Hut. Er weiss, was es heisst, in politischer Instabilität zu leben. In seiner Kindheit hat er miterlebt, wie sein Vater zunächst von Ägyptens Präsident Nasser und dann von Libyens Diktator Gaddafi enteignet wurde. In seinen Berliner Studienjahren wurde er mit der ideologischen Teilung von Ost und West, Kommunismus und Kapitalismus konfrontiert.

Als er Anfang der 1980er-Jahre nach Ägypten zurückkehrte, töteten Islamisten den Nachfolger von Präsident Nasser. In den folgenden Jahren mehrten sich die Übergriffe auf Angehörige der koptischen Minderheit. Unter Hosni Mubarak blieb die Situation verhältnismässig ruhig. Dann kam die ägyptische Revolution. Um zu verhindern, dass die ägyptischen Behörden ihm den Pass wegnehmen und ihn damit zum Gefangenen im eigenen Land machen, beantragte er die montenegrinische Staatsbürgerschaft. Den Orascom-Firmensitz hatte Sawiris in der Zwischenzeit von Kairo nach Altdorf verlegt.

Weil Sawiris nur politische Unsicherheit kennt, traut er keiner Regierung. Er will, dass alle Fäden bei ihm zusammenlaufen. Das zeigt sich an seinem Vorzeigeprojekt El Gouna. Knapp 20 Kilometer nördlich von Hurghada hat der ägyptische Investor innert 26 Jahren ein Luxustourismusdorf aus dem Wüstenboden gestampft. Wo einst Sand und Stein waren, ist nun ein regelrechter Stadtstaat, kontrolliert von der Firma Orascom. 37 Millionen Quadratmeter gross ist das Grundstück am Roten Meer – das entspricht ungefähr der Fläche der Stadt St. Gallen.

Zum Bauen bereit: Der Aegyptische Investor Samih Sawiris vor dem zu ueberbauenden Gelaende in Andermatt. Fotografiert am 8. Juni 2011. (KEYSTONE/Karl-Heinz Hug)

Samih Sawiris: Zum Bauen bereit.

Quelle: Karl-Heinz Hug

Ein Drittel ist bereits verbaut. 18 Hotels bieten 2700 Zimmer. 1100 davon sind Fünf-Sterne-Zimmer. 30 Prozent der Gäste stammen aus Ägypten, 40 Prozent aus Deutschland, nur 2 Prozent aus der Schweiz. 24 000 Personen leben im Städtchen, unter ihnen auch Schweizer Eminenz. Hans Leu, der mit der Tessiner Luxusherberge Giardino einst zum Hotelier des Jahres gekürt wurde, hat sich hier, wo die Sonne jeden Tag scheint, ein Altersnest eingerichtet. Die Stadt zählt 100 Restaurants, Bars und Cafés. Ein 18-Loch-Golfplatz ist vollendet, ein zweiter in Planung. Drei Yachthäfen bieten Platz für 380 Boote. Es gibt diverse Schulen, ein Krankenhaus, eine Bibliothek, ein Fussballstadion und eine Universität.

El Gouna: Stadtstaat am Roten Meer

Ohne die Firma Orascom geht nichts. Sie kontrolliert genau, wer wo welches Geschäft eröffnet. Die Gewerbetreibenden müssen dem Unternehmen Miete entrichten, wobei sich Orascom kulant zeigt. In Zeiten wie diesen, wo zahlreiche Gäste das Land meiden und der Tourismus in der grössten Krise aller Zeiten ist, kommt es vor, dass die lokalen Unternehmer weniger Miete zahlen. Sawiris verlangt nur einen Viertel dessen, was ihm vertraglich eigentlich zustünde. Im Gegenzug müssen die Unternehmer ihr Restaurant, Café oder ihre Tauchschule offen halten. Der Patron sorgt so dafür, dass die Stadt am Leben bleibt, wenn die Geldströme der Touristen knapper werden. Er will verhindern, dass sein Vorzeigeprojekt in eine Negativspirale gerät, in deren Sog ein Unternehmen nach dem anderen pleiteginge.

Es gibt drei Zugänge zum Orascom-Stadtstaat – einen für Touristen, einen zur Anlieferung von Gütern und einen für die ägyptischen Arbeiter. Einwohner der Stadt bezahlen eine Servicegebühr statt Steuern. Geführt wird das Feriendorf von einem Generaldirektor statt von einem Stadtpräsidenten. Für das Abfallmanagement der Stadt sind keine hoheitlichen Behörden zuständig, sondern eine Tochterfirma von Orascom. Für die Sicherheit sorgen über 400 eigens dafür ausgebildete Personen – angestellt von Orascom statt vom Staat. Sie sind unbewaffnet.

Einzig die offizielle Tourismuspolizei Ägyptens trägt Waffen. Von dieser gibt es aber nur eine Handvoll im ganzen Lagunenstädtchen. Damit es zu keinem Zwischenfall kommt, setzt Sawiris auf Informanten, wie er beiläufig erzählt. Angestellte von Hotels und Restaurants informierten Orascom darüber, wenn jemand Anzeichen überzogener Religiosität zeige.

Blaupause für Andermatt

El Gouna: Das ist in gewisser Weise die Blaupause für Neu-Andermatt. Als Sawiris im Februar 2005 das erste Mal im Urserental am Fusse des Gotthardmassivs war, begeisterte ihn das touristische Potenzial, das dieser Flecken Land bietet. Er liess sich am Flughafen Zürich von einem Wagen abholen. Vom Rollfeld ging es direkt nach Andermatt. Sawiris überflog die Region mit dem Helikopter und liess sich anschliessend zum Flughafen Mailand chauffieren. Mit dabei waren der damalige Sicherheitsdirektor Josef Dittli, der Ex-Skistar Bernhard Russi und der PR-Mann Franz Egle. Russi und Egle sind noch heute im Verwaltungsrat von Swiss Andermatt Alps, die das Projekt in Andermatt verantwortet.

Nach der kleinen Tour de Suisse war für Sawiris klar, dass sein in Ägypten so erfolgreiches Geschäftsmodell auch für die Entwicklung von Andermatt taugt. Sawiris geht immer nach dem gleichen Muster vor: Er sichert sich grosse Mengen Land an einem Ort, wo sonst niemand sein will, denn dort kriegt er es fast kostenlos. Sawiris stellt nur eine Bedingung: Die Region muss gut zu erreichen sein, ein Flughafen in unmittelbarer Nähe ist Pflicht. Dann baut der Ägypter Stück für Stück Häuser, Hotels, Freizeitanlagen und entwickelt eine quasi autonome Feriendestination. Mit jedem Ausbauschritt steigt der Grundstückpreis. Was einst billig war, ist jetzt teuer. Theoretisch könne man ein solches Projekt auch mit einem einzigen Dollar durchziehen, soll Sawiris einst dem Ex-Goldman-Sachs-Chef Jon Corzine erzählt haben. Dieser verpasste ihm anschliessend den Übernamen «One-Dollar-Man».

The Chedi, five star superior hotel, by investor Samih Sawiri, Andermatt, Uri, Switzerland, Europe . (KEYSTONE/ROBERT HARDING/)

The Chedi: Eröffnet 2013.

Quelle: Karl Thomas

In Andermatt stand seinerzeit genügend brach liegendes Gelände zur Verfügung, um ein eigenes Reich zu errichten. Das Urserental war touristisches Niemandsland, ein Dritt-Liga-Ort. Die Bevölkerung lebte jahrzehntelang von den Einkünften aus den hier stationierten Militärangehörigen. Dann entschied der Bund, den Bestand der Armee um zwei Drittel zu reduzieren. Andermatt, ein wichtiger Standort für die Infanterie und Gebirgsspezialisten, traf es besonders hart. Der Ort drohte in die Bedeutungslosigkeit abzurutschen. Die Region fürchtete um die Existenz. Für einen Bruchteil dessen, was Bauland sonst kostet, konnte Sawiris deshalb 1,4 Millionen Quadratmeter Land erwerben.

Das seinerzeit einzige Hotel – das Bellevue – ist mittlerweile abgerissen. Auf dessen Grund steht heute das The Chedi – ein Fünf-Sterne-Deluxe-Haus, das jüngst vom Gastroführer Gault-Millau zum «Hotel des Jahres 2017» gekürt wurde. Ein zweites Hotel ist im Bau, es soll Ende 2017 fertig werden und 2018 in Betrieb gehen. Wer der Betreiber sein wird, ist noch nicht ganz klar. «Wir sind in der letzten Verhandlungsphase», sagt Sawiris. Die Hotelkette Radisson Blu habe die besten Karten. In der Branche werden aber auch andere Namen herumgereicht. Die US-amerikanische Wyndham Group soll angeklopft haben. «Es kann sein, dass der Deal nicht zustande kommt», sagt auch Sawiris. Der Streitpunkt: Geld. «Wir haben uns noch nicht gefunden», so der Chef von Neu-Andermatt.

Vier weitere Hotels sind geplant. Dazu kommen ein Sportzentrum mit Hallenbad und Wellnessbereich, mehrere Mehrfamilienhäuser und luxuriöse Chalets. Für Sommergäste gibt es seit Juli 2016 auch einen 18-Loch-Golfplatz. Das ganze Investitionsvolumen beläuft sich auf fast 2 Milliarden Franken. 500 Millionen Franken hat Sawiris bereits aus eigener Tasche investiert.

Kontrolle statt Wettbewerb

Die Vision von Sawiris sieht einen Ganzjahresbetrieb vor. Der Schlüssel zum Erfolg ist die Kontrolle über den Tourismusort. Hotels, Bergbahnen, das lokale Gewerbe und Sportstätten müssen aufeinander abgestimmt sein. Die Bergbahnen sollen nicht nur dann fahren, wenn sich der Betrieb lohnt. Sondern dann, wenn die Hoteliers die Bergbahnen benötigen, um Gäste anzulocken. Die Skilifte mögen damit ein Minus erwirtschaften, der Hotelier allerdings nimmt Geld ein. Unterm Strich soll das Plus höher sein als das Minus. Dasselbe gilt für die Geschäfte in Neu-Andermatt und für die Sportstätten.

Eine derartige Mischrechnung geht natürlich nur auf, wenn ein einziger Akteur dahinter steckt, der die Fäden zieht und im Streitfall ein Machtwort spricht. Das ist Samih Sawiris. Wenn nicht alle Akteure in einem Tourismusort an einem Strang ziehen, dann resultiere «Kakophonie», ist der Ägypter überzeugt. «Das wäre wie ein Orchester, in dem jeder spielen kann, was er will.»

Das Hotel Chedi, Mitte, im Dorf von Andermatt und das Urserental mit dem Golfplatz des Ressorts Andermatt Swiss Alps am Montag, 21. Oktober 2013. Das Hotel Chedi soll als erstes Hotel des Ressorts im Dezember eroeffnen.(KEYSTONE/Sigi Tischler)

Blick über Andermatt 2013: Noch zahlreiche Baustellen offen.

Quelle: Keystone

Für den Erfolg der Ganzjahresdestination Andermatt sei überdies entscheidend, dass eine Reise als Ganzes zum Erlebnis werde. «Die Leute gehen immer weniger nur zum Skifahren oder nur zum Wandern in die Berge. Sie suchen etwas Spezielles, ein Package aus Wellness, Shopping, Sport, Kultur und Kulinarischem.» Um das Image des Bergdorfes zu bewahren, setzt er auf Authentizität vom Reissbrett. Über 30 Architekten werkeln an der Bergidylle. Ein McDonald's oder ein Starbucks wird nie auf Sawiris' Gelände entstehen – so wie auch in El Gouna keine Fast-Food-Ketten erlaubt sind, um den ägyptischen Charme zu bewahren.

Wider ein Tourismusghetto

Selbst den Gästemix möchte Sawiris beeinflussen – mit unterschiedlichen Hotels, die sich unterschiedlich positionieren. Die Marke Andermatt will er nicht mit einer Dachkampagne weltweit vermarkten, sondern in jedem Land eine spezifische Kundengruppe ansprechen. Das Ziel dieser Aktion ist es, einem Tourismusghetto entgegenzuwirken. Andermatt soll nicht zur Destination verkommen, wo sich ausschliesslich reiche Chinesen, Deutsche oder Schweizer tummeln. Oder vermögende Araber.

Tatsächlich gehört Sawiris zu jenen Touristik-Unternehmern, die ein Verbot der Vollverschleierung befürworten. Er begründet dies mit der Kultur in der Schweiz. Und mit Sicherheitsbedenken: «Mit einem Kopftuch kann ich noch leben, obschon ich es auch ablehne. Die Burka aber ist eine saudische Erfindung, um die Frauen aus dem Leben der Gesellschaft zu entfernen. Das ist nicht akzeptabel. Und in der heutigen Zeit, wo wir so viele gefährliche Menschen unter uns haben, geht es nicht, dass jemand mit einem Niqab oder einer Burka herumlaufen kann.»

Derartige Aussagen sind brisant für einen Unternehmer, der einen Grossteil des Umsatzes in einem muslimischen Land erwirtschaftet. Als Samih Sawiris' Bruder Naguib vor neun Jahren sagte, er fühle sich wie in Iran, weil immer mehr Frauen das Kopftuch in Ägypten trügen, forderte ein islamischer Geistlicher einen Boykott aller Firmen, die zum koptischen Sawiris-Imperium gehörten. Samih Sawiris gibt aber auch in dieser Sache den Sunnyboy. Dass er, Andermatt oder andere Orascom-Destinationen deswegen ins Visier von Fanatikern geraten, sei unwahrscheinlich. Sawiris setzt sein typisches Lächeln auf – und sagt: «Wir sind Geschäftsleute, keine Gegner des Islam.»