Ich trat nach einer einsamen Skitour in eine Beiz in Realp, um mich aufzuwärmen. In der damals noch rauchigen Gesellschaft gewahrte ich den mächtigen Hans Heiri, wir waren in den siebziger Jahren gemeinsam Assistenzärzte auf der Intensivstation des Universitätsspitals gewesen. Mich hatten seine enorme Arbeitskraft und sein kompromissloser Einsatz für die Patienten beeindruckt. Er war nun der wichtigste Mann in der Schweizer Ärztegesellschaft und hatte eine kurze Schneewanderung gemacht.

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Bald einmal polterte Hans Heiri, dass er es auch so schön haben möchte wie ich mit all meinen Reisen und Expeditionen neben der Chefarzttätigkeit. Er wünsche sich schon lange einmal, eine Trekkingtour in Nepal zu machen – aber er habe keine Zeit dafür. Ich entgegnete ihm, dass das eine Frage der Einteilung und Effizienz sei und dass man nach solchen Exkursionen voller Energie und Ideen zurückkehre. «Put your shoes on and go», meinte Bill Tilman, ein britischer Weltenentdecker, das empfahl ich auch Hans Heiri.

Als ich dann unlängst die Todesanzeige des 65-Jährigen las, dachte ich, dass er wohl einen guten Teil seiner Träume nicht verwirklicht hatte. Dafür hatte sich Hans Heiri mit Interessengruppen, selbstherrlichen Politikern und ewig unzufriedenen Kollegen herumgeschlagen.

Machtmenschen verschieben beglückende, aber vermeintlich nicht produktive Tätigkeiten auf später. Die mittlerweile zurückgetretene Zürcher Regierungsrätin Rita Fuhrer machte sich während ihrer Krebsbehandlung zwar Gedanken, wie sie die Zeit bis zum Tod verbringen würde, «wenn es tatsächlich in absehbarer Zeit geschehen müsste». Da es jetzt aber «gut aussehe», ist das wohl aufgeschoben. Dabei müsste sie lediglich die Anzeigen in den Zeitungen lesen. Ob Gesundheitsfreaks oder liederliche Raucher, Trinker und Übergewichtige: Alle fallen reihenweise, jeden Tag, nach längerem Siechtum oder, völlig unerwartet, bei gesundem Velofahren. Und: Viele haben nicht das gemacht, was sie eigentlich wollten.

Haben Sie in den letzten Sommerferien Ihre wirklichen Wünsche erfüllt? Haben Sie die Schätze gehoben, die nur darauf warteten, entdeckt zu werden? Oder waren Sie weiterhin Sklave von iPhone, Blackberry, PC und Ihrer Erreichbarkeit?

Dann werden Sie möglicherweise bei Ihrem Rücktritt noch vorgeben wollen, alles sei gut gelaufen und das Feld sei bestellt. So taten das in jüngster Zeit Bundesräte, Bankenaufsichtsmänner oder CEO. Hinter den wächsernen Gesichtern verbergen sich allerdings tiefe Enttäuschung und Verbitterung. Wer seine Wünsche nicht lebt und nicht das macht, was er wirklich will, den straft das Leben, und er verpasst es. Überdies verzichtet er auf die regenerative Kraft des Ausbrechens aus den Zwängen. Assoziatives Denken und Problemlösungen spriessen in Welten, die unserem Alltag polar entgegengesetzt sind: beim Wandern im Apennin, in Nordindien oder am Sandstrand von Papua. Zwei Wochen Realität ohne Mobiltelefon genügen, dann sind Sie wieder fit für unsere verrückte virtuelle Welt. Die Probleme werden sich relativiert haben, Sie sind gelassen. Und haben voll durchgeatmet.

Oder wie es Max Frisch in «Antwort aus der Stille» formuliert: «Warum leben wir nicht, wo wir doch wissen, dass wir nur ein einziges Mal da sind, nur ein einziges und unwiederholbares Mal, auf dieser unsagbar herrlichen Welt!»

Tun Sie etwas für sich in den kommenden Herbstferien!

Prof. Dr. med. Oswald Oelz war bis Ende Juli 2006 Chefarzt für Innere Medizin am Triemli-Spital Zürich. Der Bergsteiger und Buchautor liess sich mit 63 Jahren pensionieren.