Die Schweiz ist wirtschaftlich stärker mit dem EU-Binnenmarkt verwoben als die meisten EU-Mitgliedstaaten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der deutschen Universität Göttingen. Nur Belgien und Irland waren 2012 in Europa ökonomisch besser vernetzt als die Schweiz.

«Kleinere Länder sind zwar grundsätzlich stärker mit den Nachbarländern verflochten als grosse», sagte Co-Studienautor Jörg König auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda. Doch die Schweiz habe auch kleine EU-Mitglieder wie Österreich, Dänemark und die Niederlande klar geschlagen.

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Seit 2004 Verpflechtung stark angestiegen

Seit 2004 sei die Verflechtung der Schweiz mit dem EU-Raum zudem stark angestiegen, sagte König, der zusammen mit der Wirtschaftsprofessorin Renate Ohr einen EU-Integrationsindex erstellt und diesen für einen Bericht der «Neuen Zürcher Zeitung» von Dienstag um die Schweiz erweitert hatte. Als Grund für die enge Verflechtung nannte er die hohe Einwanderung von europäischen Arbeitskräften. Zudem sei die Schweiz beim Handel mit Dienstleistungen sowie bei den Direktinvestitionen besonders stark mit dem EU-Raum verwoben. Beim Warenhandel hingegen liege sie im EU-Durchschnitt, sagte der Ökonom weiter.

Positive Abweichung bei Staatsschulden

Nebst der Binnenmarktverflechtung verglichen die Forscher in einer weiteren Rangliste, wie stark wirtschaftliche Kennzahlen wie das Pro-Kopf-Einkommen, die Arbeitskosten, die Staatsverschuldung und die Steuern übereinstimmten. Bei diesem sogenannten Konvergenz-Index fiel die Schweiz unter den 25 untersuchten Staaten vom 19. Rang im Jahr 2004 auf den 22. Rang im Jahr 2012 zurück.

Dieses Abrutschen sei aber aus Sicht der Schweiz nicht negativ zu beurteilen, sagte König. «Wegen der Finanzkrise haben sich die Kennzahlen der Schweiz positiver entwickelt als der EU-Durchschnitt.» So sei etwa das Preisniveau stabil geblieben und auch die Staatsschulden habe man im Griff gehabt.

Personenfreizügigkeit als «Temporärbüro»

Wegen der im Februar angenommenen SVP-Zuwanderungsinitiative bestehe nun die Gefahr, dass die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und der EU beeinträchtigt werden, sagte König. Insbesondere die dadurch entstandenen Unsicherheiten könnten sich als Problem für die Unternehmen erweisen.

Ökonomen der beiden Schweizer Grossbanken bestätigen König in diesem Punkt. «Die Schweiz ist für ausländische Konzerne wegen der Unsicherheiten weniger interessant geworden», sagte Daniel Kalt, Chefökonom von UBS Schweiz, auf Anfrage. Als Folge investierten die Firmen nun vermehrt anderswo.

Als äusserst wichtig für die Schweizer Wirtschaft schätzt er die durch den Abstimmungsentscheid gefährdete Personenfreizügigkeit mit der EU ein. «Die Personenfreizügigkeit funktionierte bisher wie ein grosses Temporärbüro», sagte Kalt. Bei Bedarf stelle die Wirtschaft die passenden Arbeitskräfte ein.

«Fachkräftemangel könnte sich verschärfen»

«Insbesondere der Fachkräftemangel könnte sich bei einer Systemänderung verschärfen», sagte Kalt. Wegen der zunehmenden Alterung der Bevölkerung und der hohen Erwerbsquote würden die Unternehmen auch in Zukunft zu wenig qualifiziertes Personal im Inland finden. Es brauche dabei nicht nur den deutschen Arzt, sondern auch die Krankenschwester und das Putzpersonal, ergänzte CS-Ökonom Claude Maurer. «Jedes dritte Unternehmen hat bereits heute Mühe, die passenden Leute für offene Stellen zu finden.»

Dienstleistungen nur indirekt betroffen

Sollten die bilateralen Verträge wegen der Guillotine-Klausel gesamthaft wegfallen, wäre zwar der Freihandel mit der EU nicht gefährdet, erklärte Maurer weiter. Dennoch wären die Folgen wegen des Abkommens über technische Handelshemmnisse unangenehm. «Viele Schweizer Produkte wären dann nicht mehr automatisch in der EU zugelassen.» Bei Dienstleistungen wie Finanzprodukte und Serviceleistungen der Industrie wären die Folgen nicht unmittelbar spürbar. Aber: «Der erwünschte Ausbau der Bilateralen Verträge auf dieses Handelssegment wäre dann wohl vom Tisch.»

Dennoch habe die Schweiz auch bei einem Wegfall der Bilateralen weiterhin Trümpfe vorzuweisen. «Bei der Staatsverschuldung, Zinsen und Steuern steht die Schweiz gegenüber der EU sehr gut da», sagte Maurer.

(sda/ccr)