Die Räume sind schmucklos, die Arbeitsplätze spartanisch eingerichtet. Ein paar PC mit Verbindung zum Netz. Das reicht. Gearbeitet wird hart, bis spät in die Nacht. Mitten im Industriegebiet von Dübendorf symbolisiert ein grosses rotes @ die Welt der neuen Wirtschaft. Das @ steht für Accelerator, den E-Commerce-Beschleuniger von McKinsey. Start-ups sollen von null auf hundert beschleunigt werden. Marktfähig werden und eines Tages satte Gewinne abwerfen. McKinsey übernimmt die Rolle des Katalysators: Viel versprechende Geschäftsideen werden hier mit Kapital und strategischer Kompetenz vermengt, auf welche die Firma dank ihrem weltweiten Netzwerk jederzeit zugreifen kann.

Nicht ohne Eigennutz, versteht sich, Shares for Equity (Aktienpakete gegen Kapital) heisst der Deal. Insgesamt ein explosives Gemisch, und in welche Richtung eine Detonation verlaufen könnte, ist offen. McKinsey-Chef Thomas Knecht weiss selber: «Erhebungen in den USA haben gezeigt, dass in den letzten vier Jahren nur zehn bis zwanzig Prozent der Start-ups überlebten.»

Ob die Accelerator-Idee für McKinsey greift, ist ebenso offen. Denn auch die Konkurrenz schläft nicht: Andersen Consulting will im New Business Tempo machen. Das im Februar mit Microsoft gegründete Joint Venture «Avanade», welches IT-Dienstleistungen auf Basis der Windows-2000-Plattform anbietet, soll noch dieses Jahr an die Börse. In einem zweiten Schritt investiert Andersen Consulting unter der Bezeichnung AC-Ventures in den kommenden drei Jahren über eine Milliarde Dollar in junge Internetfirmen in Form von Beratungsleistungen. Im Gegenzug will die Beraterfirma Beteiligungen an den Start-ups erwerben.

Koordiniert werden die entsprechenden Aktivitäten weltweit durch 22 so genannte Dotcom-Launch-Centers. Ziel dieser Initiative sei es, so Ralf Naef, internationaler Partner bei Andersen Consulting, die Zeitspanne von der Gründung über das Erwirtschaften der ersten Gewinne bis zu einer erfolgreichen Börseneinführung drastisch zu verkürzen. Über die Vernetzung mit den Dotcom-Niederlassungen soll sichergestellt werden, dass bei der rasanten Entwicklung im Internet keine wichtigen Trends mehr verpasst werden.

Accelerators, Dotcoms, eVolution von Bain, aber auch der jüngste Zusammenschluss von Cap Gemini und Ernst & Young verdeutlichen die Entwicklung in Richtung integrierte Dienstleistungen: Strategisches Consulting, Marketing-Beratung und IT-Unterstützung können so aus einer Hand angeboten werden. Dank globaler Netzwerke verfügen die grossen Unternehmensberatungsfirmen über viele Mitarbeiter.

«Die E-Ventures sind ein wichtiges Geschäftsfeld für uns», sagt Boston-Consulting-Group-Chef Elmar Wiederin dazu. «Wir haben aus diesem Grund zusammen mit den Partnern Goldman Sachs und General Atlantic Partners die iFormation Group gegründet, die Internet-Start-ups mit Know-how und Venture-Kapital unterstützt.»Dass sich die renommierten Consultants mit mittellosen Anfängern herumschlagen, ist neu. Bislang konzentrierten sie sich lieber auf Grossunternehmen. Solche Firmen sorgten fürs nötige Image und waren auch in der Lage, die exorbitanten Honorare zu bezahlen.

Das war gestern. Mittlerweile starten Consultancy-Firmen mit Highspeed in Richtung E-Business. Doch die Gesetzmässigkeiten des Internets erfordern einen Stellungswechsel: Die seit Jahrzehnten erfolgreichen standardisierten Strategien lassen sich in einer neuen Wirtschaft nicht mehr so einfach Gewinn bringend auf Internet-Businessmodelle anwenden. Kritik wird hörbar, leise zwar und hinter vorgehaltener Hand. Denn: Unterschätzt werde bei der Beratung der Faktor Zeit, sagen ein Konzernleitungsmitglied, selber ehemaliger Unternehmensberater, und der Finanzchef einer Schweizer Bank unabhängig voneinander: «Die Strategien der Berater greifen nicht, weil sie im schnelllebigen E-Commerce-Bereich zu langfristig angelegt werden.»

Grosse mit geringem Marktanteil
Die mässige Umsetzung der strategischen Ratschläge hoch geachteter Consultants im Internetgeschäft will keiner so richtig offen bestätigen. Viele CEO haben sich gerade bei grossen Unternehmensberatungen die Sporen verdient. Hinzu kommt, dass manche Berater ihren Einfluss bis in die oberste Entscheidungsebene grosser Firmen geltend machen. Mit überlauter Kritik mag man sich da die intime Zusammenarbeit nicht verbauen.

Wie gering aber das Vertrauen im E-Business in die renommierte Consultant-Branche teilweise ist, brachte kürzlich eine Studie des Internet-Marktforschungsinstituts Forit zu Tage: Von 300 Firmen in der Schweiz und in Deutschland – darunter 70 Unternehmen, die intensiv externe Berater für E-Commerce-Projekte nutzen – ziehen gerade mal sechs Prozent klassische Consultants zu Rate. Die restlichen 94 Prozent lassen die strategischen Pläne lieber von Webdesign-Agenturen, Internet-Service-Providern, IT-Beratern oder Softwareunternehmen aushecken.

Für Christian Nolterieke, Projektleiter der Forit-Studie, kommt dieses Resultat nicht überraschend. «Im stark wachsenden Internet-Business sind die klassischen Unternehmensberater oft nicht in der Lage, Kundenwünsche optimal zu befriedigen. Nur eine Hand voll Unternehmensberater kann heute glaubhaft auf technische und Designkompetenz verweisen. Ihre Kunden fordern indes beides: strategischen Weitblick und technologisches Wissen.»

Das Bedürfnis nach externer Beratung ist enorm. Doch ob sich die Gewinne im E-Commerce in den nächsten Jahren so viel versprechend entwickeln, wie gerne geglaubt wird, steht in den Sternen. Niemand ist in der Lage, einigermassen realistische Prognosen im Internetgeschäft zu stellen. Selbst renommierte Marktforschungsinstitute können sich kaum auf eine allgemeingültige Prognose einigen. Während Gartner Group Ende letzten Jahres noch verlauten liess, dass E-Commerce völlig überschätzt werde, und prognostizierte, dass 75 Prozent der Internetfirmen durchs Netz fallen, errechnete Forrester Research diesen Frühling weltweit dreistellige Zuwachsraten.

Neben widersprüchlichen Analysen, die fast wöchentlich erscheinen, belegen prominente Konkurse von Internetfirmen die bittere Realität. Stars wie der Musikanbieter CDNow oder der Webhändler Value America kämpfen ums nackte Überleben. Das britische Modekaufhaus Boo.com erklärte letzten Monat seine Zahlungsunfähigkeit. Boo.com hat es nicht geschafft, schnell genug Kunden zu gewinnen, um die hohen Anfangskosten zu decken. Laut Forrester müssten E-Commerce-Firmen ihre Kundenzahl jährlich um 50 Prozent steigern, wollten sie im Geschäft bleiben.

Im E-Business verliert das prinzip hoffnung an Zugkraft
Ob der Schweizer Internetladen Net-tissimo.com, ein Joint Venture der Bon-appétit-Gruppe und Artificial Life, wird bestehen können, ist mehr als fraglich. Im letzten Sommer erklärte Geschäftsführer Roland Berger, Net-tissimo.com werde bis Ende 1999 100 000 eingetragene Benutzer zählen. Noch vor zwei Monaten wies das ehrgeizige, technisch komplexe Webprojekt indes gerade mal 14 000 registrierte User auf. Doch Berger glaubt nach wie vor an den Erfolg: «Bis in drei Jahren werden wir in der Gewinnzone sein.»

Nicht alle teilen solche Business-Erwartungen angesichts der heutigen Nervosität im Online-Business. Internet-Postbote GMX und Coshopper Letsbuyit zogen mit Blick auf die Börsenlage ihr angekündigtes IPO zurück. Kein Wunder also, ist ob solchen Marktbewegungen guter Rat teuer, die Verunsicherung weit verbreitet. An der Börse fahren die Internetwerte Achterbahn. Der Ausleseprozess, der gute Business-Ideen von schlechten trennt, ist voll im Gang.

Unabhängig von der unsicheren Marktlage wächst aber der Bedarf an E-Commerce-Lösungen. Davon profitiert auch die Unternehmensberatung. Ein Wachstum von 25 Prozent innerhalb der letzten zwei Jahre war die Folge vom Boom in der IT-Branche. Externes Know-how für den Sprung in die Gewinnzone im Internetgeschäft wird dringend benötigt. Immerhin sind es laut Forit 80 Prozent der befragten Unternehmen, welche diese Art von Beratungsleistung suchen.

Kleine Webagenturen runden ihr Know-how geschickt ab
Doch bei wem? Nach den Analysen des Marktforschungsinstitutes Forit ist es bis heute den führenden Webdesign-Agenturen am besten gelungen, Kompetenzen in Design, Technik und Strategie zu vereinen. Geschäftskunden haben ein sehr hohes Vertrauen in die Fähigkeiten dieser zumeist jungen Unternehmen, die über den Zukauf von klassischen Managementberatungen zunehmend auch strategische Kompetenzen akquirieren. Prominentes Beispiel ist die Multimedia-Agentur Pixelpark. Sie hat kürzlich die Unternehmensberatung ZLU übernommen, die sich auf Logistik spezialisiert hat. Pixelpark-Chef Paulus Neef will mit dem Zukauf der ZLU die ganze Wertschöpfungskette wie Rechnungsstellung, Logistik und Service im E-Commerce abdecken. Da liege, so Neef, ein riesiges Potenzial für die strategische Beratung von New-Economy-Unternehmen, vor allem von Versandhäusern und Banken.

Auch kleine Unternehmen, die sich durch zugekauftes Beratungs-Know-how etablieren, konkurrenzieren die traditionellen Consultancy-Firmen. Gebi Küng von der Information Management Group (IMG) in Oerlikon glaubt denn auch, von der starken Nachfrage nach E-Business-Beratung profitieren zu können: «Die Kunden möchten Beratungsfirmen, die ein hohes Niveau an kombiniertem Branchen- und Technologie-Know-how besitzen, sie von der Strategie bis zur Umsetzung beraten und über exzellente Partner bei der Implementierung verfügen.» Solche Sätze sind nicht einfach nur dahingesagt. Immerhin will sich die Investmentbank Goldman Sachs dieses Jahr mit rund 30 Millionen Franken an der IMG beteiligen.

An Kreativität mangelt es den Kleinen nicht. Cambridge Technology Partners will im Bereich Systemintegration und New Economy mit einem neuen Pricing Kunden gewinnen. Die Beratungsleistungen sollen mittels einem Fixed-Price-/Fixed-Time-Konzept für den Kunden besser messbar werden. Der Kunde bezahlt nur, was vorher abgemacht wurde. Damit zielt Cambridge Technology Partners auf die Achillesferse der traditionellen Unternehmensberater, die ihre Rechnungen gemäss ihrem Zeitaufwand präsentieren. Immerhin wurden allein in der Schweiz im letzten Jahr rund eine Milliarde Franken an Beratungsleistungen bezahlt.

Nun brechen im New Business für die traditionellen Beraterfirmen harte Zeiten an: Sie müssen sich nicht nur gegen die stärker werdende Konkurrenz der Webdesigner und IT-Spezialisten wehren, sondern auch Marktanteile sichern. Sie haben aber noch ein ganz anderes Problem: Seit Jahren laufen ihnen die Mitarbeiter davon. Gemäss einer Studie der Kennedy Information Research Group sind es jährlich 15 bis 20 Prozent der Unternehmensberater, die ihren Job wechseln. Der Trend bei Studienabgängern, eine Anstellung bei einer Beraterfirma zu suchen und damit hohes Einkommen und Ansehen zu erlangen, habe klar nachgelassen. Immer mehr MBA-Absolventen wollen so rasch wie möglich Unternehmer in der neuen Wirtschaft werden. Risiko spiele dabei keine Rolle mehr. Das Scheitern einer Firmengründung werde heute weniger als früher mit einem Versagen verbunden. Brillante E-Berater gehen lieber zu Start-ups und hoffen bei einem schnellen Börsengang durch Aktienoptionen auf den Eintritt in den Klub der «Instant Porsche Owner» (IPO).

Berühmte Beispiele gibts wie Sand am Meer: Ruben Gonzales zog eine Aktienoption in zweistelliger Millionenhöhe beim Online-Spielzeugverkäufer Etoy einer Ernennung in den Beraterstatus bei der Boston Consulting Group (BCG) vor. Letzten Herbst schmiss George Shaheen den Job als CEO bei Andersen Consulting und fing beim Online-Krämer Webvan.com neu an. Praktisch in der gleichen Woche nahm Roger Siboni, ehemals operativer Chef bei KPMG, seinen Hut und liess sich bei einem Webanfänger auf die Lohnliste setzen.

Start-ups locken den Nachwuchs mehr als eine Consultant-Karriere
Jahresgehälter von einer halben Million Dollar und mehr sind offenbar schlechte Argumente gegen die jungen Löwen der Internetbranche, die mit Aktienoptionen in zweistelliger Millionenhöhe winken. Je kleiner die Firma und je geringer deren Substanz, desto grösser scheint die Anziehungskraft auf hoch bezahlte Unternehmensberater. Auch der Nachwuchs zeigt den Consultancy-Firmen die kalte Schulter: Waren es gemäss einer Studie von PricewaterhouseCoopers im Jahr 1995 noch knapp zwölf Prozent, so haben im letzten Jahr schon ein Drittel aller Harvard-MBA-Abgänger ihre Karriere im Hightech- oder Venture-Kapital-Bereich gestartet.

Kein Wunder also, werden McKinsey und Co. langsam nervös. Das mangelnde Vertrauen der Kunden in die Webkompetenz der Consultancy-Firmen und die Rekrutierungsprobleme beim Nachwuchs führten bei den traditionellen Unternehmensberatern zu ungewollter Aktivität. Die Fluktuation aufzuhalten und der Wunsch, die Webtauglichkeit auszubauen, haben auch KPMG veranlasst, im Februar die Technologiesparte als eigenständige Firma abzuspalten. Das neue Unternehmen KPMG Consulting soll möglichst schnell an die Börse. Mit dabei ist Netzwerkspezialist Cisco Systems, der für seinen Anteil von 19,1 Prozent bereits letztes Jahr rund eine Milliarde Dollar auf den Tresen gelegt hat.

Mit Aktienoptionen soll dann die Abwanderung hochkarätiger KPMG-E-Berater zu Internetfirmen gestoppt werden. Ein IPO stand auch aus demselben Grund für die Boston Consulting Group zur Diskussion. «Eine Fluktuation wurde auch bei uns in der Schweiz wahrgenommen», sagt Elmar Wiederin von BCG Schweiz, «doch hielt sie sich in der Schweiz in etwa die Waage mit den Zugängen. Ein Börsengang schien für uns deshalb nicht das geeignete Mittel.»

Andersen Consulting will seine Leistungsträger und langjährigen Mitarbeiter mit Fonds-Anteilen von 200 Millionen Dollar belohnen. Sie werden somit zu Anteilseignern eines firmeneigenen Risikokapitalfonds, der in Start-up-Unternehmen im E-Commerce-Bereich investiert. Ferner werden Beförderungszeiten verkürzt und die Aufstiegsmöglichkeiten zum Partner verbessert. «Die Anzahl Partner soll in diesem Jahr verdoppelt werden», sagt Andersen-Consulting-Sprecher Daniel M. Frey: «Durch solche Aktionen bleiben wir als Arbeitgeber attraktiv.»

Während die Beraterfirmen um ihren Bestand und Nachwuchs kämpfen, meldet sich aus den USA die Kehrtwende: Die Abtrünnigen krebsen wieder zu ihren angestammten Berufen zurück. Start-ups seien zu chaotisch. Zudem fühlten sich die Berater intellektuell unterfordert, schrieb die «Financial Times». Mit Blick auf den dramatischen Kurszerfall gewisser New-Economy-Titel spielen sicher noch andere Gründe mit beim Stimmungswechsel. Was auch immer die Gründe für eine Rückkehr sein mögen, Heimkehrer werden mit offenen Armen empfangen. Ist doch die Hoffnung gross, ihr E-Business-Know-how buchstäblich vergolden zu können: Von nun an lautet das Geheimnis des Erfolgs nicht «Brick and Mortar» (Backsteine und Mörtel), sondern «Click and Mortar» (Klick und Mörtel).

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